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Chronik und Quellen
1933
Juli 1933

Bericht aus Neustadt/Aisch

Das Bezirksamt Neustadt/Aisch berichtet am 15. Juli 1933:

In der nebenbezeichneten Sache gestatte ich mir unter Bezugnahme auf meine mündliche Berichterstattung am 10. und 11. VII. 1933 in Ansbach und in München folgendes zu berichten:

Der Kampf gegen das Judentum in Deutschland wird in Franken und der Nähe von Nürnberg mit besonderer Lebhaftigkeit betrieben, ganz besonders energisch aber in den Bezirken Neustadt, Windsheim, Uffenheim in der Stadt Neustadt. Hier hat er, wie aus den wiederholten Eingaben des Zentralvereins für Staatsbürger jüdischen Glaubens an das Staatsministerium für Wirtschaft hervorgeht, zu solchen Formen und Erscheinungen geführt, daß das Ministerium für Wirtschaft, die Staatskanzlei und die Regierung von Oberfranken und Mittelfranken, Kammer des Innern in verschiedenen Entschließungen ihr Vollzugsorgan, das Bezirksamt, anweisen mußten, gegen die Auswüchse vorzugehen.

Das Bezirksamt hat im Vollzug der ihm erteilten Weisungen in zahlreichen Unterredungen mit den örtlichen Parteidienststellen diese auf ihr von den hohen Staatsstellen beanstandetes Verhalten aufmerksam gemacht, insbesondere darauf, daß das Verhalten zur Propaganda im Ausland gegen Deutschland verwendet werden kann, und daß dadurch insbesondere der deutschen Ausfuhr und der deutschen Währung, sowie dem deutschen Arbeitsmarkt schwerster Schaden zugefügt werden kann. Die Beteiligten wurden wiederholt auf die schwere Verantwortung hingewiesen, die sie dadurch auf sich laden.

Viel Erfolg hatten diese Vorhalte nicht. Meistens beriefen sich die Parteidienststellen darauf, daß sie dem Gauführer Streicher in Nürnberg Gehorsam schuldig seien. Sie beriefen sich auch auf ein Schreiben des Obersten SA -Führers vom 23. Mai 1933 Nr. 1 Nr. B, 960/33, das in Abschrift beiliegt. Sie versuchen, dem Bezirksamt vorzuwerfen, daß das Bezirksamt sich im Widerspruch mit dem nationalen Staate befinde. Sie wollten absolut nicht einsehen, daß das Bezirksamt Vollzugsorgan der nationalsozialistisch geführten Staatsministerien ist, und daß sie sich mit ihrem Verhalten gegen den Staat und gegen den Reichskanzler einstellen.

Am Samstag, den 8. Juli 1933 hielt die Ortsgruppe Neustadt a.d. Saale des Volksbundes für das Deutschtum im Auslande im größten Saale in Neustadt eine von 1.000 Personen besuchte große öffentliche Versammlung ab, zur Aufklärung über die entsetzliche Lage unserer deutschen Volksgenossen im Sowjetreich. Den Vortrag hatte der stellvertretende Gaupropagandaleiter der NSDAP Leikham-Nürnberg übernommen. Dieser bat den Vorstand des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland, Herrn Studiendirektor Kegler, nach Schluß der Versammlung des Volksbundes, in Gegenwart der Anwesenden, die zum Dableiben aufgefordert wurden und fast alle auch blieben, noch einige Worte als Nationalsozialist sagen zu dürfen.

Der stellvertretende Gaupropagandaleiter Leikham machte dann auch eine kurze Mitteilung von dem Reichsparteitag in Nürnberg und von dem Parteitreffen in Haselberg.

Der Gaupropagandaleiter, ein junger Mann Ende der 20iger, fuhr dann ungefähr folgendermaßen fort:

Aber jetzt muß ich noch eine kleine Kopfwäsche vornehmen, angesichts der besonderen Verhältnisse in Neustadt:

Es sind hier zahlreiche Spitzen von Behörden und Ämtern anwesend. - Hier muß ich einschalten, daß an Spitzen und Behörden und Ämtern nur der Bezirksvorstand mit seiner Gattin und der Bezirkstierarzt anwesend waren. Wir saßen vorne in der Mitte des Saales.

