Deportation nach Theresienstadt
Dora Philippson [1] berichtete in ihren Memoiren über die Fahrt nach Bauschowitz:
„Am Spätnachm. begann dann der Abmarsch unter Polizeibegleitung auf den Deutzer Bahnhof, wo die Einwaggonierung in die Viehwagen stattfand. Wir hatten besonderes Pech, dass wir zur grossen Gruppe (49) Leute im kleinsten (einem franz.) Waggon zugeteilt waren. […] Die Herren "Transportleitung" reisten natürlich in 1. Kl. Wagen! In diesem Wagen erwischten wir aber wenigstens, da ich fast zuerst einkletterte, eine einigermassen günstige Stelle. Das Gespäck jeder Gruppe war schon in den betreffenden Wagen eingeladen, an der Vorderseite (Fahrtrichtung) lag das gesamte Weichgepäck, gegenüber die Koffer der 49 Leute. Wir placierten uns auf das Weichgepäck, waren so vor Fahrtwind etwas geschützt, hatten etwas Weiches unter uns und bekamen bei den Stössen auf der Fahrt auch nur Weichteile auf den Kopf. Es war eine schreckliche Engnis, jeder hockte, wie er konnte.
Natürlich war weder Sitzgelegenheit noch Stroh im Waggon, nur Schmutz u. eine gr. Säureflasche mit Korbhülle, die anfangs mit grossem Misstrauen betrachtet wurde, aber harmlos war und einem alten verwachsenen Geschwisterpaar als Sitz diente immer so lange, bis sie es vor Lahmheit nicht mehr aushalten konnten. […] Gegen 7, 1/2 8h abends am 15.VI.42 setzte sich der Zug in Bewegung. [...] 24 Stunden waren wir in teils langsamer, teil schneller Fahrt unterwegs; durch den Spalt an der Tür liess man sich von günstig Postierten ev. vorüberhuschende Ortsnamen ansagen, schliesslich umfuhren wir Leipzig und hielten zwischen Leipzig und Dresden für einige Zeit auf einer Truppenverladestelle. Dort liess sich zum ersten Mal jemand aus dem Personenwagen blicken, es wurde etwas von Köln mitgenommenes Brot hereingereicht u. wer schnell genug war, konnte aus dem Wagen klettern u. am Feldrand sich 'ergehen’, bis die Gendarmerie mit Donnerwetter dazwischenfuhr und die Ausreisser mit Schieben von aussen u. Ziehen von innen wieder im Wagen einquartiert waren. […] Nach dem Halt in Leipzig waren wir des Reiseziels ziemlich sicher. In Bodenbach konnte man sogar etwas von der gebirgigen Gegend sehen uns schliesslich war so gegen 7h abends das Fahrtende Bauschowitz erreicht."
Fußnoten
[1] Dora Philippson (1896-1980) studierte Mathematik und Naturwissenschaften. Sie war von 1921 bis 1933 als Lehrerin für Mathematik, Physik und Chemie in Berlin und Kassel tätig. 1933 zog sie wieder zu ihren Eltern nach Bonn zurück. Ursprünglich sollte sie nach Sobibor deportiert werden, konnte jedoch die gemeinsame Deportation mit den Eltern nach Theresienstadt erwirken. Nach der Befreiung arbeitete sie als Sekretärin ihres Vaters. Ihre Tätigkeit als Lehrerin konnte sie nicht wieder aufnehmen, da ihre Gesundheit aufgrund der Jahre im Konzentrationslager ruiniert war.
Unter den Deportierten befand sich auch Doras Vater Alfred Philippson (1863-1953), der aus einer Bonner Rabbinerfamilie stammte. Er hatte Geographie studiert und war als Ordinarius in Bern, Halle (Saale) und Bonn tätig gewesen. 1933 wurde er in seiner akademischen Lehrfreiheit erheblich eingeschränkt. Obwohl sich der schwedische Geograph Sven Heddin persönlich bei Reichsaußenminister Frick für ihn einsetzte, wurde Philippson nach Theresienstadt deportiert. Dort war er als sogenannter A-Prominenter inhaftiert und verfasste seine Autobiographie "Wie ich zum Geographen wurde". Zu seiner Inhaftierung äußerte er sich in seiner Biographie nicht. Nach seiner Befreiung arbeitete er wieder als Professor an der Bonner Universität.