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Chronik und Quellen
1939
Januar 1939

Bericht aus Berlin

Am 5. Januar 1939 meldet der Berliner Stadtpräsident in einem „Sonderbericht über die Entjudung des Einzelhandels in Berlin“:

Entjudung des Einzelhandels in Berlin

Die Verordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan vom 12. November 1938 zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben (RGB. I S. 1580) brachte mit dem Verschwinden der Juden aus dem Einzelhandel das Ergebnis, welches ich in meinem grundsätzlichen Bericht vom 9. März 1938 - I 4a Allg. (5) 36.37 - dringlichst angeregt hatte. Zwar war es seit dem Sommer 1938 aufgrund des Erlasses des Reichswirtschaftsministers vom 5. Juli 1938 - III Jd. 2818/38 - möglich, das volkswirtschaftliche Interesse bei der Beurteilung der Zulassung einer Arisierung über die Grundsätze des Einzelhandelsschutzgesetzes hinaus anzuwenden; die Möglichkeit, jüdische Einzelhändler außerhalb von Anträgen auf Arisierung auszuschalten, bestand aber nicht.

Die Entwicklung drohte aufgrund der Verordnung vom 12. November in Berlin äußerst stürmisch zu werden. Berlin hatte nach parteiamtlichen Unterlagen nicht weniger als 3.700 jüdische Einzelhandelsgeschäfte, die sich auf die einzelnen Bezirke innerhalb Berlins ganz verschieden verteilten. Bei sehr gering besetzten Randbezirken stieg die Zahl in den Bezirken Mitte und Kreuzberg insgesamt auf über 1.100 jüdische Einzelhandelsgeschäfte. Bezirke im Westen wie Wilmersdorf und Zehlendorf hatten zusammen immer noch fast 300 Geschäfte dieser Art, während die Zahl in Charlottenburg und Spandau fast 400 erreichte. Stark besetzt waren noch die Bezirke Schöneberg und Tiergarten mit insgesamt über 600 Geschäften. Die allerdings sehr dicht besiedelten Bezirke im Norden Berlins Horst Wessel und Prenzlauer Berg hatten insgesamt deren fast 700. Zwei Fragen waren am dringlichsten zu lösen:

1) eine geregelte Verwertung der jüdischen Warenläger zu erreichen,
2) zu verhindern, daß ungeeignete oder minderwertige Elemente sich in den Einzelhandel eindrängten.

Für das erste ließ ich im Reichswirtschaftsministerium anregen, die Warenläger vorerst einmal nach Art der Beschlagnahme der Konkursmasse festzulegen, um einen wilden Ausverkauf unmöglich zu machen. Dies ist allerdings erst geraume Zeit später mit der Verordnung vom 23. November (RGBl . I S. 1642) durch die Einsetzung der Abwickler und durch das Verbot des freihändigen Verkaufs an letzte Verbraucher geschehen. Ob in der Zwischenzeit von etwa zwei Wochen nicht doch schon eine große Menge solcher Waren aus jüdischer Hand einen unbekannten Weg gegangen sein mag, möchte ich dahingestellt sein lassen. Ich fürchte fast, daß man die Menge der Waren in jüdischer Hand doch zu unterschätzen geneigt gewesen war. Nach neuerer Auskunft der Einzelhandelsabteilung bei der Industrie- und Handelskammer sind allein für Berlin aus jüdischer Hand sechs Millionen Waren bei der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel angeboten worden. Allerdings erwies sich der Wert dieser Waren bei der Abschätzung durch den Sachverständigen um 1 1/2 Million geringer, also nur 4,5 Millionen Reichsmark. Der größte Teil wurde inzwischen von der Fachgruppe bei deutschen Firmen untergebracht; nur ein kleiner Teil wurde den Juden zum freien Verkauf überlassen. Die Menge der Waren wird sich noch erhöhen, da noch etwa 1/4 des Angebots aussteht. Mir ist auch bekannt, daß jüdische Inhaber kleinerer Geschäfte sich Interessenten in ihre Wohnung bestellt haben, wobei nur bedauerlich ist, daß sich offensichtlich noch eine große Zahl deutscher Volksgenossen gefunden hat, die es für richtig halten, kurz vor der Bereinigung der deutschen Volkswirtschaft von Juden ihre Waren aus jüdischer Hand zu beziehen. Diese Beobachtung führt auf den zweiten Punkt, den Schutz des Einzelhandels vor ungeeigneten Elementen.

