Wir haben in diesen Berichten wiederholt (zuletzt in Heft Nr. 8/1936, Seiten A 12 ff.) Material über judengegnerische Maßnahmen veröffentlicht. Im folgenden geben wir eine Anzahl neuerer Erlasse oder Verordnungen von Behörden und letztinstanzlicher Gerichtsurteile wieder, die gegen die Juden gerichtet sind.
Der Reichserziehungsminister Dr. Rust hat Nichtariern die Erteilung von Privatunterricht und die Leitung von Privatschulen verboten.
- Der Reichs- und Preußische Landwirtschaftsminister hat angeordnet, daß Juden als Buchmacher und Buchmachergehilfen nicht mehr zugelassen werden dürfen. Jüdische Medizinalpraktikanten dürfen laut Anweisung des Reichsinnenministers nur noch in jüdischen Krankenhäusern tätig sein. Der Reichsverband der deutschen Zeitungsverleger hat angeordnet, daß Israelitische Gottesdienstnachrichten nicht mehr in der deutschen Presse veröffentlicht werden dürfen. - Juden dürfen laut Verfügung des Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung nicht mehr Beisitzer in den Spruchausschüssen der Arbeitsämter sein.
- Nach einem Erlaß des Chefs der deutschen Polizei, Reichsführer SS Himmler, dürfen in jüdischen Gaststätten keine deutschblütigen weiblichen Angestellten mehr beschäftigt werden. - Die jüdischen Kunsthändler haben von der Reichskulturkammer die Weisung erhalten, sich ihrer Bestände in kürzester Zeit zu entäußern. - Für Kosten, die durch Inanspruchnahme von jüdischen Ärzten, Rechtsanwälten usw. entstanden sind, werden gemäß einem Runderlaß des Reichsministers des Innern keine Unterstützungen an Behördenangehörige mehr gezahlt. Ferner werden Atteste jüdischer Ärzte nicht als ausreichend angesehen.
- Die jüdischen Organisationen und privaten Handelsunternehmen erhielten von den Behörden die Weisung, alle jüdischen Angestellten, die Ausländer sind, zu entlassen. - Sämtliche jüdischen Zeitungen erhielten die Mitteilung, daß sie ab 1. Oktober 1936 der Reichspressekammer nicht mehr angehören und der Kontrolle des Kulturkommissars Hans Hinkel unterstellt werden. Gleichzeitig wurde die Jüdische Telegraphen-Agentur in Berlin aus der Vereinigung der Nachrichten-Agenturen in Deutschland ausgeschlossen.
Die Tätigkeit der jüdischen Kulturbünde ist stark eingeschränkt worden. Im Herbst wurden die leitenden Männer verhaftet, anderen wurde Sprechverbot auferlegt. Theaterstücke, die als „deutsches Kulturgut“ betrachtet werden, aber auch solche, die das Judentum verherrlichen (Lessings „Nathan der Weise“ u. a.) dürfen von jüdischen Organisationen nicht aufgeführt werden. - Für ganz Deutschland sind acht jüdische Schulen behördlich als höhere jüdische Schulen anerkannt worden. Das Gesetz unterscheidet zwischen geschützten (Frontkämpfer-) Kindern und nichtgeschützten (Nicht-Frontkämpfer-) Kindern. Die Unterscheidung ist wichtig, weil nur geschützte Kinder in unbeschränkter Zahl übernommen werden dürfen, für die nichtgeschützten setzt dagegen das Oberpräsidium jedes Jahr eine Quote fest. - Mit Genehmigung des Ministeriums für Kultus und Unterricht ist in Karlsruhe eine Volksschulabteilung für jüdische Kinder errichtet worden. Amtlich wird mitgeteilt, daß die Bamberger Volksschulen judenfrei geworden seien. Für die jüdischen Kinder wurde in der Synagoge eine eigene Schule eingerichtet. - Die thüringischen Behörden haben angeordnet, daß aus den Schulräumen alle Bilder zu entfernen sind, die die Geschichte der Juden im Alten Testament illustrieren. Gleichzeitig wird den Schulleitern empfohlen, sich im Religionsunterricht in möglichst hohem Maße des „Stürmers“ zu bedienen. - Das Kultusministerium hat die die Judenfrage und das Rassenproblem behandelnden Kapitel in Hitlers „Mein Kampf“ als Schul- und Jugend-Lektüre separat herausgegeben. Das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus hat verfügt, daß bei den Lehramtsprüfungen die Rassenkunde einbezogen werden soll. Auf Veranlassung des Reichsrechtsführers, Reichsleiter Dr. Frank, hat das Amt für Rechtsschrifttum im Reichsrechtsamt der NSDAP ein Verzeichnis jüdischer Rechtsautoren in Angriff genommen.
