Verordnung zum Reichsbürgersgesetz
Verordnung zum Reichsbürgersgesetz
Staatssekretär Stuckart protokolliert am 19. März 1941 eine Besprechung über den Entwurf der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz:
Betrifft: Entwurf der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz nebst Durchführungsverordnung
In der Besprechung am 15. März 1941 hat sich die Notwendigkeit ergeben, über die in Aussicht genommenen Maßnahmen gegen die Juden vorerst eine Entscheidung des Führers einzuholen. Zur Vorbereitung hierfür werden der anliegende Entwurf einer 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz sowie der Entwurf einer Durchführungsverordnung mit der Bitte um umgehende Stellungnahme übersandt.
In dem Entwurf der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz sind die Bestimmungen über die Staatenlosigkeit der Juden und über den Vermögensverfall zusammengefaßt. Da der Vermögensverfall als unmittelbare Folge des Verlustes der Staatsangehörigkeit eintritt, scheint es mir vertretbar, auch ihn auf das Reichsbürgergesetz zu stützen.
In den Entwurf sind nur die grundlegenden Bestimmungen aufgenommen, während die technischen Einzelheiten, insbesondere die Bestimmungen über den Eintritt und die Durchführung des Vermögensverfalls, in die Durchführungsverordnung übernommen sind.
In der Besprechung wurde vorbehaltlich der endgültigen Stellungnahme des Vertreters des Reichsmarschalls Einverständnis darüber erzielt, daß die in privilegierter Mischehe lebenden Juden ebenfalls zwar die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren sollen, daß aber bei ihnen die Folgen, die mit der Staatenlosigkeit verbunden sind, nur eintreten sollen, soweit es ausdrücklich angeordnet wird. Die Frage, ob noch weitere Personengruppen generell von den Folgen der Staatenlosigkeit auszunehmen seien, konnte in der Besprechung nicht abschließend behandelt werden. Es wird daher um baldmöglichste Stellungnahme hierzu gebeten. Der Herr Reichsarbeitsminister wird hierbei gebeten, besonders die Frage zu berücksichtigen, ob generelle Ausnahmen für den Bereich des Schwerbeschädigtengesetzes und des Reichsversorgungsgesetzes für notwendig gehalten werden.
Bei Frontkämpfern aus dem Weltkrieg, die für eine Ausnahmebehandlung in Betracht kommen könnten, wurde in der Besprechung darauf hingewiesen, daß für sie in den gesetzlichen Regelungen der letzten Jahre keine Ausnahmen mehr vorgesehen worden sind. In dem anliegenden Entwurf sind außer den privilegierten Mischehen (§ 1 der Durchführungsverordnung) keine generellen Ausnahmen vorgesehen. Die Entziehung der Staatsangehörigkeit der Juden verfolgt das Ziel, sie in einen niedrigeren Status einzustufen. Soweit sie auf einzelnen Rechtsgebieten durch die Staatenlosigkeit besser gestellt werden sollten, herrschte Einigkeit darüber, daß diese Rechtsfolgen auszuschließen seien. Der Herr Reichsjustizminister prüft bereits, ob dieser Gesichtspunkt z. B. bei den Strafbestimmungen des Hoch- und Landesverrats, die für die Staatsangehörigen strenger als für Staatenlose sind, eine Sonderregelung für die staatenlos werdenden Juden erfordert.
Bei den im Inland lebenden Juden tritt durch den Verlust der Staatsangehörigkeit ein Ruhen der Pensionsbezüge gemäß § 120 des DBG ein. Inwieweit von der im § 128 vorgesehenen Ausnahmebestimmung Gebrauch zu machen ist, bedarf noch der Klärung. Ich bitte um Stellungnahme hierzu. Die Regelung wird im Verwaltungswege getroffen werden können.