Daß die Auswahl der Bewerber nicht in der notwendigerweise zeitraubenden Form der Überprüfung der Bewerber nach dem Einzelhandelsschutzgesetz 1933 zu lösen war, stellte sich bald heraus. Es setzte bei den Bezirken sogleich nach den Vorgängen in der Nacht zum 10. November 1938 ein solcher Andrang ein, daß Beamte z.B. des Bezirkes Mitte, den ganzen Tag nur mit der Auskunfterteilung an Bewerber und mit der Ausgabe von Formularen voll beschäftigt waren. Der erste Wunsch der Bewerber ging dann regelmäßig dahin, zunächst einmal Kredite für die Übernahme des jüdischen Einzelhandelsgeschäftes zu erhalten. Für die Vielzahl der Bewerber, die nicht nur nach der geldlichen Seite, sondern auch in ihrer Branchenkunde ganz unterrichtet waren, ergab sich daraus die zweite Frage. Es war die, wo ihnen denn ein gutes jüdisches Geschäft ''nachgewiesen'' werden könnte. Auch dies ist ein Beweis, welche berufsfremden Elemente sich für jüdische Geschäfte interessierten. Aus solchen Kreisen wurde mir auch nahegelegt, ich möge für das Stadtgebiet Berlin eine zentrale Liste der arisierungswürdigen Geschäfte einrichten, ein Wunsch, der letzten Endes daraufhinausging, meine Behörde zu einer Vermittlungsstelle zu machen. Nur als Kuriosität, aber dennoch mit einem gewissen ernsten Hintergrund ist zu erwähnen, daß Mitte Dezember überall im Reich das Gerücht auftauchte, bei dem Stadtpräsidium würden zentral jüdische Geschäfte für das ganze Reich nachgewiesen. Dieses Gerücht hatte zur Folge, daß Bewerber von weit her (Gleiwitz, Rheinland) zu meiner Behörde reisten. Merkwürdigerweise aber wandten sie sich an meine beiden Schulabteilungen, die nicht im Rathaus, sondern in einem Geschäftshaus in der Schicklerstraße 5/6 (unweit vom Alexanderplatz) untergebracht sind. Es hat sich nie aufklären lassen, wie dieses Gerücht, und vor allem die Angabe der Anschrift meiner Schulabteilung, entstanden sein mag.

Für jedes einzige jüdische Einzelhandelsgeschäft waren zumeist mindestens 3-4 Bewerber vorhanden. In den Gefolgschaften bildeten sich dann mehrere Parteiungen, die sich zu Gunsten der verschiedenen Bewerber erklärten, diese nun durch zahlreiche Besuche bei mehr oder weniger zuständigen behördlichen Stellen zu unterstützen suchten, während sie sich untereinander der Judenfreundschaft bezichtigten. Äußerst aufschlußreich ist dazu die als Anlage I beigefügte Niederschrift eines Bezirksamtes. Die Gefolgschaft eines mittelgroßen Kaufhauses in der Nähe des Görlitzer Bahnhofs ist in größerer Zahl mehrfach auf meiner Behörde erschienen und hat sich sogar noch für einen Bewerber eingesetzt, der von mir bereits abgelehnt worden war. Überrascht hat mich, daß diese Entzweiungen, innerhalb der Gefolgschaft, die in verständlicher Weise um ihre Arbeitsplätze bangte, sogar dazu führten, die eigenen Obleute anzugreifen und diesen vorzuwerfen, sie hätten den einen oder den anderen Bewerber durch Vorstellungen bei der Beschwerdebehörde zu Fall gebracht. In dem Falle jenes Kaufhauses am Görlitzer Bahnhof waren die Beschuldigungen insofern völlig haltlos, als bei meiner Behörde die Obleute niemals vorstellig geworden waren. Dennoch ging die Gefolgschaft sogar so weit, für den von mir bereits abgelehnten Bewerber nochmals mündlich im Reichswirtschaftsministerium vorstellig zu werden. Mir ist nicht bekannt, ob die Gefolgschaft dort vorgelassen worden ist. Es wäre zu wünschen gewesen, daß die Obleute zusammen mit der DAF die Gefolgschaft so straff in Zug gehabt hätten, daß sie ihr dergleichen Eigenmächtigkeiten hätten verbieten können. Dazu erklärte sich jedoch der Obmann in einem Anruf meiner Behörde außerstande. Jedenfalls wurde noch danach - und auch nachdem bereits ein Abwickler eingesetzt und tätig geworden war, - mir eine ''Adresse'' der Gefolgschaft und von nicht weniger als 30.000 umwohnenden Verbrauchern angekündigt, die alle sich für die Erhaltung dieses Kaufhauses aussprechen wollten.

