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Chronik und Quellen
1941
Januar 1941

Auf dem Weg zur „Endlösung“?

Der Judenberater des SD in Frankreich vermerkt am 21. Januar 1941, dass Heydrich in Hitlers Auftrag ein Projekt zur „endgültigen Lösung“ der Judenfrage entwickelt habe:

„Zentrales Judenamt“ in Paris.

1. Gemäß dem Willen des Führers soll nach dem Kriege die Judenfrage innerhalb des von Deutschland beherrschten oder kontrollierten Teiles Europas einer endgültigen Lösung zugeführt werden.

Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD hat bereits vom Führer über den RF-SS, bezw. durch den Reichsmarschall Auftrag zur Vorlage eines Endlösungsprojektes erhalten. Auf Grund der bei den Dienststellen des OdS und dem SD vorhandenen umfangreichen Erfahrungen und dank der seit längerer Zeit geleisteten Vorarbeiten wurde dann das Projekt in seinen wesentlichsten Zügen ausgearbeitet. Es liegt dem Führer und dem Reichsmarschall vor. Fest steht, daß es sich bei der Ausführung um eine Riesenarbeit handelt, deren Erfolg nur durch sorgfältigste Vorbereitungen gewährleistet werden kann. Diese müssen sich sowohl auf die einer Gesamtabschiebung der Juden vorausgehenden Arbeiten als auch auf die Planung einer bis ins einzelne festgelegten Ansiedlungsaktion in dem noch zu bestimmenden Territorium erstrecken.

2. Aus dem einleitenden Dargestellten wird ganz von selbst die große Aufgabe deutlich, die sich der judenbearbeitenden Stelle zunächst im besetzten Gebiet Frankreichs gleichermaßen wie in den anderen besetzten Teilen Europas aufdrängt: Erkennen und Herauslösen der Juden aus allen Verflechtungen in den Lebensgebieten und im Staatsleben; sodann zentral gesteuerte Verwaltung der Juden und ihres Besitzes bis zum Abschube hin. Daneben muß ferner eine Berufsumschichtungsaktion laufen.

3. Die Lösung einer derartigen Aufgabe ist aber, wie die Vergangenheit an vielen anderen Beispielen zur Genüge gezeigt hat, nur beim Vorhandensein einer zentralen Leitung möglich.

Bei den Verhältnissen in Frankreich, die ich als bekannt voraussetze, ist die Bewältigung der Aufgabe überhaupt nur zu schaffen, wenn eine solche zentrale Führung unter Zusammenfassung aller in Frage kommenden Kräfte raschestens ihre zielbewußte Arbeit aufnimmt.

4. Bevor ich das eigentliche Projekt eines „Zentralen Judenamtes“ näher erläutere, will ich noch kurz auf die derzeitigen Verhältnisse eingehen: Der Chef der Militärverwaltung in Frankreich hat durch seine bisher erlassenen Anordnungen gegen Juden gewissermaßen die Brücke geschlagen zum Beginn des antijüdischen Ausschaltungswerkes. Es hat sich aber gezeigt, daß die französischen Behörden ausschließlich den Buchstaben des Gesetzes erfüllen - und das übrigens noch sehr schlecht! - und ein politisches Verständnis der Notwendigkeit einer Generalreinigung überhaupt nicht kennen. Ähnlich spielt sich das Drama der Durchführung des sogenannten Vichyer Judenstatutes vom 4. Oktober 1940 ab.

Man betrachte irgendein Lebensgebiet, um immer wieder zu demselben Schluß zu kommen, nämlich, daß man es mit dezentralisierter Kleinarbeit zu tun hat. Daß unter diesen Umständen eine klar ausgerichtete antijüdische Propaganda auch nicht möglich ist, dürfte einleuchten.

Die allerschnellste Errichtung des „Zentralen Judenamtes“ wird deshalb zur dringenden Notwendigkeit, denn sonst muß der Fall eintreten, daß bei dem eines Tages tatsächlich kommenden Judenabschub eine kaum mehr zu bewältigende Aufgabe vor uns steht.

5. Aufbau und Wirken des „Zentralen Judenamtes“.

Es handelt sich um eine bisher noch nie versuchte Kombination der verschiedenen zur Behandlung des Problems erforderlichen Stellen und Faktoren: folgende Abteilungen sind vorgesehen:

a) Kartei, Auskunftswesen, Ermittlung (hier wird der bereits arbeitende, unter unserer Aufsicht stehende Spezialdienst für Judenfragen bei der Pariser Polizeipräfektur mit eingebaut werden!).

b) Verwaltung des gesamten jüdischen Vermögens und Behandlung von im Zusammenhang mit Juden stehenden Wirtschaftsfragen. (Dann wäre wiederum das gleichfalls schon bestehende „Office du Controle des Administration provisoires“ mit einzubeziehen.)

c) „Juden-KZ-Wesen“ unter Zugrundelegung des Gesetzes der französischen Regierung vom 4. X. 1940, wonach zunächst einmal jüdische Ausländer in besonderen Konzentrationslagern untergebracht werden können.

d) Dienstaufsicht über die in den Grundzügen bereits errichtete, gleichfalls unter unserer Aufsicht stehende „Jüdische Zwangsvereinigung“ als Haftungsgemeinschaft aller Juden. (Auch Träger des Umschichtungswerkes!)

e) Juden in den Lebensgebieten. Im Zusammenhang damit obliegt dem Sachgebiet auch die Kontrolle der Durchführung des französischen Judenstatutes vom 4. X. 40.

f) Steuerung des ebenfalls im Entstehen begriffenen rein französischen Institutes zum Studium des jüdischen Einflusses, dem die Rolle eines Druckmittels den französischen Behörden [gegenüber] gleichkommt und das zur restlosen Erkenntnis der Juden und ihres Einflusses unbedingt erforderlich ist.

g) Lenkung der antijüdischen Propaganda entsprechend den im Rahmen des Gesamtplanes wichtigen Grundsätzen, die sich wiederum aus der allgemeinen Arbeit des „Judenamtes“ ergeben. Das Judenamt wird unter französischer Leitung stehen.

Gemäß den dem Reichsführer SS, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, übertragenen Aufgaben innerhalb der Judenbehandlung Europas, und entsprechend dem Geheimerlaß des Oberkommandos der Wehrmacht vom 4. Oktober 1940, der u. a. auch die Zuständigkeit für die Behandlung der Judenangelegenheiten dem Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für Belgien und Frankreich überträgt, muß die Dienstaufsicht von dieser Stelle ausgeübt werden.

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