Sicherheitsdienst berichtet über „Arisierung“
Am 6. Mai 1938 erstellt das SD-Hauptamt [I 3] folgende Sonderbeilage zum SD-Pressebericht Nr. 56:
''Die Arisierung''
Die Beseitigung der jüdischen Industriellen, Bankiers, Kaufleute, die in den vergangenen fünf Jahren auch ohne offenen Boykott schrittweise immer weiter getrieben worden ist, hat zweifellos zu zahlreichen Besitzveränderungen geführt und äußerlich so manchen Wirtschaftszweig weitgehend umgestaltet. Daß hier eine Schicht von Kapitalisten teilweise oder ganz enteignet worden ist, unterliegt keinem Zweifel. Zahlreiche jüdische Eigentümer haben ihre Betriebe verkaufen müssen, - das geschah meistens unter Druck, die Bedingungen waren für die Verkäufer ungünstig, für die Käufer günstig, und es gab nicht viele Fälle, wo die erzwungene Veräußerung jüdischen Eigentums ohne schwere Verluste für die früheren Besitzer ausgegangen wäre. Je kleiner das Objekt war, um das es sich handelte, je mehr der Verkäufer auf den Erlös angewiesen war, um so größer war der Druck, den der arische Käufer (ein Konkurrent, der Bescheid weiß) ausüben konnte, desto größer war der Verlust.
Aber nicht nur bemaß sich die Größe des Verlusts nach dem kapitalistischen Marktgesetz von Angebot und Nachfrage, sondern auch der Vorgang selbst fiel gar nicht aus dem Rahmen des kapitalistischen Geschäfts heraus. Daß die politisch und ideologisch ausstaffierte Antijudengesetzgebung aus wirtschaftlichen Beweggründen erwachsen ist, ist seit langem kein Geheimnis mehr. Unzählige Mittelständler, kleine und mittlere Kapitalisten, denen der jüdischen Konkurrent ein Dorn im Auge war, trugen zum Siege des Dritten Reiches gerade in der Hoffnung bei, sie würden die lachenden Erben der ''raffenden'' Juden werden. Ob sie dabei auf ihre Kosten gekommen sind oder nicht: der Vorgang ist gar nicht so außergewöhnlich, und in der Geschichte des Kapitalismus ist es oft genug vorgekommen, daß große Schichten von Besitzenden staatlichen Maßnahmen zum Opfer gefallen sind, die von Konkurrenten ersonnen und mit wer weiß was für politischen und ideologischen Mäntelchen umhängt worden wäre. Man denke nur an die Enteignung polnischer Grundbesitzer in der Grenzmark in der wilhelminischen Zeit oder an die wirtschaftlichen Auswirkungen der Negerverfolgungen in Amerika. Dem kapitalistischen Charakter der Wirtschaft hat das alles keinen Abbruch getan.
Wie wirkt sich denn praktisch die ''Arisierung '' aus? Das Unternehmen, das der jüdische Besitzer nicht weiterführen darf, wir entweder liquidiert oder von einem arischen Kapitalisten erworben, der es in seiner alten Form weiterbetreibt, oder schließlich von einem größeren Unternehmen verschlungen, das mit der Neuerwerbung seinen Besitz erweitert. Von staatlicher Übernahme und Bewirtschaftung jüdischer Betriebe hat man nicht viel gehört. Es findet also nichts anderes statt als privater Eigentumswechsel, unter Bereicherung des einen unter Benachteiligung des anderen, sehr häufig verbunden mit einer Expansion bestehender Großunternehmungen, d.h. mit unumwundener Konzentration des Kapitals. Ein typisches Beispiel ist die Aufsaugung kleiner jüdischer ''Privatbanken'' durch mächtigere Kreditinstitute, und genau das gleiche ist in allen anderen Wirtschaftszweigen zu beobachten, ob es sich nun um Warenhäuser handelt oder um Maschinenbau oder um Textilindustrie. Und was von der ''Arisierung'' gilt, genau so von der Hinausschikanierung von Unternehmern, die sich politisch (oder auch nur persönlich) mißliebig gemacht haben. Stets wartet ein kapitalistischer Konkurrent im Hintergrund, dem die Mittel gleich sind, mit denen er den verhaßten Rivalen zur Strecke bringen kann.