Der Wunsch, den Arbeitsplatz im Zusammenhang mit der Auflösung jüdischer Geschäfte zu tauschen, ist allgemein äußerst gering.

Um in die zahllosen Bewerber eine gewisse Ordnung hineinzubringen, wurde im Benehmen mit dem Reichswirtschaftsministerium, zwischen den Berliner Stellen der Partei und meiner Behörde vereinbart, die Berliner Kreisleiter stark für die Auswahl der Bewerber einzuschalten. Der Gauwirtschaftsberater hat dazu Richtlinien erlassen, die eine Reihenfolge aufstellen, nach der Bewerber bei Vorschlägen der Kreisleiter zu berücksichtigen sind. Voranstehen sollten alte und verdiente Parteigenossen, die in der Kampfzeit geschädigt sind. Es folgen Parteigenossen, die sich selbständig machen wollen, die aber wirtschaftlich erfahren sein müssen, weiter Abrißgeschädigte (im Zusammenhang mit der Neugestaltung Berlins) und schließlich langjährige Angestellte jüdischer Betriebe, sofern es nicht ''Judenknechte '' sind. Über die Zulassung im einzelnen soll der Kreisleiter, der Kreiswirtschaftsberater, der Kreiswalter Handel der DAF , der Bezirksobmann der Einzelhandelsvertretung bei der Industrie- und Handelskammer Berlin zusammen mit den Bezirksbürgermeistern entscheiden. Es haben daraufhin mehrfach Sitzungen stattgefunden, bei denen jene Stellen die Bezirksbürgermeister über die Person der Bewerber beraten haben; die Zulassung hat dann stets der Bezirksbürgermeister auf Grund des Einzelhandelsschutzgesetzes selbständig und in eigener Verantwortlichkeit ausgesprochen. Wertvolle ältere Parteigenossen zu finden, war für die Kreisleitungen zumeist recht schwierig, vor allem deshalb, weil es den Bewerbern an dem nötigen Geld und Kredit fehlte. Um dem abzuhelfen, hatte ich die Sparkasse und Stadtbank auf die Unterstützung solcher wertvoller Bewerber aufmerksam gemacht. Leider war ich dabei nicht in der Lage, die Kreditbestimmungen - was meine Zuständigkeit überschritten hätte - allgemein zu lockern. Ich hätte es beispielsweise für möglich gehalten, die Sparkasse von der Zuteilung der neuesten Reichsanleihe in gewisser Weise zu befreien, um hierdurch für Arisierungen Geld frei zu bekommen. Soweit ich darüber unterrichtet bin, wäre solcher Weg aus höheren Gesichtspunkten nicht gangbar gewesen. Jedenfalls ist in meinem Amtsbereich auf diese Weise Mitgliedern der Bewegung wenigstens Gelegenheit gegeben gewesen sich im Rahmen der Ausschaltung des Judentums aus der deutschen Wirtschaft eine selbständige wirtschaftliche Stellung zu schaffen. Auch hierbei glaube ich, ist dem Grundsatz, der kürzlich von einer Parteistelle ausgesprochen wurde, genügend Rechnung getragen worden, daß die Entjudung der deutschen Wirtschaft im Grunde eine politische, weniger eine wirtschaftliche Maßnahme ist. Das mit der Verordnung vom 12. November 1938 plötzlich einsetzende verschärfte Tempo in der Arisierung konnte - nicht zum wenigsten durch die ausgezeichnete Zusammenarbeit meines Amtes mit dem Gauwirtschaftsberater - so weit gebremst werden, daß Weisungen und Verbote wie sie der Stellvertreter des Führers, der Beauftragte für den Vierjahresplan und der Herr Reichswirtschaftsminister gegen Sondermaßnahmen Unbefugter herausgeben mußten, für Berlin gegenstandslos waren. Ich ließ es mir von vornherein angelegen sein, wenige Tage nach dem Erlaß der Verordnung vom 12. November die Bezirksbürgermeister, die mir zugleich in meiner Eigenschaft als Leiter der Stadtverwaltung unterstehen, auf genaue Beachtung der Vorschriften des Einzelhandelsschutzgesetzes und sorgfältige Vorprüfung aller Bewerber hinzuweisen, vor allem aber die Bezirksbürgermeister persönlich für die Bearbeitung der Arisierungen verantwortlich zu machen. Für das oben erwähnte beschleunigte Verfahren zur Auswahl der Bewerber unter Hinzuziehung der Kreisleiter habe ich die Weisung des Herrn Gauwirtschaftsberaters an seine Parteistellen von hier aus an die Bezirksbürgermeister weitergegeben. So wurde die gleichmäßige Beachtung der mit meinem Amt vereinbarten Weisungen der Parteistellen für die Städtischen Dienststellen sichergestellt. Für die Einsetzung der Abwickler habe ich den Bezirksbürgermeistern eingehende Anweisungen erteilt, wer ihnen die Abwickler zu benennen habe und darüber, wann sie Abwickler einsetzen sollten.