Der Vermögensverfall trifft die Juden, die die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren, wenn sie keinen gewöhnlichen Aufenthalt innerhalb des Reichsgebietes haben oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Reichsgebiet später aufgeben. Da das Generalgouvernement nicht Reichsgebiet ist, fallen die dort lebenden Staatsangehörigen Juden unter die Bestimmungen des Vermögensverfalls.
Der Vermögensverfall trifft nicht die in privilegierter Mischehe lebenden Juden infolge ihrer generellen Befreiung von den Folgen der Staatenlosigkeit. Weitere Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Auf Wunsch des Vertreters des Reichsfinanzministers ist bei der Bestimmung über die Schuldenhaftung des Reichs in § 3 der Durchführungsverordnung ausdrücklich die Haftung für familienrechtliche Unterhaltungsansprüche ausgeschlossen. § 7 der Durchführungsverordnung bietet die Möglichkeit, Härtefälle zu beseitigen. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß für den Erlaß der Verordnung außer den allgemeinen Gründen, die in der Entwicklung der Bevölkerungszusammensetzung des Großdeutschen Reichs liegen und in meinem Einladungsschreiben vom 13. März 1941 - I c 5637 VII/40 - 5016 - eingehend dargelegt sind, auch praktische Erwägungen maßgebend sind. Das Ausscheiden der im Auslande lebenden Juden aus der Staatsangehörigkeit bedeutet eine erhebliche Entlastung der Auslandsvertretungen, die von der Betreuung dieses Personenkreises, von Anträgen auf Paßausstellungen bezw. -Verlängerungen, von Rückübernahme-Anträgen im Falle der Bedürftigkeit befreit werden. Auch für die im Inland lebenden Juden tritt eine dringend notwendige Klärung der Verhältnisse dadurch ein, daß sie nunmehr endgültig aus dem Staatsvolke ausscheiden. Es wird dadurch der vom innerpolitischen Standpunkt mißliche Umstand vermieden, daß die gegen die Juden zu ergreifenden Maßnahmen wie Abschiebungen usw. gegen Staatsangehörige durchzuführen sind. Auch die Bestimmungen über den Verfall des Vermögens der im Ausland lebenden Juden bedeuten eine wesentliche Vereinfachung der Liquidation dieses Teils des Judenvermögens. Bisher konnte hier nur im Zusammenhang mit der Aberkennung der Staatsangehörigkeit gemäß § 2 des Gesetzes vom r4. Juli 1933 (RGBl I S. 480) vorgegangen werden, wobei nach dem Wortlaut des Gesetzes im Einzelfall ein staatsfeindliches, die Belange des Reichs schädigendes Verhalten des Juden festgestellt werden mußte. Dieses zeitraubende, die beteiligten Reichsressorts (Auswärtiges Amt, Reichsfinanzministerium, Reichsminister des Innern, Geheimes Staatspolizeiamt) über Gebühr belastende Verfahren würde durch die Verordnung hinfällig und wesentlich vereinfacht werden.
Da das Auswärtige Amt Wert darauf legt, daß die Verordnung im zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkraftsetzen des Englandhilfsgesetzes durch [die] USA erlassen wird, ist größte Beschleunigung erforderlich. Ich bitte daher, mir Ihre Äußerung bis zum 26. März 1941 zugehen zu lassen.
Abschrift
Verordnung zur Durchführung der rr. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom ...
Auf Grund des § 3 der rr. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom ... wird hiermit verordnet:
§ 1
(1) Im Falle einer Mischehe treten die Folgen, die sich aus dem Verlust der Staatsangehörigkeit gemäß § 1 der n. Verordnung zum Reichsbürgergesetz ergeben, nicht ein
a) für den jüdischen Eheteil, wenn Abkömmlinge aus der Ehe vorhanden sind und diese nicht als Juden gelten, und zwar auch dann, wenn die Ehe nicht mehr besteht;
b) für die jüdische Ehefrau auch dann, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind, für die Dauer der Ehe.
