Deportation nach Riga
Im Juli 1946 berichtet Lore Israel über ihre Deportation ins Getto Riga und ihre Erlebnisse dort:
Lore Israel, Bad Godesbergen 9. Juli 1946.
Frankengraben 12.
Liebe Frau Aronsfeld!
Frau Sofie Muehlem M. Gladbach sandte mir die Abschrift Ihres Briefes. Sie glauben mich nicht zu kennen und kennen mich doch. Wenn ich Sie daran erinnere, dass wir manchmal bei Max Leiser zusammen Kaffee getrunken haben. Ich wohnte im Hause Spichernstr. 30 und ich glaube, dass es nur dieses Hinweises bedarf und Sie wissen wer ich bin.
Dass ich Ihnen nichts Schoenes erzaehlen kann von dem was Sie so brennend interessiert, koennen Sie sich sicherlich denken. - Wir kamen alle am 8.12.41 mit einem Transport von 1000 Menschen nach Riga. Ihre Eltern, Max und Helene Levy, Max und Johanna Leiser, Inge, die derzeitige Pflegerin der Inge, Schwester Bella, waren auch mit dabei. Ich weiss es nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass wir 3 Wochen lang vorbereiten und packen durften was wir mitnehmen konnten, (pro Kopf 30 kg) und dass wir von alledem nie eine Stecknadel sahen und dass wir uns dann mit dem behalfen, was wir in den lettischen Haeusern vorfanden. Waehrend unserer Reise nach Riga waren von 40 000 lettischen Juden die im Ghetto wohnten, 36 000 erschossen und wir kamen in die Wohnungen die diese armen Menschen fluchtartig verlassen hatten. Zuerst wohnten wir mit ca 20-26 Menschen in einem Zimmer, spaeter wurden wir ein wenig mehr verteilt. Ihre lb. Eltern wohnten zuerst mit Max und Helene Levy zusammen. Es ging eine Zeit lang gut wie ueberall, bis die spaerlichen Lebensmittel die wir noch hatten und in den Haeusern vorfanden, aufgezehrt waren. Dann war es ueberall das gleiche Bild. Nicht alle konnten die groben schweren Arbeiten tun die von uns verlangt wurden, leider konnten auch Ihre Eltern sich nicht so umstellen, Tante Helene ebenfalls nicht jedoch Onkel Maexchen ging als Transportarbeiter zur Eisenbahn und schuftete mit seinen ueber 60 Jahren schwer. Er konnte dadurch hin und wieder zusaetzliche Nahrungsmittel mitbringen, die aber fuer 4 Personen nicht reichten. Darueber kam es zu Differenzen und Ihre Eltern zogen aus. Wohin sie dann kamen kann ich mich nicht mehr genau entsinnen, aber nach weiteren Monaten zogen sie ganz in unsere Naehe, wir wohnten Haus an Haus und sahen uns fast taeglich. Sie waren im Haushalt eines frueheren Transportarbeiters untergebracht namens Sally Baer, fruehr Koeln Duffesbach wohnend. Ein aeusserst einfacher, schlichter und sehr ordentlicher Arbeiter, der 2 Kinder hatte, und sehr brav fuer den gesamten Haushalt sorgte, soweit es eben moeglich war. Inzwischen war es aber soweit gekommen, dass Ihre Eltern sich ohne zusaetzliche Arbeit nicht mehr halten konnten und als erster ging dann Ihr Vater mit auf Arbeitskommando. Zum Anfang fiel es ihm natuerlich wie uns allen, furchbar schwer - wir hatten die erste Periode ja schon hinter uns und hatten uns daran etwas gewoehnt - er hatte nicht gerade ein gutes Kommando aber auch nicht eines der ganz schlechten. Nun ging es schon etwas besser. Das Entmutigende fuer Ihre Eltern war aber folgendes. Max Leiser war
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als Aeltester eingesetzt - heute lebt er auch nicht mehr - er hatte damals ziemlich weitgehende Befugnisse und war sozusagen der Buergermeister von einer kleinen Stadt von 13 000 Einwohnern. Er hatte sich nach und nach von Ihren Eltern, die auf seine Protektion rechneten, vollkommen losgesagt, es kam soweit, dass er sie nicht mehr empfing. Die Verbitterung Ihrer Lieben war mit Recht sehr gross. Welche Beweggruende Leiser zu diesem Verhalten veranlassten, weiss ich nicht. Man musste eben die verlangte Arbeit tun, biegen oder brechen, und wie Sie ja auch Leiser kannten, man stiess bei ihm mitunter auf Granit.
Ausserdem stand er sehr unter dem Einfluss der Schwester Bella, die nach dem normalen Tode der Tante Johanna Frau Leiser wurde. - Nachdem Ihr Vater eine kurze Zeit lang erkrankte, ging dann auch Ihre lb. Mutter mit zum Kommando und war erstaunt, dass es so viel besser ging, wie sie angenommen hatte. Sie sah besser und zufriedener aus und war abgelenkt und eine Weile ging es dann Ihren lb. Eltern ganz gut. Wohnungsmaessig war alles so ausserordentlich primitiv, was sie ganz besonders bedrueckte, als sie auch hierin mit einer Verbesserung durch Leiser vergebens gerechnet haben. Es fiel uns ja allen nicht leicht und heute denke ich, dass Ihre lb. Eltern recht taten sich nicht mehr zu uebernehmen denn das, was spaeter noch an uns herantrat, haetten sie menschlicher Berechnung nach sowieso nicht ueberlebt.
