Das SD-Hauptamt berichtet
Am 4. März 1938 erstattet das SD-Hauptamt II/112 folgenden „Monatslagebericht“ über den Februar 1938:
Die in den letzten Berichten mehrfach erwähnte Auswanderungslust unter den Juden in Deutschland, die sich zeitweise sogar zu einer Auswanderungsfurcht verstärkte, konnte in der letzten Zeit durch entsprechende Gegenmaßnahmen in ihrer Auswirkung stark begrenzt werden. Die Auswanderungszahl in den ersten beiden Monaten dieses Jahres zeigt deshalb auch ein durchaus erfreuliches Bild. So sind bis Ende Februar rund 3.000 Juden aus Deutschland ausgewandert. Auf Grund der Voranmeldungen für den Monat März kann für das erste Quartal 1938 mit einer Auswanderung von 5.000 Juden gerechnet werden. Bei gleichbleibender Tendenz würde somit die Auswanderungszahl für den Monat Februar derjenigen der Vorjahre entsprechen.
Während der Berichtszeit wurde dem Beauftragten des ''German Jewish Aid Committee'', London, den Juden Dennis M. Cohnen [sic], die Erlaubnis erteilt, innerhalb der jüdischen Gemeinden geeignete Anwärter zur Auswanderung nach Australien auszusuchen. Es wurden hierfür rund 340 jüdische mittellose Familien mit rund 1.300 Köpfen ausgewählt, die im Laufe dieses Jahres zur Auswanderung gebracht werden.
Selbst die Gruppenauswanderung hatte positive Ergebnisse zu verzeichnen. So wanderten beispielsweise aus Rexingen/Württemberg Kreis Herb, eine Gruppe von 74 jüdischen Siedlern nach Palästina aus, um dort den Grundstein zu einem neuen Dorf zu legen. Weitere Siedler aus dem gleichen Dorf werden ihnen in allernächster Zeit nachfolgen. Auch aus dem Regierungsbezirk Breslau und Oppeln wird eine auffallende Abwanderung von Juden gemeldet.
In Danzig herrschte in den vergangenen Monaten unter den Juden eine starke Nervosität, zumal Gerüchte über angeblich geplante neue judengegnerische Maßnahmen der Regierung in Umlauf waren. So prophezeite man u.a. die Angliederung Danzigs an das Reich und damit eine Einführung der Nürnberger Gesetze . Nachdem der 30. Januar und die Führerrede vom 20. Februar keine Änderung der Lage gebracht haben, ist nun unter der Judenschaft eine wesentliche Beruhigung eingetreten, und man glaubt sogar der Erklärung des Führers über Danzig die Versicherung entnehmen zu können, daß sich der Rechtszustand der Freien Stadt Danzig in absehbarer Zeit nicht ändern wird.
Dementsprechend ist mit einer Verminderung der Abwanderung der Juden aus Danzig zu rechnen. Schon jetzt ist zu beobachten, daß die Auswanderung nach Übersee fast ganz ins Stocken geraten ist. Nur ein Teil der vermögenden Juden veräußert seinen Grundstücks- und Geschäftsbesitz und bereitet sich auf eine Auswanderung nach England, Frankreich und Belgien vor.
Durch die im Reichsgebiet augenblicklich herrschenden Auswanderungstendenzen hat sich bereits eine Anzahl kleinerer jüdischer Organisationen entweder durch die Auswanderung ihrer Leiter oder infolge allgemeinen Mitgliederschwundes aufgelöst.
Die Einwanderungsbeschränkungen der verschiedenen Länder selbst verhindern nach wie vor eine Abwanderung in größerem Ausmaße. In Ecuador wird beispielsweise zur Zeit ein neues Einwanderungsgesetz vorbereitet, das wesentliche Einschränkungen mit sich bringen wird. In Palästina ist die Lage ebenfalls noch ungeklärt. In einigen Wochen wird die neue ''Technische Palästina-Kommission'' aus London nach Palästina fahren, um neue Möglichkeiten zur Lösung der Palästina-Frage zu finden. Bis zur Beendigung dieser neuerlichen Prüfungen kann an eine Änderung der derzeitigen geltenden sehr ungünstigen Einwanderungsbestimmungen nicht gedacht werden.
In Anbetracht dieser Schwierigkeiten ist auch das Judentum selbst bestrebt, neue Einwanderungsmöglichkeiten und -erleichterungen zu schaffen. So hat am 7. Februar in Genf in den Räumen des Völkerbunds-Sekretariats eine zwischenstaatliche Regierungskonferenz zur Beratung von sozialen Hilfsmaßnahmen für Auswanderer stattgefunden. Gegenstand der Erörterungen war insbesondere die Herstellung einer Konvention zwecks Legalisierung des Aufenthaltsstatus der noch in den europäischen Ländern befindlichen Auswanderer. In der Konferenz waren vertreten: Frankreich, England, Norwegen, Holland, Schweden, Schweiz, Tschechoslowakei, Polen, Portugal und Spanien. Von den 23 Artikeln der Vereinbarung ist das als wesentlich hervorzuheben, daß den Auswanderern Ausweispapiere gegeben werden sollen, die die Ausreise und die Wiedereinreise in den betreffenden Staat ermöglichen. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in dem betreffenden Lande soll der Auswanderer ein Recht auf Arbeitsbetätigung haben. Der Vertreter Polens hat die Unterzeichnung dieser Vereinbarung abgelehnt.
