Menü
Chronik und Quellen
1936
Februar 1936

Die SoPaDe berichtet

In der Februar-Ausgabe 1936 heißt es in den „Deutschland-Berichten“ der Sopade:

Ein besonders trauriges Kapitel ist der Terror in der Schule, der gegen die jüdischen Kinder und die Kinder Andersdenkender geübt wird. Bewußt oder unbewußt werden die Kinder zu Spitzeln und Angebern gegen ihr eigenes Elternhaus erzogen.

Nordwestdeutschland: Ein etwa lljähriger jüdischer Junge besuchte das Gymnasium in X. Er hatte mit seinen Klassenkameraden den besten Umgang, bis ihm eines Tages seine engeren Freunde mitteilten:

„Wir möchten wohl noch gern mit Dir sprechen und spielen, aber das ist uns durch die Hitlerjugend verboten worden.“ Von da ab war der arme Junge völlig isoliert, denn niemand kümmerte sich um ihn. Jeden Tag und in jeder Pause stand dieses elfjährige Kind einsam an der Mauer des Gymnasiums oder in einer Ecke des Schulhofes. Seine Nerven waren natürlich diesem „Boykott“ auf die Dauer nicht gewachsen und so kam es schließlich jeden Tag weinend aus der Schule nach Hause und erklärte den Eltern: „Ich gehe da nicht mehr hin, ich halte das nicht aus.“ Immer wieder redeten ihm die Eltern gut zu, immer wieder ging das Kind zur Schule und immer wieder begann täglich sein Martyrium von neuem. Schließlich schrieb der Vater einen Brief an den Direktor des Gymnasiums, in dem er diesen fragte, ob ein unschuldiges Kind derart behandelt werden müsse und ihn um Abhilfe bat. Der Vater bekam von dem Direktor ein zynisches Antwortschreiben, in dem es u. a. hieß: „Wir machen es eben nicht so wie die anderen. Wir nähren nicht die Schlangen an unserem Busen. Die Behandlung des Knaben ist ganz in Ordnung.“ Es blieb dem Vater nichts übrig, als dieses gequälte Kind auf eine jüdische Schule in einer Großstadt zu schicken.

Dazu das Gegenstück: In derselben Stadt lebt eine Ingenieursfamilie, deren zwei älteste Jungen in der Hitlerjugend sind. An einem Morgen in den Weihnachtsferien sitzt die Mutter mit den Jungen beim zweiten Frühstück; auch die Bedienungsfrau ist zugegen. Das Gespräch kommt auf das Thema „Juden“. Im Laufe des Gesprächs erklärt die Bedienungsfrau: „Solange der Staat noch Steuern und sonstige Gelder von den Juden nimmt, werde ich bei Juden kaufen. Dazu kommt noch, daß mein geringes Einkommen mich zwingt, in jüdischen Geschäften zu kaufen, denn dort ist es meist billiger.“ Der älteste Sohn (15 Jahre) erhebt sich darauf zähneknirschend, Tränen der Wut laufen ihm übers Gesicht und er verläßt hastig das Zimmer. Die Mutter aber sagt tieftraurig zu der Arbeiterfrau: „Da sehen Sie, wie unsere Kinder fanatisiert werden. Das Schlimmste und Schmerzlichste für uns Eltern aber ist, daß wir dagegen nichts tun können und dürfen. Wenn ich nun z. B. dem Jungen irgendwelche Vorhaltungen machte, so könnte ich bestimmt damit rechnen, daß er mich bei dem örtlichen Führer der Hitlerjugend denunziert mit dem Erfolg, daß mein Mann in seiner Stellung Schwierigkeiten bekäme, wenn er sie nicht vielleicht gar verlöre.“

Baum wird geladen...