Als Anfang November 1943 eine grosse Aktion stattfand, waren auch Ihre Lieben dabei und wurden mit verladen, man sagte spaeter, dass dieser Transport nach Auschwitz ging. Es war die grosse Kinder-Aktion und die SS nahm auch die älteren Leute mit, die nicht vollstaendig arbeitsfaehig waren. Ich sehe Ihre lb. Eltern noch abziehen, bepackt mit einer blauen Steppdecke, in der Hoffnung in ein anderes leichteres Arbeitslager zu kommen. Jedes Kommentar ist ueberfluessig und ich kann Ihnen nur sagen, dass Ihre lb. Eltern sich so gut gehalten haben, wie es nur eben ging. Wie oft sprachen sie mit mir von Ihnen und hofften, Sie eines Tages gesund wieder zu sehen, wie oft sprachen wir von gemeinsam erlebten netten Nachmittagen bei Leisers auch noch nach Ihrer Abreise und wie hatte sich alles geaendert.
Wie ich schon sage, Tante Johanna starb eines normalen Todes. Tante Helene und Onkel Maexchen kamen auch mit in eine Aktion und leben nicht mehr, als man sah, dass fuer Inge kein Halten mehr war, gab man ihr eine Spritze, was das Beste war, die SS haette sie sonst noch totgeschlagen. Max Leiser und Bella kamen spaeter auch um, manche sagten uns, Leiser sei umgebracht worden, andere wussten zu erzaehlen, dass er Selbstmord begann, ebenso wie Bella. Im Ghetto hatten sie eine Glanzzeit erlebt, seelisch hatten sie wohl auch manche Bedrueckung, aber persoenlich geschah ihnen durch ihre Position nichts arges und materiell ging es ihnen glaenzend.
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Dass ich nach allem Erlebten, - das Ghetto war nur Vorspiel - noch am Leben bin, bist mehr wie ein offenes Wunder, es gibt wohl kaum noch eine Frau in meinem Alter und nur die wenigen juengeren Menschen blieben uebrig; von 1000 die wir von Koeln fortkamen, kehrten ca 15 zurueck. Meine Tochter Ruth ist bei mir, wir hatten das Glueck nicht getrennt zu werden und konnten uns bei aller Not und Pein einer am anderen aufrichten. Mein guter Sohn Ernst kam auch nicht mehr zurueck. Von Riga wurde er nach Estland verfrachtet und es fehlt mir jede Spur. Frau Friedel Rein, die Sie wohl auch noch kennen, gehoert wie ich mir sagen liess, auch zu den wenig Ueberlebenden, jedoch hatte ich noch keine Gelegenheit sie zu sprechen. Ihr erging es mit Leiser aehnlich wie Ihren Eltern, und sie musste auch sehr viel bittere Pillen schlucken.
Es tut mir leid, Ihnen nichts schoeneres schreiben zu koennen, jedoch wollte ich Sie nicht im Ungewissen lassen. Man hatte ja so viele Methoden die Menschen umzubringen und es laesst sich nicht in Worte kleiden, was wir alles erlebten und sahen. Die Zeit in Riga war noch die beste Zeit und wir betrachteten diese als unsere zweite Heimat. Was hernach kam, KZ Stutthof war alles noch viel fuerchterlicher und dass es ueberhaupt Menschen gibt, die dies alles ueberstehen konnten und zu denen wir irrtuemlich gehoeren, wird uns immer unbegreiflicher.
Nun habe ich mich gefreut, zu hoeren, dass Sie sich inzwischen verheiratet haben, es wird Ihnen so gewiss etwas leichter fallen, den Schmerz um den Verlust Ihrer geliebten Eltern zu tragen. Ihre Lieben hatten Ihr hartes Schicksal stets in bester Gemeinschaft auf sich genommen und sind auch gemeinsam in den Tod gegangen, den wir uns damals so oft herbei wuenschten; er hatte nichts schreckliches mehr fuer uns, uns allen erschien das zu ertragende Leben viel schrecklicher und wenn Ihre Eltern wuessten, auf welchen Umwegen Sie von ihrem Leben noch erfahren haben, sie wuerden sicherlich ruhig schlafen, in dem Bewusstsein Ihres guten Gedenkens. Wie gesagt, oft oft haben wir von Ihnen gesprochen, unser ganzes Hoffen war ja, mit unseren Liebsten gleich unter welchen Umstaenden, wieder vereint zu sein.
Der groesste Teil unserer Leidensgenossen hat ja die Befreiung nicht mehr erlebt, aber alle waren der Ansicht, dass sie in dem Bewusstsein dass der Kampf gegen uns Juden ein vergeblicher war, gern ihr Leben hingaben und dass der Krieg nie gewonnen werden konnte bei all dem himmelschreienden Unrecht was geschah, war jedem klar. - Ich hoffe Ihnen mit meinen Mitteilungen etwas gedient zu haben, in Koeln fand ich keine Wohnung mehr und lebe nun bis zu unserer endgueltigen Auswanderung nach Brasilien hier in Godesberg, von wo aus ich Ihnen herzlichste Gruesse uebersende. Vielleicht hoere ich nochmal von Ihnen, denn mit der Auswanderung geht es noch nicht so sehr schnell.
Ihre
Lore Israel