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Chronik und Quellen
1940
Oktober 1940

Protest gegen Deportation

Otto Hirsch schildert, wie er bei der Gestapo am 26. Oktober 1940 gegen die Deportationen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland protestierte:

1. Abtransport der Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saargebiet Ich bat, unserer Trauer über die Vorgänge in Baden, der Pfalz und dem Saargebiet Ausdruck geben zu dürfen. Aus dieser Trauer heraus haben wir den Kulturbund gebeten, seine Aufführungen eine Woche lang zu unterbrechen. Es sei doch etwas Furchtbares, daß über 7000 Menschen ohne jede Vorbereitung innerhalb eines Tages mit unbekanntem Ziel vertrieben worden seien. Nach den Vorkommnissen in Stettin sei der Reichsvereinigung erklärt worden, dass etwas derartiges sich nicht wieder ereignen werde, und bei Schneidemühl und Breisach habe man von zentraler Stelle aus sofort Abhilfe geschaffen. Was sich jetzt ereignet habe, greife an die Wurzeln der Reichsvereinigung. Ich bitte dringend, mir zu sagen, wohin die Menschen gekommen seien, was wir für sie tun können und ob die Dinge weitergehen.

Ass. Jagusch erwidert, es handle sich um eine ordnungsmäßige Auswanderung. Die Reichsvereinigung solle etwa Ende der kommenden Woche eingeschaltet werden. Den Auswanderern seien Vollmachtsformulare nach dem von uns selbst für Stettin entworfenen Muster, auf die Reichsvereinigung lautend, vorgelegt worden, so daß die Reichsvereinigung, jedenfalls in vielen Fällen, Vertretungsmacht haben werde. Wie man in denjenigen Fällen vorgehen werde, in denen das nicht der Fall sei, stehe noch nicht fest. Auf meine Frage, ob die Dinge weitergehen, erwiderte Ass. Jagusch, das könne er mir nicht sagen. Ich erklärte sodann, daß ich gleich nach Erhalt der ersten Nachrichten am Dienstag versucht habe, vorstellig zu werden, und daß ich einen Bericht habe überreichen wollen, dessen Inempfangnahme aber nicht gebilligt worden sei. Ass. Jagusch ersuchte mich, ihn ihm zu übergeben, was ich unter Hinweis auf die Bevölkerungszahl getan habe. Ass. Jagusch unterstrich bei der Durchsicht in dem Aktenvermerk des Herrn Dr. Lilienthal das Wort „Südfrankreich“

Er warf sodann die Frage auf, ob Herr Joachim wie bei den Stettinern so auch die von den jetzigen Auswanderern auf die Reichsvereinigung ausgestellten Vollmachten wahrnehmen könne oder ob dazu bei der erheblich größeren Anzahl und der damit verbundenen Arbeit etwa jemand anderes oder ein Büro erforderlich sei. Ich erwiderte, daß hiermit m. E. Herr Dr. Eppstein beauftragt werden sollte, da es sich doch zweifellos um eine schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe handle, die überdies unabhängig von den Wanderungsfragen sei. Ass. Jagusch erklärte sich mit dieser Absicht nachdrücklich einverstanden, und ich knüpfte daran die Bitte, Ass. Jagusch möge seinerseits für [eine] nach dieser langen Zeit möglichst rasche Entlassung von Dr. Eppstein eintreten, zumal unter den aus Baden Evakuierten Mutter und Schwester von Frau Dr. Eppstein sich befänden. Ass. Jagusch erklärte sich dazu bereit.

2. Reise nach Lissabon

Als ich im Zusammenhang mit der Notwendigkeit baldiger Entlassung von Dr. Eppstein erwähnte, daß ich in der nächsten Zeit zwecks Zusammenkunft mit dem Vertreter des Joint nach Lissabon fahren müsse, erklärte Ass. Jagusch, das sei unmöglich. Ich könne jetzt in dieser Zeit hier nicht entbehrt werden. Er müsse einen verantwortlichen Vertreter der Reichsvereinigung hier haben, zumal die Reise nach Lissabon ja nicht nur ganz kurze Zeit dauern könne. Die Interessen der Reichsvereinigung müssten dann eben von Dr. Löwenherz, Wien, wahrgenommen werden. Ich widersprach dem lebhaft unter Hinweis darauf, daß Herrn Dr. Löwenherz unsere Verhältnisse nicht bekannt seien und daß es sein gutes Recht, ja seine Pflicht sei, die ihm anvertrauten Interessen der Israelitischen Kultusgemeinde Wien den unsrigen voranzustellen. Die jetzige Gelegenheit, mit Mr. Troper zusammenzukommen, dürfte auf lange hinaus die einzige sein, und ich bitte, in aller Bescheidenheit daraufhinweisen zu dürfen, daß ich bei Mr. Troper aus der jahrelangen Zusammenarbeit ein Maß von Vertrauen genieße, das unserer Arbeit zugute komme, so daß ich befürchten müsse, daß, wenn ich nicht selbst an der Besprechung teilnehme, die Interessen der Reichsvereinigung notleiden müßten. Ass. Jagusch be-harrte jedoch darauf, daß ich hier unabkömmlich sei. Er gäbe anheim, einen Mitarbeiter nach Lissabon zu entsenden, und empfahl mir, darüber mit Herrn Hschf Hartmann zu sprechen.