Weder Amtsgericht und Notariat, noch Messungsamt und sonstige Behörden und Spitzen waren zu sehen; auf keinen Fall konnten sie, auch wenn sie doch anwesend gewesen sind, mit dem nachfolgenden in dienstlicher Beziehung gebracht werden. - Der Redner fuhr fort:

Ganz besonders an die anwesenden Vertreter der Behörden richte ich die Bitte, sie möchten in keiner Weise den Kampf, den das Volk gegen das Judentum führt, sabotieren.

In Neustadt sind noch verschiedene Beamte, die mit den Juden verkehren. Der Frankenführer Streicher verlangt, daß dies ein Ende nimmt. Es gibt immer noch Beamte, die glauben, die Bekämpfung der Juden nicht mitmachen zu brauchen oder die diese Bekämpfung sabotieren. So wurde ein notorischer Wucherer in Schutz genommen - falsch, Aufklärung des Bezirksamts siehe unten -. So etwas wird im 3. Reich nicht geduldet. Es gibt immer noch Beamte, die marxistisch verseuchte Köpfe haben, diese müssen geputzt werden. In Nürnberg ist erst in den letzten Tagen gründlich ausgeräumt worden, indem man die marxistisch verseuchten Beamten herausgeschmissen hat.

Beamte, die mit Juden verkehren, gibt es auch im Bezirksamt Neustadt, Beamte mit verkalkten Hirnen, selbstverständlich meine ich niemanden persönlich, die immer noch glauben, die Juden schützen zu müssen. Ich nenne hier keine Namen, aber wer gemeint ist, wird es wissen; dort wird immer auf die §§ verwiesen. Wir können uns nicht an §§ halten, wir haben uns nur an den Auftrag unseres Führers zu halten, die Juden zu bekämpfen und nicht zu unterstützen - Mir ist gar nicht bewußt, so oft auf §§ verwiesen zu haben -. Wenn unser Frankenführer Streicher wüßte, was da in Neustadt noch alles vorging, daß da seine Bekämpfung der Juden von den höchsten Beamten noch sabotiert wird, so würde er ganz anders vorgehen. Er wolle es diesen Herrn Beamten sagen, daß die nationale Revolution nicht von den Schreibstuben der Behörden aus, sondern von der Not des Volkes getragen wird. Schon 1813 haben die Schreibstuben verdorben, was das Volk errungen hat. Das deutsche Volk, das 14 Jahre gegen marxistisches und jüdisches Gift gekämpft hat, hat ein Anrecht darauf, daß in den Amtsstuben die Judenfrage erkannt wird und deutlich gehandelt wird. Wir dulden daher nicht, daß in Neustadt noch entgegen gearbeitet wird. Das soll eine Mahnung sein. Wenn ich nach Nürnberg komme, werde ich berichten, über das, was sich in Neustadt zuträgt. Jeder Beamte, der dies vergißt, wird die längste Zeit an seiner Stelle [gewesen] sein. Kriecherei vor den Juden und Umgang mit den Juden wird als Volksverrat angesehen werden.

Die Behörden mögen sich im klaren sein, [...] haben jetzt endlich einmal Schulter an Schulter mit dem kämpfenden Volke zu stehen, und sich nicht zu fühlen als Fronvögte, dazu da, arbeitsamen Menschen eine kalte Dusche zu geben [...] - trifft auf kein Bezirksamt zu -.

Der Gau Franken ist in der ganzen Bewegung und auch jetzt in der Revolution immer voran gewesen. Der Frankenführer Streicher duldet es unter keinen Umständen, daß Beamte, die an den höchsten Stellen eines Bezirks sitzen, die Bekämpfung der Juden sabotieren.