Ich halte es für meine Pflicht, die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Gauwirtschaftsberater hervorzuheben, die auch von seiner Seite kürzlich von einem größeren Kreise von Vertretern des Einzelhandels ausdrücklich betont wurde. Besonders dankbar habe ich die Erleichterung empfunden, die die straffe Führung der Parteistellen durch den Gauwirtschaftsberater auch für die Bezirksbürgermeister schuf. Mir ist kein Fall bekannt geworden, wo etwa Parteistellen versucht hätten, in unzulässiger Weise einen Druck auf die Bezirksbürgermeister auszuüben. Ein Anlaß dazu war auch von vornherein nicht gegeben, da die Auffassungen der Parteistellen, der Städtischen Dienststellen und des Staatlichen Stadtpräsidiums als Beschwerdebehörde über eine moderne Wirtschaftsführung stets übereinstimmten. Gerade im Dezember wurde mir von allen beteiligten Stellen, insbesondere auch von der Einzelhandelsvertretung bei der Industrie- und Handelskammer versichert, daß die schnelle Bekanntgabe meiner Weisungen an die Bezirksbürgermeister dazu geholfen hätte, die Gesamtabwicklung der Entjudungsaktion in rechte Bahnen zu bringen, und daß vor allem die Bezirke gewußt hätten, was sie tun sollten. Auch von seiten einiger Rechtsanwälte, die mit Arisierungen befaßt sind, ist mir der ordnungsgemäße Ablauf in Berlin -, soweit es mein Amt betrifft -, bestätigt worden. Ich glaube daher dafür einstehen zu können, daß die Grundsätze des Herrn Reichswirtschaftsministers im Berliner Bezirk beachtet worden sind. Auch habe ich mich bemüht, gegenüber den widerstrebenden, meist unvereinbaren Wünschen der im Rahmen der Arisierung beteiligten Stellen eine einheitliche Linie zu wahren. Dies war u.a. gegenüber Bestrebungen aus Kreisen der DAF auf Einsetzung von Hausverwaltern in jüdischen Hausbesitz nicht immer einfach. Daß mir trotzdem gelungen ist, demgegenüber eine einheitliche und feste Linie zu bewahren, wurde mir von einer unabhängigen Stelle noch kürzlich ebenso bestätigt wie die Tatsache, daß die Arisierungen im Einzelhandel vor allem auch bei den Bezirken erfreulich flott sich abwickelten, im Gegensatz zu Arisierungen bei anderen Behörden, bei denen die Antragsteller oft monatelang nur auf den ersten Zwischenbescheid hätten warten müssen.

