Vierteljahresbericht der Auswandererstelle Köln (Oktober bis Dezember 1940)
Vermutlich im Januar 1941 übermittelt die Auswandererstelle Köln ihren Vierteljahresbericht für Oktober bis Dezember 1940:
Nur für den Dienstgebrauch!
Tätigkeitsbericht für Oktober, November, Dezember 1940
der öffentlichen Auswandererberatungsstelle Köln (frühere Zweigstellen Köln und Düsseldorf des Reichswanderungsamtes).
Betreuungsgebiet: Rheinprovinz und die westfälischen Regierungsbezirke Münster und Arnsberg.
Die Inanspruchnahme der Beratungsstelle zeigt durch die Auswirkungen des Krieges in Europa und Übersee weiter eine rückläufige Bewegung. In der Berichtszeit wurden insgesamt 253 (590) Fälle erledigt, davon 101 mündlich und 152 schriftlich. Die Zahlen der einzelnen Monate weichen nur wenig von einander ab: Oktober 71, November 95, Dezember 87 Fälle. 165 = 65 % sämtlicher Fälle betrafen Juden. Im Vorvierteljahr betrug der jüdische Anteil noch 90 %.
Eine Gegenüberstellung der Beratungszahlen der einzelnen Vierteljahre des Kalenderjahres 1940 ergibt folgendes Bild:
1. Viertelj. 2. Viertelj. 3. Viertelj. 4. Viertelj. Sa.
mündl. 525 750 320 101 1696
schriftl. 378 268 270 152 1068
903 1018 590 253 2764
davon Juden 773 926 514 165 2378 = 86 %.
Der Rückgang der Zahlen in der zweiten Jahreshälfte ist eine Folge des Krieges und der schwierigen Verkehrsverhältnisse nach Übersee, wenn auch bemerkt werden muß, daß alljährlich sich gegen Ende des Jahres - Dezember = Weihnachtsmonat - ein Nachlassen des Auswanderungsdranges bemerkbar machte. In der Berichtszeit wirkte sich in der Judenauswanderung weiter hemmend aus die in der Visumerteilung beim Amerikanischen Konsulat in Stuttgart eingetretene Ruhepause.
Die berufliche Zusammensetzung der in der Berichtszeit erfaßten Personen ist folgende:
Handels- und Versicherungsgewerbe 43 (130)
Freie Berufe 14 (20)
Industrie- und Bauwesen 13 (54)
Gesundheitswesen 11 (18)
Häusliche Dienstboten 7 (21)
Land- und Forstwirtschaft 5 (9)
Lohnarbeit wechselnder Art 5 (16)
Gastwirtschaft, Verkehrsgewerbe 1 (2)
Bergbau und Hüttenwesen - (1)
Ohne Beruf- und Berufsangabe 154 (319)
253 (590)
Die Reihenfolge der einzelnen Gruppen hat sich etwas verschoben.
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Der Anteil der Fragesteller aus der Gruppe „Ohne Beruf und Berufsangabe” an der Gesamtzahl der Fragesteller macht 61 % aus, im Vorvierteljahr 54 %, hat sich also vergleichsweise um 7 % erhöht. Die Zahlen der eigentlichen Berufsgruppen weisen einen mehr oder weniger gleichmäßigen Rückgang auf.
An die 253 Personen wurden 263 Auskünfte erteilt, davon 248 Länderauskünfte, die sich folgendermaßen verteilen:
Amerika 134 (436)
Europa 87 (42)
Asien 15 (52)
Afrika 2 (1)
Australien - -
Ausland allgem. 10 (14)
248 (545)
sonstige Anfrg. 15 (59)
263 (604).
Im Vorvierteljahr betrugen die Zahlen für den Erdteil Amerika 80 % der Gesamtauskünfte, in der Berichtszeit hingegen nur 51 %. In den gleichen Zeiträumen zeigen die Zahlen für Europa 8 % bezw. 33 % der Gesamtauskünfte. Der Rückgang bei Amerika ist nur eine Folge der bereits erwähnten verminderten Visumerteilung beim Amerikanischen Konsulat in Stuttgart. Daher stehen auch die Ver. Staaten selbst, die im Vorvierteljahr noch 390 Fälle und damit 89 % aller Amerika-Auskünfte aufwiesen, dieses Mal mit nur 45 Fällen, d. h. 33,5 % der Amerika-Auskünfte zu Buche. Die Auskunftsuchenden waren fast ausnahmslos Juden, von denen 21 Paßbefürwortungen erhielten.
