Wachsende Bedrängnis
Anna Samuel aus Berlin schildert ihrer Freundin Else Schubert am 11. Februar 1941 ihre wachsende Bedrängnis:
Liebe Else!
Gewiß sind wieder Zeilen von Dir auf dem Weg zu uns, Du liebe Briefgetreue! Wir verbrachten heute ruhige Stunden bei der Geheimrätin, zu der Du uns mal begleitetest. Sie hatte endlich aus Lissabon Palästina-Nachricht ihrer Tochter. Sagt, daß man auf dem Wege leider nicht antworten dürfe. Ich ordnete heute ein Bücherregal, d. h. ich untersuchte es auf Inhalt, der Hans gehört. Ich füllte einen Karton, morgen kommt der Spielschrank heran. Der u. all das von H. geht mit Deiner Erlaubnis, die Bank auch, an Dich. Eventuell die hinterlassenen Papiere etc. in Kiste per Fracht mit, Abs. Borchardt. Oder hast Du andere Vorschläge? Du untersuchst ohne Eile, wenn Du Muße u. Lust dazu hast, die Papiere, wirfst fort, was Dir des Aufhebens unwert scheint. Es sind z. B. Photokopien von Zeugnissen, auch Musiklehrer-Diplom etc. dabei. Man weiß nicht, wo u. wann man die brauchen [wird]. Originale sind wohl im Lift (?), der - wir bekamen Bestätigung - in Trieste steht - bis der Krieg endet! Bei Dir weiß ichs ja gut aufgehoben, wir werden uns so verkleinern müssen, ob bald, ist noch ungewiß.
Nach dem gr[oßen] Geldabzug, „Sozialausgleichssteuer“ genannt, nur für /[uden], fast 100 monatl., möchten wir billiger wohnen, aber noch ist nichts gefunden. Und vielleicht - es sind Anzeichen dafür da - müssen wir schnell heraus.
Mein Mann möchte Dir auch einige Bücher senden, wenns Dir recht ist. Bei der Geheimrätin heute las er aus interessantem Buche von Barth, Schweizer Theologie-Professor, vor. Seine Ansicht über echten Glauben.
Armgards Bild hat uns erfreut, so herzig froh schaut sie aus; ob sie Dir bald, wie Hede, den Schwiegersohn bringt? Daß Hede so schnell Anstellung fand, so nah dem Freunde u. Jugenheim, dazu gratuliere ich ihr und Dir und Deinem Mann herzlich!
Mein Mann hat erst schriftl., dann mündlich, vergeblich um mehr Kohlen gebeten. Diese Woche sind wir noch versorgt, fortreisen ist unmöglich wegen des am 1. März drohenden Muß-Auszugs. Finden wir so schnell nichts Geeignetes, stellen wir die Sachen unter, 1 Zimmer bietet sich grad’, dann suchen wir in Ruhe weiter, oder reisen. Es ist alles so ungewiß! Erst vertiefe ich mich ins Ordnen, was aber nicht hindern soll, morgen Nachm. bei Wachsmann Musik zu hören. Das wärmere Wetter freut uns, dann wird der Gasofen genügend vor dem Erfrieren schützen.
Daß Ogutschs so erfreulichen Brief von ihrer Edith haben, ist wirklich erfreulich. Ach ja, Du Liebe, süß wie türkischer Honig wär’ jetzt ein Brief für uns, die wir schon danach schmachten! Ach ja! Das viele Kramen stimmt wehmütig u. ist schwer. Ob ichs schaffe, d. h. richtig mache? My's Sachen, Ernst Samuels - ach bißl ratlos bin ich schon. Aber es muß eben gehen! Täglich freue ich mich, die Sorge ums Mittag wenigstens los zu sein. - Und immer tuts mir wohl und beruhigt mich, Dich zur Freundin zu haben! Und 4 gute Kinder, Gott sei Dank! Aber so fern!
Deine