Allgemein jedoch muß im übrigen gesagt werden: Der Gesamteindruck, den die Arisierung hinterläßt, nachdem das Ergebnis für Berlin einigermaßen zu übersehen ist, ist nicht erfreulich. Denn ich hätte nicht geglaubt, daß die Möglichkeit, jüdische Geschäfte als Deutscher zu übernehmen, einen so außerordentlichen Andrang von Bewerbern für jüdische Geschäfte hervorrufen würde, noch, daß Kreise, von denen es nicht zu erwarten war, den Berichterstatter häufig fragen würden, ob er nicht ein ''gutes jüdisches Objekt anhand habe'', jüdische Möbel nachweisen könne usw. Gleiche Beobachtungen sind außerordentlich eindringlich in dem Leitaufsatz ''Und die weißen Juden?'' des Schwarzen Korps, 50. Folge, vom 15.12.1938 wiedergegeben. Insbesondere ist dort die Schwierigkeit der Auswahl wertvoller Bewerber dargestellt. Fortführung eines jüdischen Ladens in deutscher Hand bedeutet im Grunde doch immer ein Aufbauen auf der Arbeit des Juden und ein Sichschmücken mit jüdischen Federn. Selbst ein arisiertes jüdisches Geschäft bleibt im Grunde - schon wegen seines Kundenkreises, der Zusammensetzung seiner Angestellten, der gesamten Geschäftsmethoden und der Auslandsbeziehungen usw. - doch immer ein jüdisches Produkt. Versucht der Deutsche nun, die Geschäftsführung nach anständigen deutschen Grundsätzen umzustellen, so entgehen ihm von vornherein, zahlreiche Verdienstmöglichkeiten. Ich befürchte deshalb, daß auf die Welle der Arisierungen die ebenso große Welle der geschäftlichen Zusammenbrüche folgen wird, die sich auch durch noch so sorgfältige Auswahl der Bewerber, auch nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit, nicht vermeiden lassen wird. Ich beabsichtige, etwa in einem halben Jahre, möglichst zusammen mit dem Gauwirtschaftsberater und der DAF , arisierte Einzelhandelsgeschäfte stichprobenweise daraufhin zu untersuchen, inwieweit nicht doch in Einzelfällen nur Tarnungen des jüdischen Inhabers oder mindestens des jüdischen Geldgebers vorliegen und vor allem darauf, ob die Grundsätze deutscher Geschäftsführung auch in sozialer Beziehung erfüllt sind.

Wenigstens hoffe ich, daß die Ausschaltung von 2/3 aller jüdischen Einzelhandelsgeschäfte im Rahmen der Vorabentscheidung den alten deutschen Einzelhandel entlasten wird. Allerdings übersichtlicher wäre die Arbeit für die Bezirksämter gewesen, wenn sämtliche jüdischen Einzelhandelsgeschäfte hätten aufgelöst werden müssen. Es wäre dann die Möglichkeit gewesen, in den entlasteten Gegenden in aller Ruhe im Laufe des Jahres 1938 über die Neuzulassung deutscher Einzelhändler zu entscheiden. Der Sturm der Bewerber um jüdische Geschäfte und die Gefahr des Eindringens unerwünschter Elemente wäre vermieden worden. Grundsätzlich muß ich noch darauf hinweisen, daß die in letzter Zeit häufigen Wünsche des Wirtschaftsministeriums zu einzelnen Arisierungen - insbesondere bei kleinen Einzelhandelsgeschäften - mir zwar durchaus verständlich sind, weil die Antragsteller im Ministerium vorgesprochen haben mögen. Dennoch bitte ich zu bedenken, welche außerordentlichen Schwierigkeiten es bereitet, eine einzelne Sache aus den nach tausenden (für alle Bezirke zusammen) zählenden Arisierungsangelegenheiten herauszugreifen und anzuhalten. Vielfach ist es auch unvermeidlich, daß die Entscheidung im Schnellverfahren schon gefallen war, ehe der Wunsch des Ministeriums bis zum Sachbearbeiter gekommen war, selbst, wenn - wie selbstverständlich - der Wunsch des Ministeriums auf dem schnellsten Wege weitergeleitet worden war.