Im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers und dem Reichsinnenminister wurde bestimmt, daß die jüdischen Ruhestandsbeamten, die noch Mitglied des Reichsbunds der deutschen Beamten waren, ausscheiden müssen. Sie verlieren sämtliche für Beamte bestehenden Rechte und Vergünstigungen.
Der Bremer Israelitischen Gemeinde wurde der von ihr seit 30 Jahren zu Gottesdiensten benutzte Union-Saal entzogen.
Der Bürgermeister von Ellwangen hat angeordnet, daß in Zukunft Juden und solche Personen, die mit Juden Geschäfte tätigen, auch politisch Unzuverlässige und solche, die sich gegen die Grundsätze der nationalsozialistischen Weltanschauung ablehnend verhalten, vom städtischen Grundstückserwerb sowie bei Verpachtungen ausgeschlossen bleiben.
Der stellvertretende Bürgermeister von Schramberg hat bekanntgegeben, daß ein „Judenmarkt“ geschaffen werde, auf dem die Stände von den anderen Standinhabern getrennt sind.
Die Stadtverwaltung in Sonnenburg (Neumark) hatte den jüdischen Händlern auf dem Jahrmarkt einen abgesonderten Platz zugewiesen, damit sie nicht zwischen den anderen Ständen ihre Buden aufbauten. Die Juden blieben darauf dem Jahrmarkt fern.
Die Stadtbehörden von Leipzig haben das Denkmal für Felix Men-delssohn-Bartholdy entfernen und zerstören lassen.
Den nichtarischen Deutschen wurde verboten, auf deutschen Golfplätzen zu spielen.
Die Reichsbahndirektion Regensburg hat den nach dem Juden Bettmann benannten Bahnhof Bettmannssäge mit Wirkung vom 1. September 1936 in „Regentalsäge“ umbenannt.
Auf Anordnung des Oberbürgermeisters ist in Dresden der „Judenhof“ in „Neumarkt“ umbenannt worden.
Das Amtsgericht Leipzig hat die Erbeinsetzung eines Juden durch einen Deutschen unter Umgehung der gesetzlichen Erben für nichtig erklärt. - Das Landgericht Berlin hat entschieden, daß ein der NSDAP angehörender Rechtsanwalt einer jüdischen Partei nicht als Pflicht- oder Armenanwalt beigeordnet werden darf. - Der Reichsfinanzhof hat die Vertretung eines arischen Steuerpflichtigen durch seinen jüdischen Rechtsberater als rechtsunwirksam abgelehnt. - Nach einer Entscheidung des Rechtspflegers beim Amtsgericht Worms sind Nationalsozialisten berechtigt, bestellte Waren nicht abzunehmen, wenn der Lieferant Jude ist. - Ein jüdischer Arzt und Sanatoriumsinhaber übertrug nach seiner Auswanderung die Leitung seines Sanatoriums einem Stellvertreter. Diesem wurde jedoch die Erteilung der Konzession zum Betriebe des Sanatoriums verweigert. Die gegen diese Entscheidung erhobene Klage des jüdischen Arztes wurde vom Landesverwaltungsgericht Schwerin abgewiesen, weil der Arzt durch das Verlassen Deutschlands seine staatsfeindliche Gesinnung bewiesen habe. - Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat die Steuerbefreiung (Aufwertungssteuer) für die Schulräume eines jüdischen Schulvereins abgelehnt. - Der Scheinverkauf eines jüdischen Geschäfts an arische Angestellte ist nach einer Entscheidung des Kammergerichts unlauterer Wettbewerb und strafbar. - Die jüdische Firma F. Levy & Sohn nahm einen arischen Teilnehmer auf und wollte sich in „H. Lehmann & Co“ umbenennen. Das Kammergericht bezeichnete diese Firmenänderung als sittenwidrig. - Das Oberlandesgericht in Marienwerder erklärte in einer Urteilsbegründung:
