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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Misshandlung im KZ Dachau

Max Oppenheim aus Heidelberg, im November 1938 als Neuzehnjähriger nach Dachau deportiert, berichtet, wie die Häftlinge zunächst in München aus dem Personenzug geprügelt und mit Kolbenschlägen und Fußtritten in einige bereitstehende Güterwagen für die Weiterfahrt nach Dachau gepresst wurden.

„Dann wurden die Türen geschlossen und die stöhnenden, vor Angst halb wahnsinnigen Häftlinge - viele von ihnen waren blutüberströmt - im Dunkeln allein gelassen. Bald verloren wir jedes Gefühl für die Zeit. Einige beteten, andere schrien, aber die meisten brüteten wieder vor sich hin, ohne zu begreifen, was ihnen geschah. Endlich setzten sich die Wagen rumpelnd in Bewegung.

Als die Türen wieder geöffnet wurden [in Dachau], begann die Prügelei von neuem. Wer hinfiel, wurde auf dem Boden liegend weiter geschlagen. Laute Rufe hallten über den Platz:, Vorwärts, ihr Judenschweine! Tempo, Tempo!’ Auf der Laderampe, unweit des riesigen Eingangstores des Lagers Dachau, sammelten sich schließlich die Neuankömmlinge. 2.000 Häftlinge standen hier in der Kälte des Morgens (...).

Dann begann der Marsch an den SS-Häusern vorbei ins Lager. Wieder traten die SS-Mannschaften in Aktion. Sie griffen sich den einen oder anderen heraus, schlugen ihm Hut oder Mütze vom Kopf, stießen ihn in den Wassergraben und trampelten mit ihren Stiefeln auf ihm herum. Es waren Szenen, die sich vorher kaum jemand im Traum vorstellen konnte. Wer hätte geglaubt, dass so etwas im Lande von Goethe und Schiller möglich war. Dann begann die Einweisung. Name und Vorname wurden festgehalten, das Gewicht und die Größe festgestellt, die Köpfe kahl geschoren. Wir waren zu Verbrechern gestempelt. Danach ging es im Laufschritt zu einer anderen Baracke, in der Kleidung, Strümpfe und Schuhe sowie alle Wertsachen abgegeben und säuberlich registriert wurden. (...) Anschließend mussten wir duschen und die Häftlingskleider in Empfang nehmen. Zitternd standen wir dann in der Winterkälte, bekleidet nur mit dem blau-weißgestreiften Häftlingsdrillich, alten Socken und Stiefeln, die entweder zu groß oder zu klein waren. Wie viele die Brutalitäten der SS nicht überlebten, konnten wir nur daran ermessen, dass der eine oder andere, der vorher neben uns gestanden hatte, nicht mehr dabei war.

Erst gegen Mittag wurden wir in die Baracken eingewiesen, die für die nächste Zeit unsere ,Heimat’ sein sollten. (..) Die Baracken waren (...) mindestens zweifach überbelegt, so dass auf den Pritschen jeweils zwei Häftlinge lagen. (...)

Um 5 Uhr morgens wurden die Häftlinge durch dumpfe Sirenentöne geweckt. Für Waschen, Bettenmachen, Ordnen der Spinde und Frühstück hatten wir eine halbe bis eine Stunde Zeit. Dann ging es auf den Appellplatz. An den diesigen Wintermorgen war es draußen noch dunkel. Die Scheinwerfer der mit Maschinengewehren bestückten Wachtürme beleuchteten gespenstisch die angetretenen Häftlinge in ihren gestreiften Drillichanzügen. Angestrahlt wurde auch der Stacheldrahtzaun, der unter Starkstrom stand, um jede Flucht unmöglich zu machen. Der Zählappell, das Strammstehen vor der SS-Prominenz und den bewaffneten Wachmannschaften, dauerte oft stundenlang. Welch eine Tortur für die älteren Häftlinge, die sich kaum mehr aufrecht halten konnten. Brach einer zusammen, kamen SS-Männer gelaufen, um ihn unter unflätigen Beschimpfungen mit Tritten und Kolbenschlägen wieder auf die Beine zu bringen. (...)

Die jüdischen Häftlinge, die ja mehr oder weniger als Geiseln festgehalten wurden, um sie zur Auswanderung zu zwingen und zugleich Milliardenbeträge zu erpressen, wurden nicht in die Arbeitskommandos eingeteilt. Sie blieben oftmals noch stundenlang auf dem Appellplatz stehen und marschierten dann im Gleichschritt, zumeist unter dem Kommando ehemaliger Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, kreuz und quer durch das Lager. Auch hierbei waren die Wachmannschaften immer bereit, den einen oder anderen herauszusuchen, um ihn zu verhöhnen oder zu schikanieren. Ich selbst hatte dies schon am ersten Tag, noch bevor wir eingekleidet waren, am eigenen Leibe erfahren. Mit Kniestrümpfen, kurzen Hosen und einer grauen Windjacke bekleidet, fiel ich wahrscheinlich (...) ein wenig aus dem Rahmen. Zwei SS-Leute kamen auf mich zu und stellten sich links und rechts von mir auf. Der eine machte eine Bemerkung, die mir komisch vorkam, und ich lachte nichtsahnend über den vermeintlichen Spaß. ,Was’, brüllte mich der eine an, ,du machst Witze über die SST und schlug mir die Faust ins Gesicht. Der Schlag warf mich gegen den anderen, der dann brüllte: ,Du willst auf die SS losgehen, das werden wir dir austreiben!‘ und wieder erhielt ich einen Schlag.

Dieses Spiel ging einige Minuten hin und her, das Blut lief mir aus der Nase, doch war ich zum Glück vernünftig genug, nicht das zu tun, was ich liebend gerne getan hätte, nämlich zurückzuschlagen. Das wäre wohl das Ende meines 19jährigen Lebens gewesen.“

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