Bei der im Reichsgebiet durchgeführten Aktion zur Ausweisung von Juden sowjetrussischer Staatsangehörigkeit entstanden insofern Schwierigkeiten, als die sowjetrussische Vertretung in Berlin sich weigerte, diesen Juden die Einreiseerlaubnis nach Sowjetrußland zu geben. In besonders schwierigen Fällen wurde der ''Hilfsverein der Juden in Deutschland '' angewiesen, für eine sofortige Auswanderung dieser Juden nach Übersee Sorge zu tragen.
Während der Berichtszeit zeigten sich erfreulicherweise Ansätze, den bisher ungebrochenen jüdischen Einfluß auf das Wirtschaftsleben des deutschen Volkes zurückzudrängen. So wurde beispielsweise in der Pfalz etwa einem Drittel aller dort ansässigen jüdischen Viehhändler die Handelserlaubnis entzogen. Im Saargebiet geht der jüdische Einfluß ebenfalls immer mehr zurück. Aus Oberschlesien wird gemeldet, daß dort die Schließung jüdischer Gaststätten und Geschäfte bereits zu einem gewissen Abschluß gekommen ist. Auch in Niederschlesien machen sich die Maßnahmen, die auf den Ausschluß der Juden aus dem gesamten Leben des deutschen Volkes hinzielen, schon erheblich bemerkbar. In einigen Kreisen sind die Juden bereits wirtschaftlich bedeutungslos geworden. Es ist hierbei allerdings zu berücksichtigen, daß dies zum größten Teil mit der Abwanderung der Juden in die Großstädte des Reiches zusammenhängt.
Durch das Eingreifen der Staatspolizeistelle Allenstein ist erreicht worden, daß es in der Stadt Allenstein zur Zeit keinerlei offene jüdische Handels- oder Gewerbebetriebe mehr gibt. Den Anlaß für dieses Vorgehen boten die in der polnischen Presse erschienenen Greuelmeldungen über angebliche Straßenkämpfe in Allenstein, die vermuten ließen, daß die Allensteiner Juden Urheber dieser Presseberichterstattung waren.
Mit der staatlichen Bernstein-Manufaktur GmbH. sowie mit der norddeutschen Bernstein-Industrie wurde die Vereinbarung getroffen, daß in Zukunft ein Verkauf von Bernstein und Bernsteinwaren an jüdische Wiederverkäufer nicht mehr stattfinden soll.
Das bekannte Kaufhaus Schocken in Kottbus, das seit Jahrzehnten eine Monopolstellung in der Niederlausitz innehat, ist bezeichnenderweise in englischen Besitz übergegangen.
Nach dem Erlaß vom 2. Juli 1937 , in dem eine Zusammenfassung der Richtlinien über die Rechtsstellung der Juden im deutschen Schulwesen gegeben wurde, konnte festgestellt werden, daß ein Großteil der vermögenden Juden in Deutschland ihre Kinder zu Studienzwecken in das Ausland schickten. Ein Antrag der ''Reichsvertretung der Juden in Deutschland '' an die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung, die vom Ausland für Schulungszwecke zur Verfügung gestellten £ 30.000 zu genehmigen, gab Veranlassung zur Überprüfung des jüdischen Erziehungswesens im Auslande. Abgesehen von der Art der Transferierung , die für das Reich keine wesentliche Belastung darstellt, zeigte es sich aber, daß 75% dieser jugendlichen Juden an ausländischen Schulen und Universitäten studiert. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß durch diese Juden im rasseunkundigen Ausland einmal ein verzerrtes Bild von deutscher Art und Lebensauffassung zwangsläufig hervorgerufen wird und zum anderen eine weitere Förderung dieser Schulungsart der Züchtung jüdischer Intellektueller gleichkommt, sind zur Zeit Bestrebungen im Gange, hier Änderungen herbeizuführen.
Die Änderungen der Einkommenssteuer, die am 6. Februar dieses Jahres in einer neuen Fassung des Einkommenssteuergesetzes verarbeitet wurden, sehen keine Steuerermäßigungen wegen außergewöhnlicher Belastung für Juden vor. Dieses Gesetz hat die Juden empfindlich getroffen und wird in ihrer Presse lebhaft besprochen.
In Italien mehren sich die Meldungen über antisemitische Bestrebungen. Die ''Informazione Diplomatica'' veröffentlichte am 17. Februar beispielsweise, daß man zwar nicht daran denke, politische, wirtschaftliche und moralische Maßnahmen gegen die 50.000 Juden in Italien zu ergreifen, sondern man nur ihre Stellung gegenüber den 43 Millionen italienischen Katholiken klären wolle. In die Institute, in denen die studierende Jugend erzogen werde, in den Generalstab, in die Börse usw. wolle man nicht mehr Vertreter einer anderen Rasse berufen.
Die antisemitischen Kreise in Italien sind über diese Regierungsäußerungen teilweise sehr enttäuscht oder aber halten sie für taktisch, d.h. für die Öffentlichkeit und das Ausland berechnet, während man in Wirklichkeit gegen die Juden doch strenger vorgehen werde.
In Polen fand eine Tagung sämtlicher jüdischer Organisationen Polens statt, an der zahlreiche Vertreter aus USA, England und Frankreich teilnahmen.
Dabei wurden folgende auch Deutschland berührende Resolutionen gefaßt:
„1. die demokratischen Regierungen müssen mit allen Mitteln gestützt werden, um keine judenfeindliche Regierung an das Ruder gelangen zu lassen.
2. Überprüfung der Auswanderungsmöglichkeiten für 300.000 deutsche und 1.500.000 polnische Juden. Madagaskar wird als Auswanderungsland seiner ungesunden Lage wegen abgelehnt.
3. Verhandlungen mit der Sowjetunion wegen Überlassung eines bestimmten Gebietes zwecks Gründung eines jüdischen Staates.“