Wenn an einem Bezirk ein Bezirkshauptmann ist, dessen Gehirn an Arterienverkalkung leidet und der die Lage noch nicht erfaßt hat, so muß ihm eben klar gemacht werden, daß er von einem Volke, daß die Revolution von sich aus gemacht hat, nicht mehr anerkannt wird. Er betonte nochmals, das Volk will nicht betrogen werden. Die Revolution soll das Volk als Nutznießer sehen, nicht jene, um deren Willen man Revolution gemacht hat. Das Volk hat gekämpft und die Revolution gemacht. Er nenne keine Namen, diejenigen, die es angeht, werden es schon wissen. Er bitte jene Herren, es sich wohl zu überlegen, auf welche Seite sie sich stellen, mit den Juden oder mit dem Volke, dann mögen sie als Führer an ihrem Platze bleiben. Der Kampf ist schwer. Der Kampf kann nur geführt werden, wenn von oben zum Volke und vom Volke zu den Ämtern Einigkeit und Zusammengehörigkeitsgefühl besteht. Wir haben das Wort von der deutschen Volksgemeinschaft geprägt, wir werden dafür sorgen, daß alles durchgeführt wird, was wir uns vorgenommen haben.

Wer sich nicht hinter die Regierung stellt und dafür arbeitet, hat die Folgen zu tragen. Die Revolution ist noch nicht beendet.

Verschiedene Bezirksmänner in Franken stellen sich immer noch nicht auf die Seite der Regierung.

Wenn Streicher alles wüßte, was hier in Neustadt alles vorgeht, würde er gründlich ausputzen: Er beauftrage hiermit den Ortsgruppenführer in Neustadt, dem Gauleiter Streicher unmittelbar alles zu melden, damit der Zustand, wie er in Neustadt herrscht, abgeschafft werden kann.

Es kann unter keinen Umständen geduldet werden, daß Neustädter Beamte mit Juden verkehren.

Wer sich nicht hinter die Regierung stellt und dafür arbeitet, hat die Folgen zu tragen.

Er schloß dann mit einigen allgemeinen Sätzen, wie daß dem Volke die vom Volke errungenen Vorteile der Revolution nicht genommen werden dürfen und schloß mit einem dreifachen Heil auf den Reichskanzler.

An meinem Tisch und an verschiedenen anderen Tischen, wo urteilsfähige Leute saßen, wurde nicht geklatscht, trotzdem der allgemein gehaltene Schluß der Rede, Massensuggestion und ein gewisser Massenterror dazu anreizten zu klatschen.

Die Ausführungen waren eben doch zahlreichen Anhängern und Freunden der nationalen Bewegung zu stark.

In normalen Zeiten hätte wohl jeder junge Mann soviel Anstand gehabt, die Übernahme einer solchen Aufgabe abzulehnen. Im anderen Fall wäre er in normalen Zeiten nicht über die ersten Sätze seiner Ansprache hinausgekommen...

Ich selbst war während der Rede einfach verblüfft, namentlich darüber wie ein Nürnberger aufgrund so falscher Orientierung aus Neustadt so öffentlich reden konnte. Ebenso erging es zahlreichen Anwesenden.

Sofort nach Schluß der Rede ging ich zu dem Kreisleiter, Lehrer Bäselsöder in Neustadt a.d. Aisch und hielt ihm vor, daß er nach den Vorschriften über das Zusammenarbeiten zwischen Amtsleiter und stellvertretendem Gaupropagandaleiter der NSDAP in der Lage gewesen wäre, diese ungeheuerliche Bloßstellung und Kränkung des Vollzugsorgans der Staatsministerien im Bezirk Neustadt zu verhindern.

Es hätte auch noch andere Wege gegeben, wie zum Beispiel, mich offiziell unter 4 Augen aufzuklären im direkten Auftrag des Gauleiter Streichers [...] in der Judenfrage, in der ich schon so vieles nicht gesehen hätte, noch mehr dulden solle.