„Diejenigen Volksgenossen, die noch heute beim Juden kaufen, sind kein Teil des deutschen Volkes, der die öffentliche Meinung darstellt. Die deutsche öffentliche Meinung vertritt vielmehr die Auffassung von dem sittlichen Unwert des Einkaufs bei einem Juden.“
Die Kündigung eines jüdischen Beschäftigten ist laut Urteil des Amtsgerichts Hanau keine unbillige Härte, wenn er niemals arbeitslos war. - Ein städtischer Arbeiter in Hamm war entlassen worden, weil seine Frau bei einem Juden eingekauft hatte. Das Arbeitsgericht wies die Widerrufsklage des Entlassenen ab. Ein arischer Angestellter eines Verbandes wurde entlassen, weil er mit einer Jüdin verheiratet ist. Seine Klage wurde vom Landesarbeitsgericht Berlin abgewiesen. - Eine Hausgehilfin, der zugemutet wird, in einem jüdischen Geschäft einzukaufen, darf nach einem Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen fristlos kündigen und hat Anspruch auf den vollen Arbeitslohn bis zum Ablauf der ordnungsmäßigen Kündigungsfrist. - Der jüdische Personalkontrolleur Less, Berlin, war auf Verlangen des nationalsozialistischen Betriebszellenobmannes entlassen worden. Das Landesarbeitsgericht Berlin lehnte die Widerrufsklage ab, da der Kläger zwei uneheliche Kinder von arischen Müttern hat. - Das Kammergericht hat den Lehrvertrag eines weiblichen arischen Mündels mit einem jüdischen Lehrherrn nicht genehmigt.
Die Diffamierung der Juden wird mit allen Mitteln fortgesetzt.
Im Verlag Kohlhammer erschien ein Verzeichnis jüdischer Verfasser juristischer Schriften und im offiziellen deutschen Rechtsverlag ein „Verzeichnis juristischer und nationalökonomischer Schriften jüdischer Autoren“. - In München erschien in zweiter Auflage „Das musikalische Juden-ABC“, in dem alle Komponisten und Musiker jüdischer Abstammung verzeichnet sind. Aus den Katalogen großer deutscher Musikverleger sind sämtliche Namen jüdischer Komponisten und Musiklehrer ausgeschieden worden. - Im Auftrag der NSDAP erschien vor Weihnachten in Breslau ein Verzeichnis der jüdischen Geschäfte in Breslau.
Der Gemeinderat von Fischbach (Pfalz) beschloß, Handwerker und Arbeiter, die von Juden kaufen, von allen öffentlichen Gemeindearbeiten auszuschließen. - In Mörnsheim (im Streicher-Gau) wurden zwei nationalsozialistische Gemeinderatsmitglieder aus dem Gemeinderat entlassen, weil sie mit dem Juden Lang aus Treuchtlingen Geschäfte machten. - Der Erbhofbauer Jacob Meibohm, Ahrenswohlde, Schöffe im Gemeinderat, wurde aus der NSDAP ausgeschlossen, weil er sein Vieh bei dem jüdischen Schlächter Joseph Engel in Ahlerstedt ablieferte und er mit dem Juden mit dem Motorrad durch das Dorf fuhr. - Bei den Rinderschauen der Friesischen Milchviehzüchter-Vereinigung Jeverland wurden mehrere Züchter von dem Wettbewerb ausgeschlossen, weil sie immer noch mit Juden Geschäfte machen. - Von der SA-Standarte 2 in Stettin wurden wegen Einkaufs in jüdischen Geschäften folgende Personen aus der SA ausgeschlossen: Kurt Gloxin (Sturm 3/2), Verbindungsstraße 20, Karl Gericke (Sturm 18/2), Turnerstr. 80, Bodo Schildhauer (Sturm 18/2), Luisenstr. 2. - Der Ratsherr Josef Hansen, Bauer, Buscherhof, wurde aus dem Gemeinderat abberufen, weil er heimlich mit Viehjuden Geschäfte gemacht hat. - In Bann wurde der Ortsbauernführer seines Postens enthoben, weil er Geschäfte mit Juden getätigt hatte. - Das „Hamburger Tageblatt“ veröffentlichte Mitte Oktober die Namen von Beamten, die einen jüdischen Arzt regelmäßig konsultiert haben.
