Menü
Chronik und Quellen
1941
März 1941

Schweres Leben in Shanghai

Helene und Albin Fischer in Shanghai schildern Mimi Weisz in den USA am 8. März 1941, welche Sorgen ihnen die Aussicht bereitet, die Eltern aus Wien bei sich aufzunehmen:

Liebste Mimi,

ich habe eben vor 5 Minuten Deinen Brief erhalten u. bin sehr froh, daß Du im Bilde bist u. uns schreibst. Wir haben erst vor 5 Tagen die Berichte Deiner Eltern erhalten u. waren ganz gebrochen darüber. Weniger, daß sie von Wien wegwollen (denn dort zu leben ist wahrlich kein Vergnügen), als daß es uns seit drei Monaten durch die hiesige wahnsinnige Teuerung u. eine fast dreimonatige Arbeitslosigkeit - (besser gesagt, Verdienstlosigkeit, denn Kostenvoranschläge gab es, aber auch nicht mehr) - Albins sehr schwer und schlecht geht. Nun, das Gefühl, zwei alte Menschen herzubekommen, die Erholung brauchten, u. selbst jede Schnitte Brot berechnen zu müssen, ist eine bittere Situation. Ich bin auch außer mir, was mit Blanka u. Ilka geschehen soll. Ich schrieb Deinen Eltern postwendend, daß, wenn es ein Muß ist, sie unter allen Umständen her-kommen sollen. Wenn es kein Muß ist, dann nicht, sie kämen gerade in den Sommer u. der ist ein halbes Todesurteil. Besonders für Mutter, die schon in Wien die Hitze nicht ertragen konnte. Nun, da ich aber das „Muß“ annehmen will, denn wie könnten sie sonst Ilka u. Bl. verlassen, habe ich geschrieben, daß wir versuchen wollen, sie ins Heim für alte Leute unterzubringen u. dazuzahlen, daß es ihnen besser geht, sollten sie aber Landungsgeld bringen, dann nimmt man sie dort nicht, dann nehmen wir ein kleines Zim-merl. Mutter soll sich einen Petroleumkocher bringen, u. es wird auch gehen müssen. Sie müßten ja in Hongkew wohnen, wo alles deutsch spricht, es billiger ist und weniger heiß u. weniger Moskitos. Es läßt sich nichts im vorhinein fixieren, wir müssen abwarten, unter was für Umständen sie kommen. Mit ihrem Weitergehen nach Amerika ist nicht zu rechnen, wer soll denn die Reise zahlen? Wenn sie jetzt das Affidavit rechtzeitig bekommen, jetzt hätten sie hinkönnen, denn jetzt werden sie Geld für das Schindlergassehaus bekommen, aber das wird aufgehen für die Reise hierher, Landungsgeld, u. sie müssen doch um Gotteswillen für Ilka u. Bl. etwas zurücklassen. Hier ist es in U.S.-Dollar umgerechnet sehr billig, aber wir verdienen leider in Shanghaidollar, u. das ist böse. Die Eltern könnten für 15-20 U.S.-Dollar im Monat bescheiden leben, d.h. sie brauchten 300 Sh.-Dollar, um wirklich bescheiden leben zu können. Wenn Du 10 U.S.-Dollar monatlich schicken könntest u. sie etwas bringen u. wir etwas geben, müßte es möglich sein, sie zu erhalten. Leider sind hier böse Aussichten, u. wenn es zu einem jap.-amerik. Krieg kommen sollte, dann hört vermutlich jede Verbindung auf. Albin war ganz gebrochen, er mußte doch den Eltern die Wahrheit schreiben, daß ich seit Monaten fast allein die Familie erhalte, u. Du kannst Dir denken, daß das weder in grandioser Form geschieht, noch für ihn angenehm ist. Außerdem ist es mir auch sehr unangenehm, wenn meine Eltern erfahren, daß es uns nicht so gut geht, wie man glaubt. Von meinen Eltern habe ich sehr gedrückte Briefe, aber sie schreiben nichts Konkretes. Meine Mutter will mir das Herz nicht schwermachen, aber es ist doch schwer. Pauli dürfte ja vor besonderen Attacken durch Willi geschützt sein, sie schreibt wohl, daß sie das abgeschlossenste Leben der Welt führt, aber sie scheint Ruhe zu haben. Er ist in seiner Stellung avanciert, nicht im Krieg, also das Ärgste ist vermieden. Mittlerweile ist ja der Krieg näher zu Wien gekommen, u. ich nehme mit Sicherheit an, daß Wien gebombt werden wird. Die Kinder, Albin u. ich sind gesund, erstere ganz brav, in der Schule sehr brav. Eva hat bei einer Ausschreibung der Antituberkulosegesellschaft für Hoch- u. Mittelschüler mitkonkurriert u. für ihre Arbeit den zweiten Preis hier bekommen. Sie hat sich sehr gefreut, besonders, da sie in der Zeitung stand u. etwas Geld dafür bekommen wird. Das ist ja das Schwere hier, daß wir so viel Schulgeld bezahlen müssen, während das in Amerika umsonst ist. Hier gibt es keine Gratisschule, aber auch keinen Schulzwang. Wenn Du willst, kannst Du lustig als Analphabet aufwachsen. Ich arbeite wie gewöhnlich, leider kommt nichts Neues zu, u. ich brauchte es so. Albin, schrieb ich schon, hat eine böse Zeit, u. wenn er mit Kunden zu tun hat, sind es immer Emigranten, u. die sind so ordinär, daß er sich alle Sünden abkommt. Du schreibst, daß wir uns um die Landungsmöglichkeit der Eltern u. Ernsts Familie kümmern sollen. Das ist nun unmöglich. Um ein Permit einzureichen, gehören Formalitäten [dazu], das dauert Monate. Es ist nun a conto der besonderen Umstände eine Möglichkeit, einen gewissen Betrag bei der Wiener Kultusgemeinde einzuzahlen (5-10000 Mark per Kopf), dafür verschaffen sie Reise, Landungsgeld etc. Natürlich kann das morgen von den Japanern umgestoßen werden, u. kein Mensch kann etwas machen. Du darfst nicht vergessen, daß wir bei jap. Behörden ebensoviel Möglichkeiten wie bei Nazibehörden haben, wir können nicht einmal hinein. Da aber die Reisenden durch Mandschukuo durchmüssen, ist es absolut in den Händen der Jap., ob sie kommen oder nicht, da hilft auch kein Settlementspermit, wenn die nicht wollen. Trotzdem wäre es gut, eines zu haben, aber die Vormerkungen gehen jetzt bis Sept., und ohne die Daten von Ernsts Familie u. Bescheid über ihre materiellen Verhältnisse hat es überhaupt keinen Sinn, bei der englischen Polizei anzufragen. Was Du von Viki schreibst, ist doch lächerlich, Mimi, glaubst Du wirklich, daß ein Mensch, der das über sich brachte, der uns alle, vor allem seine Eltern, ruhig verrecken ließe in Wien, plötzlich helfen wird? Was mich sehr freut, ist, daß Ditta doch die Möglichkeit hat, auch noch weiterzulernen. Ich laß sie u. Hansl herzlichst küssen, es tut mir sehr sehr leid, daß unsere Kinder so losgerissen von aller Verwandtschaft sind. Nun, leb wohl, Mimi, wir werden ja weiter voneinander hören. Bleibt gesund,