Dies gilt nicht, wenn sowohl die Ehegatten wie die aus der Mischehe etwa hervorgegangenen Kinder den gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Reichsgebietes haben.
(2) Der Reichsminister des Innern kann im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers anordnen, daß die Folgen, die sich aus dem Verlust der Staatsangehörigkeit ergeben, für die in Absatz r genannten Personen gleichwohl eintreten.
§ 2
(1) Der Vermögensverfall nach § 2 der Verordnung tritt bei den Juden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei Inkrafttreten der Verordnung nicht im Reichsgebiet haben, mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung ein, bei Juden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Reichsgebiet später aufgeben, mit dem Zeitpunkt des Aufgebens des gewöhnlichen Aufenthalts.
(2) Das Vermögen der Juden, die auf Grund des § 2 des Gesetzes über den Widerruf und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 - RGBl I S. 480 -die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, verfällt dem Reich, sofern es nicht vorher für verfallen erklärt worden ist.
§3
(1) Das Reich haftet für Schulden, die zu dem verfallenen Vermögen gehören, nur bis zur Höhe des Verkaufswerts der in der Verfügungsgewalt des Reichs befindlichen verfallenen Gegenstände. Die Haftung für familienrechtliche Unterhaltungsansprüche wird ausgeschlossen.
(2) Rechte an Gegenständen des verfallenen Vermögens bleiben bestehen.
(3) Im Fall der Überschuldung findet auf Antrag des Oberfinanzpräsidenten in Berlin oder eines Gläubigers über das Vermögen ein Konkursverfahren nach Maßgabe der Vorschriften der Konkursordnung statt. Der Konkursverwalter ist im Einvernehmen mit der für den Besitz des Konkursgerichts zuständigen unteren Verwaltungsbehörde zu bestellen und auf deren Verlangen abzuberufen.
§4
(1) Alle Personen, die eine zu den verfallenen Vermögen gehörige Sache im Besitz haben oder zu der Vermögensmasse etwas schuldig sind, haben den Besitz der Sache oder das Bestehen der Schuld dem Oberfinanzpräsidenten in Berlin innerhalb eines Jahres nach Eintritt des Vermögensverfalls (§ 2 Abs. 1) anzuzeigen.
(2) Forderungen gegen das verfallene Vermögen sind innerhalb von einem Jahr nach Eintritt des Vermögensverfalls (§ 2 Abs. 1) bei dem Oberfinanzpräsidenten in Berlin anzumelden. Die Befriedigung von Forderungen, die nach Ablauf der Frist geltend gemacht werden, kann ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden.
§5
(1) Die Feststellung, ob die Voraussetzungen für den Vermögensverfall vorliegen, trifft der Chef der Sicherheitspolizei und des SD.
(2) Die Verwaltung und Verwertung des verfallenen Vermögens liegt dem Oberfinanzpräsidenten in Berlin ob.
§6
(1) Soweit die Grundbücher durch den Vermögensverfall unrichtig sind, sind sie auf Ersuchen des Oberfinanzpräsidenten in Berlin gebührenfrei zu berichtigen.
(2) Die Vorschriften des § 1 Abs. 4,5 der zweiten Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Gewährung von Entschädigungen bei der Einziehung oder dem Übergang von Vermögen vom 18.3.1938 - RGBl I S. 317 - sind entsprechend anzuwenden.
(3) Gehört ein durch eine Berichtigung gemäß den vorstehenden Bestimmungen betroffenes Recht nicht zu einem verfallenen Vermögen, so hat das Reich dem Berechtigten den ihm hierdurch entstehenden Schaden zu ersetzen; inwieweit entgangener Gewinn zu ersetzen ist, bestimmt der Richter nach billigem Ermessen.
§7
Zur Vermeidung von Härten kann der Reichsminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern eine abweichende Regelung treffen.
Berlin, den ...
Der Reichsminister des Innern
Der Stellvertreter des Führers
Der Reichsminister der Finanzen