Der Kampf gegen die Juden durch Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz wird mit allen Mitteln fortgeführt.
In Nürnberg berief Julius Streicher die Steuerbeamten aus Franken zu einer Versammlung, in der er ihnen Anweisung gab, wie man sich der Juden mit Hilfe der Administration entledigen könne. - Durch Einführung der Lumpenhändlerkarte soll auch dieser Gewerbezweig „judenrein“ gemacht werden. - Mehr als 2000 jüdische Fleisch-, Fett-und Eier-Händler wurden im Herbst durch das Reichsamt für Nahrungsmittelverteilung zur Liquidation gezwungen. Allein in Berlin mußten mehr als 50 jüdische Getreidefirmen den Betrieb einstellen. In der Provinz wurden jüdische Lebensmittelgeschäfte von der Belieferung mit Fleisch, Butter, Fett und Eiern zum Detailverkauf ausgeschlossen.
- Der Berliner Polizeipräsident hat die Schließung vieler jüdischer Fleischhandlungen und Wurstfabriken Berlins angeordnet. - In Herzogenrath wurde der jüdische Metzger August Rubens aus Herzogenrath wegen asozialen Verhaltens in Schutzhaft genommen und die Schließung seines Geschäftes verfügt. - In einer Reihe von Fällen hat der Reichskommissar für das Kreditwesen Bankunternehmungen die Fortführung des Geschäftsbetriebs untersagt oder die Auflösung veranlaßt. Zu einem großen Teil handelt es sich dabei um jüdische Bankgeschäfte.
- Das Ziskoven-Konservatorium in Bonn, bisher im Besitz eines Nichtariers, konnte sich nicht mehr halten und wurde von der Stadt zu für sie sehr günstigen Bedingungen erworben.
Im Oktober wurde in „feierlichem Rahmen“ die Berlin-Suhler Waffen- und Fahrzeugwerke GmbH in Suhl und Weimar der Wilhelm-Gustloff-Stiftung übergeben. Die Waffenwerke in Suhl befanden sich früher im Besitz der jüdischen Familie Simson. Anfang 1934 verfügte Hitler die Stellung der Waffenwerke unter einen nationalsozialistischen Treuhänder. Im Dezember 1935 wurde die Enteignung der Werke verfügt. Die Familie Simson ging vollkommen leer aus. Um den offenen Raub zu vertuschen, wurde unter der Beschuldigung, die Firma habe das Reich übervorteilt, ein Betrugsverfahren eröffnet. (Siehe Heft Nr. 8/1936, Seite A 14.) - Am 23. 12. wurde der seit 6 Monaten laufende Prozeß beendet. Es wurde beschlossen, das Verfahren gegen den geflohenen Hauptangeklagten „vorläufig“ einzustellen, die verhängte Vermögensbeschlagnahme bleibt jedoch bestehen. Die Angeklagten Bätz und Klett wurden mangels Beweise freigesprochen. Das Verfahren gegen den Angeklagten Gutke wurde auf Grund des Straffreiheitsgesetzes vom 7. August 1934 eingestellt, da er nur zu einer Geldstrafe unter 1000 RMk hätte verurteilt werden können.