 

Judenstatistik (Wanderungsbewegung)

Der Abstrom der Glaubensjuden hat im November und Dezember 1938 erfreulich zugenommen. Der Mehrfortzug erreicht im November fast 2.500 Abwanderungen und im Dezember 3.544, das sind für November etwa 1.000 Abwandernde mehr als im Oktober 1938 (1.447) und im Dezember fast 900 mehr als im November. Gering war die Abwanderung im August mit rund 950, während eine starke Steigerung im September 1938 mit über 1.600 Abwanderungen einsetzte. Wie erfreulich nachdrücklich sich die Maßnahmen der Reichsregierung zur Entjudung nicht nur in der Wirtschaft auswirken, beweist der Vergleich mit dem erstaunlich geringen Mehrfortzug im November des Vorjahres. Damals zogen nur 118 Juden mehr von Berlin fort und im Oktober des Vorjahres sogar nur 24. Gleich niedrig sind die Fortzugszahlen für die entsprechenden Monate des Vorjahres (Juni 1937 = 311, Juli 1937 = 175, August 1938 = 124 und September 1937 = 285). Wenn mit dem Ablauf des Jahres 1938 die Arisierung des Einzelhandels durchgeführt ist, nehme ich an, daß zum Frühjahr 1939 der Hauptabstrom der Juden aus Berlin einsetzen wird, sobald sie inzwischen die geldliche und devisenmäßige Seite ihrer Auswanderung geklärt haben.

 

Wohlfahrtsaufwendungen für Juden

Über die mit öffentlichen Mitteln unterstützten Rassejuden liegen mir aufschlußreiche Zahlen vor. (Siehe Anlage) Die absolute Zahl der in Berlin nach dem Stande vom 1. Oktober 1938 Unterstützten betrug 7.500, darunter 130 Kriegsbeschädigte, über 1.600 Wohlfahrtserwerbslose und rund 2.400 Hilfsbedürftige des Wohlfahrtsamtes. In gehobener Fürsorge befanden sich rund 2.700 Juden (= 2,7% der Gesamtzahl dieser Gruppe). Für die Unterstützung der Juden hat die Stadtverwaltung inzwischen neue Grundsätze erlassen, nach denen jüdische Wohlfahrtserwerbslose grundsätzlich in Pflichtarbeit einzuweisen sind. Die gehobene Fürsorge fällt entsprechend der Verordnung vom 19. November 1938 überhaupt fort. Die Barunterstützungen für Juden betrugen im Oktober 1938 insgesamt rund 294.000 RM; eine Aufgliederung bringt die Übersicht in Anlage III.

