Rundschreiben der Bezirksstelle Hessen-Nassau der Reichsvereinigung der Juden
Im August 1942 richtete die Bezirksstelle Hessen-Nassau der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland folgendes vertrauliches Rundschreiben an die Juden im Sprengel Wiesbaden:
„Der Abtransport bedeutet für die Abwandernden Einziehung des gesamten Vermögens durch das Reich. Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland in Berlin hat jedoch mitgeteilt, dass mit den Abwandernden Verträge nach dem Muster der mit Altersheiminsassen geltenden Heimeinkaufsverträge geschlossen werden können und sollen. Durch diese Verträge verpflichtet sich die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zur lebenslänglichen Gewährung von Heimunterkunft und Verpflegung. Als Gegenleistung haben die Abwandernden der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland ihr bewegliches Vermögen ganz oder teilweise, entsprechend ihrem Alter, zu übereignen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Abwandernden ein Alter von 85 Jahren erreichen, und dass als Verpflegungssatz RM 1800 je Jahr bzw. RM 150 je Monat berechnet wird. Sie können hiernach berechnen, welche Summe für Sie selbst in Frage kommt. Für diese Heimeinkaufsverträge kann wie oben bemerkt, das bewegliche Vermögen der Abwanderer Verwendung finden. Unter beweglichem Vermögen sind zu verstehen: Alle Bankguthaben, Ansprüche gegen Lebensversicherungen, soweit diese Ansprüche beleihbar sind, und auch Wertpapiere. Immobilien (Grundbesitz) können für die Bezahlung der Heimeinkaufssumme keine Verwendung finden. Wir bitten Sie, uns unverzüglich mitzuteilen, welche Beträge Sie unter Berücksichtigung des oben Gesagten für den Abschluss eines Heimeinkaufsvertrags für sich und Ihre Angehörigen zur Verfügung stellen können, damit wir Ihnen dann einen Heimeinkaufsvertrag zur Unterzeichnung zusenden. Eine Rücksprache kann in kommender Woche Dienstag bis Freitag von 3-6 Uhr auf dem Büro der Geschäftsstelle Wiesbaden Bahnhofstr. 25 erfolgen.“