In arischen Besitz überführt wurden u. a. die Papiergroßhandlung S.L. Cahan, Berlin, das Schuhhaus Aron & Co., Allenstein, die Basaltstein-Gesellschaft, Schweinfurt und das älteste Spezialwaren- und Ge-schenkartikelhaus im Osten, Gerson Fränkel, Breslau, das Textilwaren-Kaufhaus Gebrüder Alsberg G.m.b.H. Hamm i. Westf., die Herrenbekleidungsfirma Gustav Carsch & Co., Frankfurt und Höchst a. M., die bekannte Firma Louis Schwarz, Schwiebus, die große Konfektionsfirma Loebenstein und Freudenthal, Hildesheim, das große Kaufhaus Barasch, Magdeburg und das Textil- und Modekaufhaus Brummer & Benjamin, Halle/Saale.
Nicht minder wütet der Terror gegen die Juden in den freien Berufen. Über den Rückgang der Zahl der jüdischen Ärzte liegen einige Angaben vor. Danach ist die Gesamtzahl der Kassenärzte in Deutschland von 32 600 im Jahre 1933 auf rund 30 500 im Jahre 1936 gesunken. Im gleichen Zeitraum fiel die Zahl der jüdischen Ärzte von 7500 auf 3500. Anfang 1936 waren noch 3921 jüdische Ärzte in Deutschland tätig, davon 2145 in Berlin. Anfang November 1936 hatte sich die Zahl der Berliner jüdischen Ärzte um weitere 500 bis 600 vermindert. Zwei Drittel der jüdischen Ärzte sind über 45 Jahre alt.
Unseren Berichten entnehmen wir über Terrorakte gegen Juden:
Südwestdeutschland, 1. Bericht: Aus Fischbach wird von einer Zusammenkunft der Geschäftsleute unter dem Vorsitz des Bürgermeister Lambert berichtet, in der scharfer Protest dagegen erhoben wird, daß schon wieder viele Geschäfte mit Juden abgeschlossen werden. Der Bürgermeister schloß nach scharfer Kritik der Zustände seine Rede wie folgt:
„In der Bekämpfung des jüdischen Handels wird in Zukunft keine Sabotage geduldet. Am allerwenigsten von solchen, die von der Gemeinde irgend einen Nutzen ziehen. Unterstützung der Juden wird als Widerstand gegen den Nationalsozialismus betrachtet und dieser Widerstand wird unbarmherzig niedergeschlagen.“
Der Ortsgruppenleiter der NSDAP Höheischweiler erklärte am Schluß eines Vortrages über Nationalsozialismus und Bolschewismus: „Dieser rote Terror ist von Juden ins Werk gesetzt und wird heute noch von diesen unterstützt. Ich erwarte deshalb strengste Beachtung unserer Richtlinien, die ich nochmals bekannt geben werde und nach denen mit Juden keinerlei Geschäfte mehr gemacht werden dürfen.“
Die Landesbauernschaft Saarpfalz gibt folgende Anordnung des Leiters des Landeszuchtverbandes bekannt:
„Der Eintritt zu den von den anerkannten Landeszuchtverbänden durchgeführten Verkaufsveranstaltungen ist nichtarischen Händlern verboten. Ich ordne hiermit an, daß an den Eingängen der Veranstaltungen Schilder angebracht werden: Juden ist der Zutritt nicht gestattet.' “
Infolgedessen mehren sich die Verhaftungen von jüdischen Händlern. Der Schuhhändler Jakob Frank und der Viehhändler Siegfried Löwenstein aus Bergzabern wurden wegen angeblicher Übertretung der Devisengesetze verhaftet.
Die beiden von der Gendarmerie verhafteten Weinhändler Berthold Weil aus Neustadt und Paul Reichlein aus Haardt wurden in das Konzentrationslager Dachau verbracht.
In der Taubergegend sind drei jüdische Viehhändler, Siegfried und Samson Rothschild aus Grünsfeld und Strauß aus Mergentheim, verhaftet worden. Es war ihnen die Handelserlaubnis entzogen worden. Trotzdem scheinen die Bauern der Gegend weiter sehr gern mit ihnen Geschäfte gemacht zu haben, bis die arische Konkurrenz die Gendarmerie in Bewegung setzte.