Alles Liebe von Eurer Helene

Meine liebste Mimi! Dir hätte ich ja schon früher die Wahrheit geschrieben. Ich habe voriges Jahr ganz gut zu tun gehabt, aber niemals so viel, um allein alles besorgen zu können. Heuer habe ich im Jänner die letzte Arbeit übernommen, war im Februar fertig, u. Ende März erst eine kleine übernommen, wo ein Verdienst von $ 150 blieb. Zins (ohne Heizung) macht allein über $ 180 aus. Der erneute Kriegsausbruch brachte wieder eine Verschlechterung. Ein Umsatteln ist nicht möglich, Hausierer gibt es schon mehr als genug, u. der Verdiensteinsatz kann nicht größer sein. Vater kann hier unmöglich mehr was anfangen, wie er glaubt, u. die Mutter kann mit Heimarbeit nicht einmal das Brot verdienen. Helene beschrieb alles richtig. Das gefährlichste ist halt, und das kann man den Eltern nicht schreiben, der Sommer. Ich war voriges Jahr ganz gebrochen. Die Sterbefälle sind auch danach. Kann man das aber so kraß heraussagen! Selbstverständlich kommen alle möglichen Krankheiten, u. da ist der Arzt, wenn er es noch so billig macht, unerschwinglich, u. darum möchte ich die Eltern im Heim unterbringen. Nur habe ich wenig Hoffnung, daß es gelingen wird. Zubessern müßte man stark, denn das Essen ist schlecht u. wenig, Hauptsache ist aber das andere. Rätselhaft ist immer der weitere Verlauf Ilkas u. Blankas Zukunft. Viki - = 0,00, am kürzesten ausgedrückt. Worte erspare ich mir. Ich wäre der glücklichste Mensch, wenn ich helfen könnte. Deine Eltern müssen denselben Weg einschlagen wie unsere Leute. Hier einreichen, dauert mehr als Monate, es ist unmöglich zum Auswarten, beschleunigt wäre es, wenn hier für jede Person $ (gold) 400,00 [hintjerlegt werden würden. Das können wir doch alle nicht. Das größte Malheur, das wir hier haben, ist, daß der ganze Schmuck Helenes (also unsere Reserve) gestohlen wurde. Ich bitte dies ja nicht nach Hause zu schreiben, denn es wäre die größte Kränkung für die Schwiegermutter u. ändern kann man es nicht. Laß nur die Kinder recht, recht grüßen, Hansl möchte ich gerne mal verstohlen zuschauen. Wenn Du früher Nachricht hast wie wir (von den Eltern), schreib. Wenn Du kannst, schicke auch etwas Geld, daß die Eltern einen Stock haben, denn wer weiß, was die Verhältnisse noch bringen.

Ich küsse Euch alle Euer Albin

Baum wird geladen...