Der Kreisleiter sei ja darüber im Bilde, daß klare, unzweideutige Entschließungen des Wirtschaftsministeriums und der Regierung hier in Neustadt zu vollziehen gewesen seien. Ein solcher Angriff in einer Massenversammlung sei noch gar nicht da gewesen, und ich verlange Genugtuung.

Bäselsöder sagte, er wisse von gar nichts, der Redner habe nur im Auftrage des Gauleiters für Franken Streicher gesprochen. Ich erwiderte ihm, sie sind ja vor der 2. Ansprache Leithams Arm in Arm mit Leitham vor der ganzen Versammlung hinausgegangen. Er sagte, die Partei hätte persönlich nichts gegen mich, ich sei auch nicht gemeint gewesen.

Um zu verhüten, daß sich Leitham inzwischen entfernt, ließ ich den Kreisleiter stehen und ging zum stellvertretenden Gaupropagandaleiter hin.

Diesem hielt ich sein unglaubliches Verhalten vor. Er sagte, er habe im direkten Auftrage des Gauleiters Streicher gesprochen. Es ist dies ja auch aus mehreren Stellen seiner Rede ersichtlich. Ich sagte, er solle einmal seinem Vater, der Finanzvollstreckungssekretär ist, die ganze Sache erzählen und sich vorstellen, sein Vater würde im Kreis von Vollstreckungsschuldnern für seine Pflichterfüllung so angepöbelt.

Ich hielt ihm dann vor, daß ich noch niemals mit Juden gesellschaftlich Verkehr gepflogen habe, und auch meine Beamten nicht, daß wir aber verpflichtet sind, im Vollzug unseres Dienstes die Juden anzuhören.

Ich hielt ihm vor, daß ich doch nur Vollzugsorgan meiner hohen Vorgesetzten sei, und daß er, wenn er mich angreife, er meine hohen Vorgesetzten, die Herrn Staatsminister damit angreife und herabsetze.

Ich hielt ihm auch vor, daß seine öffentliche Behauptung nicht wahr ist, daß das Bezirksamt einen bekannten Wucherer in Schutz genommen habe. Wahr ist vielmehr, daß das Bezirksamt einen noch nicht klar als notorischen Wucherer erkannten Juden in Schutzhaft genommen hat, während das Gericht und die Staatsanwaltschaft diesen Juden nicht in Untersuchungshaft genommen haben, weil seit Monaten noch nicht genug Beweismaterial von der Bevölkerung gegen diesen Juden beigebracht worden ist.

Leitham sagte, wenn das alles so richtig ist, wie er es gerade höre, dann habe er mich nicht gemeint. Aber das Volk habe ihm Beifall geklatscht. Ich erwiderte ihm, daß des Volkes Gunst oder Ungunst leicht erworben und leicht verscherzt wird. Dann ließ ich ihn stehen und sagte zu ihm, das ist die ungeheuerlichste Taktlosigkeit, die seit Jahren gegenüber einem Vollzugsorgan des Staates und der Ministerien verübt worden ist.

Ich weiß, daß zahlreiche Anwesende nicht geklatscht haben und mit ihren Sympathien auf meiner Seite sind, darunter auch Leute, die treue Nationalsozialisten sind.

Die meisten Anwesenden mußten glauben, daß sich die Ausführungen des Leithams auf das Bezirksamt Neustadt beziehen mußten.

Daß maßgebende Stellen der NSDAP in Neustadt auch weiterhin die Staatsautorität angreifen wollen, geht aus dem beiliegenden Artikel hervor, der gestern erschienen ist. Das Bezirksamt hat sofort die beiliegende Berichtigung veranlaßt.

Zur Abstellung der in dem Bericht geschilderten Mißstände helfen keine Belehrungen und keine Warnungen.

Wenn nicht bald von oben herab energisch eingegriffen werden wird und die Neustädter Anpöbelungen gesühnt werden, wird die Staatsautorität auch anderswo zum Schaden der nationalen Bewegung und gegen den Willen des Reichskanzlers weiter verhöhnt werden.

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