Die Gendarmerie nahm den jüdischen Weinkommissionär Emil Maier, Maikammer, fest, der beschuldigt wird, sich gegen die Richtpreis-und Schlußscheinvorschriften vergangen zu haben.
Wegen Verstoß gegen die Ausmahlungsvorschriften wurde der Besitzer eines Getreide- und Mehlhandelsbetriebes Isaac Decker, Kirchheimbonlanden, als Volksschädling und Saboteur in Schutzhaft genommen.
Der jüdische Mehlhändler Albert Mayer aus Niederhochstadt wurde denunziert, er habe die Absicht, ins Ausland zu fliehen. Er wurde verhaftet und 60 000 Mark seines Vermögens wurden zur „Sicherstellung“ beschlagnahmt.
Auf Veranlassung der Kreisleitung wurde der jüdische Geschäftsmann Nathan Rosenblatt verhaftet, weil er gegenüber einem „Stürmer“-Verkäufer die Bewegung beleidigt haben soll.
2. Bericht: In Konstanz wurde morgens gegen 1/2 5 Uhr am 1. November von einem Unteroffizier Feuer in der Synagoge bemerkt. Die alarmierte Feuerwehr fand ein Feuer im Innern vor. Außerdem waren die Orgel zerschlagen und die Gold- und Silbergefäße beschädigt. Die alten Schriften, dabei ein alter, handgeschriebener Talmud waren vernichtet. Im Volk ist man allgemein der Meinung, daß dies eine durch die Judenhetze ausgelöste Brandstiftung ist. Die Hetze hat im Seekreis durch das Auftreten von Streicher in Hagenau, Mitte Oktober, erneut Nahrung bekommen. Die Nachforschungen nach den Tätern sind ganz eingeschlafen. Aber die „Bodensee-Zeitung“, das frühere Zentrumsorgan, hat eine Rüge erhalten, weil sie außer dem nichtssagenden amtlichen Bericht noch eine Notiz veröffentlichte, daß mehrere Täter in Betracht kämen.
Der Jude Blum, Rülzheim, wurde verhaftet und ins Landauer Gefängnis eingeliefert, weil ihn ein 13-jähriges Mädchen beschuldigte, er habe auf der Straße nach Rheinzabern das Mädchen überfallen wollen und sei nur davor zurückgeschreckt, weil gerade die ältere Schwester des Wegs kam.
Nordwestdeutschland, 1. Bericht: Die Stadt Emden hat sehr große finanzielle Schwierigkeiten. Sie hat große Teile ihres Grundbesitzes verschleudert und außerdem Grund, der in Erbpacht gegeben ist, zum Kauf angeboten. Diese Finanznot zeitigte auch noch eine andere Begleiterscheinung. Die jüdischen Viehhändler, die auf dem bekannten Zuchtviehmarkt in Leer nur noch hinter einem Stacheldraht an bestimmter Stelle Geschäfte tätigen durften, haben mit dem Emdener Nazibürgermeister verhandelt, ob sie auf dem Emdener Viehmarkt volle Bewegungsfreiheit bekommen können. Das hat man ihnen zugesagt. Von da ab fanden die Märkte in Emden gewaltigen Zulauf. Während hier sonst kaum zwei Dutzend Stück Vieh aufgetrieben wurden, kamen jetzt 300 bis 400 Stück Vieh zum Verkauf. Die jüdischen Viehhändler konnten sich ungehindert zwischen anderen Marktbesuchern bewegen. Der Oberbürgermeister von Leer, der Nazigauinspektor Drescher, kam mehrfach zu Markttagen nach Emden und besah sich das Ganze, machte Notizen und hat sich schließlich in Berlin über den Mangel an antisemitischer Solidarität bei seinem Emdener Rathauskollegen beschwert. Der Oberbürgermeister von Emden erklärte auf eine Berliner Anfrage, daß jedes Stück Vieh, das auf dem Emdener Markt gehandelt würde, der Stadt einen Erlös von 12 bis 14 Mark einbringe und daß die Stadt bei ihrer Finanzlage sich den Verzicht auf diese Einnahmequelle nicht leisten könne. Diese Entscheidung hat man im Reichs-Landwirtschaftsministerium gutgeheißen und nun blieb dem Nazibonzen von Leer, der natürlich den Markt bei sich behalten wollte, nichts anderes übrig, als ebenfalls alle Beschränkungen gegenüber jüdischen Viehhändlern aufzuheben. Das ist geschehen. Leer hat wieder große Märkte.
