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Chronik und Quellen
1933
November 1933

Die Gestapo Kassel berichtet

Am 9. November 1933 erstattet die Gestapo Hannover ihren Lagebericht „über die Betätigung jüdischer Vereinigungen“:

Aktivitäten jüdischer Vereine besonders in Kassel, Eschwege und Hanau

I. Kassel

Die in Kassel vorhandenen jüdischen Vereinigungen beginnen allmählich wieder mit einer regeren Entfaltung und Betätigung, wie sich überhaupt die Judenschaft jetzt insbesondere infolge des wirtschaftlichen Schutzes, den die jüdischen Firmen genießen, sicherer fühlt und dementsprechend auftritt.

Die Zionistische Vereinigung , Ortsgruppe Kassel, umfaßt 72 Mitglieder. Sie wirbt durch Aufstellen von Sammelbüchsen bei Juden für den jüdischen Nationalfonds und fördert durch Vorträge den zionistischen Gedanken. Die Jugendgruppen der Zionisten ''Habonim noar chaluzi'' und ''Hechaluz '' halten fortlaufend Schulungskurse über Palästinakunde und fördern ihre Mitglieder in der hebräischen Sprache. Auch finden sie sich zu Wanderfahrten zusammen.

Die Ortsgruppe Kassel des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten setzt sich aus etwa 195 Mitgliedern zusammen. Hier ist ein Anwachsen durch Ausschluß von Juden aus den Kriegervereinen zu verzeichnen. Auch die jüdischen Kriegshinterbliebenen und Kriegsverletzten sind zum größten Teil in den Reichsbund aufgenommen worden. Es besteht die Absicht, von jetzt ab monatlich eine Mitgliederversammlung abzuhalten.

Außerdem besteht hier der jüdische Turn- und Sportverein ''Bar Kochba '', etwa 120 Mitglieder umfassend, dessen Tätigkeit sich in letzter Zeit auf Wanderfahrten beschränkt hat. Regelmäßige Turnabende sind vorgesehen. Der Verein betreibt in jüdischen Kreisen eine rege Propaganda, um neue Mitglieder zu werben.

Der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens zählt hier 200 Mitglieder. Er hat sich nach der nationalen Revolution noch nicht wieder merklich betätigt

Ein Teil der jüdischen Jugend Kassels hat sich zu einem Ortsring der Jungenschaft ''Schwarzes Fähnlein '' zusammengeschlossen. Der Ortsring hat z. Zt. etwa 20 Mitglieder. Zweck des Zusammenschlusses soll die Erziehung zum Gemeinschaftssinn sein. Es finden sonntägliche Wanderungen und Heimatnachmittage und Abende im Hause der jüdischen Gemeinde statt. Die Jungenschaft ''Schwarze Fähnlein'' ist bei der Reichsjugendführung angemeldet.

Im übrigen handelt es sich bei den in Kassel noch vorhandenen jüdischen Vereinen um Wohltätigkeitsvereine, die öffentlich nicht in Erscheinung treten und sich jetzt hauptsächlich der Unterstützung ihrer Glaubens- und Rassegenossen widmen.

Die Sinai-Loge zählt in Kassel z. Zt. 113 Mitglieder. Sie erstrebt die sittliche Fortentwicklung ihrer Mitglieder und der Jüdischen Gemeinschaft allgemein. Sie will in der Hauptsache wohltätigen und allgemeinnützigen Zwecken dienen. Eine Erörterung politischer und religiöser Fragen soll nach der Satzung und den von ihr verfolgten Zielen ausgeschlossen sein und konnte auch nicht festgestellt werden. Die Mitglieder der Sinai-Loge haben allwöchentlich eine Zusammenkunft, und zwar immer abwechselnd in der Wohnung eines Mitgliedes.

II. Eschwege

In Eschwege finden sich die Juden im Hotel ''Löwenstein'' zu Zusammenkünften der Julius Bien-Loge, die der Bne-Brith-Loge , Sitz Berlin, angegliedert ist, zusammen. Die jüngere jüdische Generation (ca. 15-20 Personen) trifft sich ebenfalls in diesem Hotel (Logentempel) wöchentlich viermal. Angeblich soll hier hebräischer Unterricht erteilt werden. Infolge der Stärke des Judentums in Eschwege und bei dem erheblichen Einfluß, den die jüdischen Arbeitgeber in Eschwege haben, kommt dieser Vereinigung besondere Bedeutung zu. Die Staatspolizeistelle ist z. Zt. noch mit genaueren Ermittlungen nach dieser Richtung hin beschäftigt und wird nötigenfalls gegen die Betätigung dieser Loge die erforderlichen Schritte tun.

III. Hanau

In Hanau besteht seit Jahren die Ferdinand-Gamburg-Loge , die regelmäßig während des Sommerhalbjahres ihre Tätigkeit einstellt. Sie beabsichtigt, ihre Sitzungen jetzt wieder regelmäßig - alle 14 Tage - abzuhalten. Der jüdische Jugendbund in Hanau kommt 3 mal wöchentlich zusammen, um hebräischen Sprachunterricht und Palästinakunde zu treiben. Die Veranstaltungen finden in den Räumen der Gamburg-Loge statt. Eine dem Jugendbund angeschlossene Jungengruppe hält bei den verschiedenen Mitgliedern von Zeit zu Zeit Heimnachmittage ab. Dem Jugendbund ist ferner eine Sportabteilung angegliedert. Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten ist in Hanau erst im Juni ds. Js. gegründet worden. Er ist bisher wenig in Erscheinung getreten. Mitgliederversammlungen wurden bisher nicht abgehalten, da dem Reichsbund nur wenig Mitglieder angehören. Lediglich die Vorstandsmitglieder versammeln sich einmal in der Woche in einem jüdischen Lokal.

IV

Im übrigen Landespolizeibezirk sind nur kleine Ortsgruppen jüdischer Vereine, insbesondere des Central-Vereins , der Zionistischen Vereinigung und des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten vorhanden. Eine bemerkenswerte Betätigung ist nicht festgestellt worden.

V

Die Staatspolizeistelle ist zur Zeit damit beschäftigt, eine erschöpfende Kartei aller jüdischen Vereinigungen und ihrer Mitglieder sowie sämtlicher politisch bekannt gewordener Juden aufzustellen, um die laufende Kontrolle zu erleichtern und zu verbessern.

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