3. Warme Sachen für Schutzhäftlinge

Die Eingabe vom 24. Oktober wurde übergeben.

4. Mitgliedschaft der jüdischen Protektoratsangehörigen zur Reichsvereinigung und Verpflichtung zur Bezahlung der Auswandererabgabe bei Übersiedlung nach dem Protektorat Die Eingabe vom 25. Oktober wurde übergeben.

5. Rückkehr von Kindern aus den besetzten Gebieten

Auf Anfrage teilte Ass. Jagusch mit, daß jetzt ein Schreiben an sämtliche in Betracht kommende deutsche Stellen im Ausland (Belgien, besetztes Gebiet von Frankreich, Holland) hinausgegangen sei, wonach gegen die Rückkehr von Kindern bis zum Alter von 16 Jahren, die in den besetzten Gebieten sich zum Schulbesuch oder zur Berufsausbildung befinden, nach Deutschland zu ihren Angehörigen keinerlei Bedenken bestehen. Sie haben sich mit den Dienststellen im Ausland zum Zweck der Erlangung eines Passierscheins ins Benehmen zu setzen. Eine Genehmigung seitens der deutschen Stellen oder auch nur eine Anfrage bei denselben sei nicht erforderlich. Es handle sich dann lediglich um die ordnungsmäßige polizeiliche Anmeldung. Da er, Ass. Jagusch, aber noch keine Rückmeldung von dem Eingang des Rundschreibens bei den auswärtigen Stellen habe, solle mit der Verwertung dieser Mitteilung gegenüber unseren Bezirks- und Zweigstellen immer noch bis zur nächsten Woche gewartet werden. Er gebe nochmalige Anfrage anheim.

6. Stettin.

Hinsichtlich der Stettiner Juden im Bezirk Lublin wird berichtet, daß ein Gruppenbericht noch ausstehe. Ass. Jagusch teilt mit, daß der Regierungspräsident von ihm unterrichtet worden sei, so daß nach Eintreffen des ausstehenden Berichts das zusammenfassende Schreiben der Reichsvereinigung vorgelegt werden könne. Auf Anfrage wird erwidert, daß irgendeine Weisung wegen Rückkehr der minderjährigen Kinder aus dem Bezirk Lublin nach Deutschland noch nicht ergangen sei.

7. Vermißtennachforschungen des Roten Kreuzes

Die bei der Rücksprache am 26.9.1940 übergebenen Anfragen des Polnischen Roten Kreuzes werden zurückgegeben, und es wird für sie und etwa weiter einlaufende Anfragen des Roten Kreuzes überhaupt bestimmt, daß dem Roten Kreuz dahin Antwort gegeben werden solle, daß es sich zweckmäßigerweise an die Polizeibehörde des letzten Wohnsitzes bezw. des vermutlichen derzeitigen Aufenthaltsortes des Vermißten wende.

8. Bücherprüfung

Anhand des Schreibens der Deutschen Revisions- und Treuhand A. G. vom 24. Oktober wird über die mit deren Vertretern geführte Besprechung berichtet. Ass. Jagusch ersucht, den für die Leitung der Prüfungsarbeiten bei der Reichsvereinigung vorgesehenen Mitarbeiter der Deutschen Revisions- und Treuhand A.G. zu veranlassen, daß er sich am Mittwoch, dem 30. Oktober, 16 Uhr, bei ihm zu einer Besprechung über Umfang und Art der Prüfungsarbeiten einfinden möge.

9. Frage der Eingliederung der Ludwig-Philippson-Loge UOBB, Bonn a. Rh. Der Bericht vom 23. Oktober wird übergeben.

10. Gesuch des Sally Danziger, Berlin, in einer Fürsorgesache

Ass. Jagusch übergibt das Schreiben des Genannten an den „Reichsbeauftragten beim Reichsministerium des Innern für jüdische Angelegenheiten“ vom 28.8.1940 zur unmittelbaren Erledigung.

11. Logenheim UOBB. e. V., Berlin

Ass. Jagusch ersucht um einen Bericht über die Rechtsverhältnisse der genannten Organisation, insbesondere darüber, ob etwa die Jüdische Gemeinde zu Berlin als Treuhänderin eingesetzt worden sei. Es handelt sich um eine Anfrage des Amtsgerichts Charlottenburg zu dessen Aktenzeichen 49 C 616/40.

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