2. Bericht: Ein in jüdischem Besitz befindliches Kaufhaus in einer der Städte des Berichtsgebietes ist jetzt vom Inhaber an einen Nationalsozialisten vermietet worden. (Es handelt sich um einen Inhaber des sogenannten Blutordens.) Nachdem dadurch der Boykott aufgehoben ist, wird in dem Kaufhaus außerordentlich stark gekauft. So stark, daß sich Mittelständler bei der Kreisleitung beschwerten, daß doch der Inhaber immer noch der Jude sei und durch die Miete verdiene. Bis jetzt ist aber noch keine Änderung eingetreten.
3. Bericht: Eine Jüdin kam vor kurzem zur Untersuchung in ein städtisches Krankenhaus. Der Chefarzt erklärte ihr nach der Untersuchung: „Ihr Fall ist ganz ernst. Sie müssen sofort operiert werden, sonst besteht Lebensgefahr. Aber ich muß Ihnen gleichzeitig mitteilen, daß ich Sie nicht operieren darf. Wenn ich Sie in dieses Krankenhaus aufnehme, kostet mich das meine Stellung. Doch ich will mit meinem Kollegen vom katholischen Krankenhaus sprechen, daß er Sie sofort operiert.“ So geschah es dann auch.
Eine junge Jüdin, ziemlich vermögend, hat die Auswanderungserlaubnis erhalten. Wegfahren kann sie aber doch nicht, da sie bei der Ankunft 500 Dollar vorweisen muß, wofür sie keine Devisen bekommt.
Diese junge Jüdin war kürzlich bei Bekannten eingeladen und saß mit ihrer Freundin am Kaffeetisch, als der 10-jährige Sohn nach Hause kam.
Die Mutter forderte den Jungen auf, sich zu ihnen an den Tisch zu setzen, doch der Junge protestierte mit der Begründung, „er wolle nicht neben einer Jüdin sitzen“. Als der Vater von der Arbeit nach Hause kam, sagte die Frau zu ihm, daß der Junge ungezogen gewesen sei. Der Bengel, natürlich HJ (Jungvolk), bekam darauf vom Vater eine Ohrfeige. Am nächsten Morgen beklagte sich der Junge bei seinem Lehrer:
„Mein Vater hat mich gezüchtigt, weil ich mich geweigert habe, mit einer Jüdin in Berührung zu geraten.“ 2 Stunden später war der Vater arbeitslos!
Sachsen: Ein Schwerkriegsbeschädigter wartete vor einem Einheitspreisgeschäft auf seine Frau, die dort einkaufte, als er von einem Mann in Zivil nach der Höhe seiner Rente, dem Grad seiner Verwundung, seinem Namen usw. gefragt wurde. Er wies den Fragesteller scharf zurück mit der Bemerkung, wenn er etwas wolle, solle er einen Beamten holen, dem werde er schon Rede und Antwort stehen. Der Fragesteller ließ sich aber nicht abweisen, zeigte einen Ausweis der NSDAP und wies darauf hin, daß er als Kriegsbeschädigter doch Gelder des Staates beziehe und daß er damit durch das Einkäufen im Einheitspreisgeschäft die Juden unterstütze. Das sei Verrat am Volke und ein guter Nationalsozialist könne sich das nicht gefallen lassen. Der Kriegsbeschädigte ließ sich aber nicht einschüchtern: Von den paar Pfennigen, die er als Rente erhalte, müsse er kaufen, wo es am billigsten sei. Damit ließ er den Fragesteller stehen, der derart verdutzt war, daß er es unterließ, einen Beamten zu informieren.