Nicht ganz einfach war es, bei dem schnellen Ablauf der Arisierung, die grundlegenden gesetzlichen Bestimmungen zu übersehen. Erschwert wurde dies von vornherein durch die Vielzahl der Stellen, die auf dem Gebiete der Arisierung Weisungen ergehen ließen. Während das Tarnungsverbot vom 22. April 1938 die grundlegende Verordnung vom 26. April 1938 und die dazugehörige Anordnung federführend von dem Beauftragten für den Vierjahresplan erlassen waren, erging die Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 mit der Einführung des Verzeichnisses jüdischer Gewerbebetriebe federführend vom Reichsminister des Innern, der auch den Durchführungserlaß vom 14. Juli 1938 erließ. Das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung vom 6. Juli 1938 wurde vom Reichswirtschaftsministerium erlassen. Die Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz erließ am 25. Juli 1938 der Innenminister, die Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz wieder erließ am 27. September 1938 der Reichsminister der Justiz, während die Verordnung über den Ausschluß von Juden von der kassenärztlichen Versorgung am 6. Oktober 1938 der Reichsarbeitsminister erließ. Die Vorschriften über die Sühneleistung und die grundlegende Verordnung über die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 erließ der Beauftragte für den Vierjahresplan, während die Ausführungsvorschriften der Reichswirtschaftsminister, für die Sühneleistung aber die Reichsfinanzverwaltung ergehen ließ. Die Verordnung gegen den Waffenbesitz der Juden vom 11. November 1938 hatte der Reichsminister des Innern erlassen. Die Einrichtung der Abwickler wurde mit der Verordnung vom 23. November 1938 durch den Reichswirtschaftsminister geschaffen, während die Verordnung über die öffentliche Fürsorge für Juden der Reichsminister des Innern erlassen hatte. Die Polizeiverordnung über das Auftreten der Juden in der Öffentlichkeit vom 28. November 1938 erging vom Reichsminister des Innern (Reichsführer SS). Die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 ging wieder vom Reichswirtschaftsminister aus, nachdem mit Verordnung vom 24. November 1938 der Beauftragte für den Vierjahresplan seine Zuständigkeit insofern abgegeben hatte. Selbstverständlich war es, wie z.B. bei dem Verbot des Uniformtragens von Juden vom 16. November 1938 notwendig, hier eine Anordnung des Oberbefehlshabers der Wehrmacht ergehen zu lassen, wenn eine durchgreifende Bereinigung des gesamten öffentlichen Lebens vom Judentum erreicht werden sollte. Für die ausführenden Mittelinstanz ist es jedoch nicht immer leicht, die vielfältigen Anordnungen auch nur vollständig zu sammeln. Es bliebe zu prüfen, ob durch eine allgemeine Anordnung nicht die Federführung in Judenangelegenheiten grundsätzlich einer Zentralstelle, am besten dem Beauftragten für den Vierjahresplan, in ihrer Gesamtheit übertragen würde, und zwar auch für den Erlaß aller Ausführungsvorschriften. Der Anfang ist hierfür mit dem Runderlaß des Beauftragten für den Vierjahresplan vom 14.12.38-St.M.Dev. 8772 (mir erst Anfang Januar über den Herrn Reichsminister für Ernährung- und Landwirtschaft zugegangen) gemacht worden.

Die Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 gab zu gewissen Unklarheiten Anlaß, ob Treuhänder auch für Einzelhandelsgeschäfte eingesetzt werden sollten. Ich war der Meinung, daß an dem Zeitpunkt des 1. Januars 1939 zur endgültigen Bereinigung des Einzelhandels besser nichts geändert werden sollte, auch nicht in sofern, daß solche Geschäfte durch die Einsetzung eines Treuhänders weitergeführt werden. Für das Volksbewußtsein wird es sich - auch wenn ein Treuhänder tätig wird - immer noch um ein jüdisches Geschäft handeln. Tatsächlich sind Treuhänder auch nur in wenigen Fällen und auch da nur vom Reichswirtschaftsminister aus eingesetzt worden. Einige dringliche Zweifelsfragen, die auch heute noch nicht gelöst sind, wirft die Industrie- und Handelskammer in ihrem Schreiben vom 7. Dezember 1938 auf. (Anlage IV):

Überraschend hoch war in Berlin die Zahl der Handwerksbetriebe in jüdischer Hand. Die Handwerkskammer zählte etwa 2.600. Es verteilen sich die jüdischen Handwerker in der Hauptsache auf das Herren- und Damenschneiderhandwerk (625 + 351), auf das Kürschner- und Putzmacherhandwerk (364 + 268), ebenso auf das Schuhmacherhandwerk (181), die Uhrmacher (114), das Gold und Silberschmiedehandwerk (49).

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