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Chronik und Quellen
1940
Dezember 1940

Öffentliche Fürsorge für Juden

Der Münchener Oberbürgermeister gibt am 2. Dezember 1940 Richtlinien über die öffentliche Fürsorge für Juden bekannt, die nicht der Reichsvereinigung angehören:

Betrifft: Fürsorge für Juden.

Die Fürsorgeabteilung der Isr. Kultusgemeinde München hat bisher außer sämtlichen Juden im Sinne des § 5 der I. VO zum Reichsbürgergesetz auch die Glaubensjuden arischer Abstammung unterstützt. Nunmehr wurde geklärt, daß sich die fürsorgerischen Maßnahmen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland auf die Juden zu beschränken haben, die aufgrund § 3 der 10. VO zum Reichsbürgergesetz kraft Gesetzes Mitglieder der Reichsvereinigung der Juden sind oder dieser freiwillig angehören. § 3 der 10. VO zum Reichsbürgergesetz lautet:

(1) Der Reichsvereinigung gehören alle Staatsangehörigen und staatenlosen Juden an, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Reichsgebiet haben.

(2) Im Falle einer Mischehe ist der jüdische Teil nur Mitglied,

a) wenn der Mann der jüdische Teil ist und Abkömmlinge aus der Ehe nicht vorhanden sind oder
b) wenn die Abkömmlinge als Juden gelten.

3) Juden fremder Staatsangehörigkeit und den in einer Mischehe lebenden Juden, die nicht bereits nach Abs. 2 Mitglieder sind, ist der Beitritt zur Reichsvereinigung freigestellt. Demnach sind im Falle der Hilfsbedürftigkeit durch die öffentliche Fürsorge zu betreuen:

1.) Juden, die mit Frauen arischer Abstammung in Mischehe leben dann, wenn Abkömmlinge aus dieser Ehe vorhanden sind, die nicht als Juden gelten (§ 5 Abs. II der I. VO. zum Reichbürgergesetz),

2.) Jüdinnen, die mit Ariern in Mischehe leben, wenn aus dieser Ehe entweder keine oder nur solche Abkömmlinge vorhanden sind, die nicht als Juden gelten.

3.) Juden ausländischer Staatsangehörigkeit,

4.) Glaubensjuden arischer Abstammung.

Voraussetzung ist bei den unter 1 m[it] 3 genannten Juden, daß sie nicht freiwillig der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland angehören, und bei den unter 1 und 2 aufgeführten Juden außerdem, daß die Mischehe nicht durch Tod des arischen Eheteiles, Scheidung oder Nichtigkeitserklärung aufgelöst ist.

Soweit die Fürsorgeabteilung der Isr. Kultusgemeinde die weitere Betreuung in den unter 1 mit 4 genannten Fällen ablehnt, muß wieder die öffentliche Fürsorge eingreifen. Die unter 1 mit 3 aufgeführten Juden haben jedoch durch Vorlage einer Bestätigung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Zweigstelle München, nachzuweisen, daß sie nicht freiwillige Mitglieder der Reichsvereinigung sind. Außerdem haben diese Juden folgende unterschriftliche Erklärung abzugeben: „Ich erkläre hiemit, daß ich

1.) nicht freiwilliges Mitglied der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland bin,

2.) das Amt von meinem evtl. freiwilligen Beitritt zur Reichsvereinigung der Juden in Deutschland unverzüglich in Kenntnis setzen werde,

3.) das Amt von jeder Veränderung in meinen Familienverhältnissen, die den Beitritt zur Reichsvereinigung der Juden in Deutschland gemäß § 3 Abs. I und II der 10. VO zum Reichsbürgergesetz bedingen, verständigen werde.

4.) Ich habe davon Kenntnis, daß bei falschen Angaben über meine Mitgliedschaft zur Reichsvereinigung der Juden in Deutschland oder über meine die Mitgliedschaft bestimmenden Familienverhältnisse sowie über meine Einkommens- und Vermögensverhältnisse unnachsichtlich gegen mich Strafanzeige erstattet wird.“

Die Entscheidung über Unterstützungsanträge jedweder Art von Juden und Glaubensjuden behalte ich mir selbst vor; die Akten sind daher nach strenger Prüfung der Hilfsbedürftigkeit jeweils meinem Büro zuzuleiten. Die Prüfung der Hilfsbedürftigkeit hat sich insbesondere auch auf die Arbeitseinsatzfähigkeit zu erstrecken. Juden, die nicht mehr als 66 2/3 % erwerbsbeschränkt sind, sind an das Arbeitsamt zu verweisen.

Im übrigen wird auf die 2. VO des RMdl. vom 17.8.1938 zum Gesetz über die Änderung des Vornamens88 und auf die Bekanntmachung über den Kennkartenzwang (Dezernatsweisung vom 7.2.1929) ausdrücklich hingewiesen.

Über Verstöße der Juden gegen diese Verordnung ist zu berichten. Bemerkt wird, daß Glaubensjuden arischer Abstammung von den Verordnungen über den Kennkartenzwang und über die Führung eines jüdischen Vornamens nicht betroffen werden.

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