In Bad Elster praktizieren noch drei jüdische Ärzte. Dr. Löwenherz, Dr. Helm und Dr. Peters. Weil sich unter den Kurgästen viel Juden befinden, ließ man diese drei Ärzte bisher unbehelligt. Jetzt hat man ihnen aber die Kassenarztpraxis ohne Angabe von Gründen entzogen.
Schlesien: Die SA hat dem jüdischen Händler Brauer und dem jüdischen Gastwirt Deutsch in Klausenberg die Schaufenster eingeschlagen. Dann wurde von den Nazis in Umlauf gesetzt, die Kommunisten seien schon wieder frech und veranstalteten Judenpogrome, um dann im Ausland damit Propaganda zu machen, daß die Juden in Deutschland verfolgt würden.
Die „Rassenschande“ - Justiz arbeitet mit gesteigerter Heftigkeit. (Wir haben wiederholt - zuletzt im August-Heft 1936, Seite A 27 ff. - die bekanntgewordenen Rassenschande-Urteile veröffentlicht.) Obwohl schon für versuchte Rassenschande bis zu 2Vä Jahren Zuchthaus verhängt worden ist, verlangen die Nationalsozialisten eine weitere Verschärfung der Rechtsprechung. Die Nazizeitungen, mit dem „Stürmer“ an der Spitze, beschimpfen Richter, die milde „Rassenschande“-Urteile fällen. Der Reichsjustizminister hat bereits im Frühjahr 1936 Richtlinien an die Staatsanwaltschaften herausgegeben, in denen betont wurde, daß von jetzt an, nachdem eine gewisse Übergangszeit abgelaufen sei, die Zuwiderhandlungen dann als zuchthauswürdige Delikte angesehen werden müßten, wenn sie sich in das Jahr 1936 hinein erstreckten. Um eine möglichst weitgehende Einheitlichkeit der Rechtsprechung auf dem Gebiet des Rasseschutzes herbeizuführen, hat der Reichsjustizminister die Einrichtung von Spezialstrafkammern angeordnet. Mitte November fanden Besprechungen zwischen Vertretern des Reichsjustizministeriums und der sonstigen beteiligten Zentralstellen, Richtern und Staatsanwälten über die Handhabung der Rasse-schutz-Bestimmungen der Nürnberger Gesetze statt. Staatssekretär Dr. Freisler verlangte, daß die Strafverfolgungsbehörden sich mit allem Nachdruck für die unbedingte Durchsetzung des Gesetzes einsetzen, wie es ihnen der Reichsminister der Justiz schon wiederholt zur Pflicht gemacht habe. Er teilte mit, daß der Hundertsatz der wegen Rassenschande ergangenen Zuchthausurteile in den letzten Monaten ständig gestiegen sei.
Die uns in den letzten vier Monaten bekanntgewordenen Urteile wegen „Rassenschande“ sind in der nachstehenden Übersicht zusammengefaßt: [Es folgt eine Liste mit Namen, Orten und Urteilshöhe.]
Insgesamt sind also in 4 Monaten über 100 „Rassenschänder“ verurteilt worden. Weitere 53 sind neu verhaftet worden und sehen ihrer Aburteilung entgegen.
Neuerdings gehen auch die Gerichte gegen die „rassenschändenden“ Frauen vor. Da eine Verurteilung auf Grund der Nürnberger Gesetze nicht möglich ist, werden sie wegen „Begünstigung bei einem Vergehen gegen das Blutschutzgesetz“ verurteilt.
Die Große Strafkammer in Braunschweig verurteilte eine Deutschblütige zu 1 Jahr Gefängnis. Die gleiche Strafe erhielt eine deutschblütige Frankfurterin, die am 7. 10. vom Bezirksschöffengericht Darmstadt verurteilt wurde. Die Jüdin Alice Simon, Köln, erhielt wegen Rassenschandebegünstigung 6 Monate Gefängnis.