Einen außergewöhnlichen Aufschwung genommen haben die Staaten Mittelamerikas mit 39 Auskünften (9). Davon bezogen sich 14 (4) auf Mexiko, 13 (5) auf Haiti und die Dominikanische Republik und 12 auf andere mittelamerikanische Länder (Panama, Honduras). Das Mexikanische Generalkonsulat in Hamburg verlangte von den Visumantragstellern Bescheinigungen einer amtlichen Stelle, die erkennen lassen sollten, aus welchem Grunde die Auswanderung erfolge. Die Reichsstelle, die wir zu dieser Frage hörten, teilte mit, daß sie keine Bedenken habe, wenn die hiesige Beratungsstelle Auswanderungswilligen Bescheinigungen des Inhalts ausstelle, daß die Betreffenden infolge der deutschen Rassegesetzgebung das Reichsgebiet verlassen wollen. Wir stellten dieser Anweisung entsprechend Bescheinigungen für das Mexikanische Generalkonsulat aus, die bisher zu Beanstandungen keinen Anlaß gaben.
Wieder wurden für Haiti Visumzusagen des Generalkonsulates in Hamburg vorgelegt, obwohl nach einem Schreiben der Reichsstelle vom 26.10.1940 das Außenministerium von Haiti eine Mitteilung veröffentlicht
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haben soll, wonach weder Pässe noch Sichtvermerke an jüdische oder andere Flüchtlinge aus den kriegsführenden Ländern ausgestellt werden.
Die Dominikanische Republik, die lange Zeit nicht gefragt wurde, trat insofern wieder in Erscheinung, als Auswanderungswillige Schreiben der Firma Rud. Postelt, Hamburg, vorlegten, in denen Visen für das genannte Land angeboten wurden. Die Reichsstelle erhielt Mitteilung hiervon.
Für die südamerikanischen Länder ist das Interesse gegenüber dem Vorvierteljahr gestiegen. Zahl der Beratungsfälle 50 (37), die mit geringen Ausnahmen Juden betrafen. Argentinien wurde 18 (11) mal gefragt und ist damit das meistgefragte Land des südamerikanischen Kontinents. Es handelte sich durchweg um Verwandtenauswanderung und nur einige Male um Ica-Siedler. Uruguay hatte im Vorvierteljahr nur eine Anfrage zu verzeichnen und jetzt 11. Verschiedenen Juden, die untereinander verwandt sind, wollten die Möglichkeit haben, durch private Beziehungen sich die Vorzeigegelder für Uruguay zu beschaffen und einen Transfer durchzuführen, um anschließend das Visum zu erhalten. Wir haben die Angelegenheit zur Prüfung der Reichsstelle unterbreitet, deren Bescheid zurzeit noch aussteht.
Brasilien ist mit 10 (14) Beratungsfällen ziemlich unverändert. Hier gilt das Gleiche wie bei Argentinien: Verwandtennachwanderung. Es handelt sich vielfach um die im Vorbericht bereits erwähnten Fälle, wo das Visum vorhanden war, aber durch die Kriegsverhältnisse nicht hatte ausgenutzt werden können, sodaß mittlerweile der nur ein Jahr gültige Paß abgelaufen war und wir uns für eine Paßverlängerung aussprechen mußten.
Die übrigen südamerikanischen Zielländer wurden 4 mal und weniger gefragt. Besonderes ist hierüber nicht zu erwähnen.
Die Stellung der europäischen Zielländer hat sich grundlegend geändert, insofern als Europa mit wesentlich erhöhten Zahlen an zweiter Stelle unter den Erdteilen erscheint und Asien zurückgedrängt hat. Die 87 (42) Beratungsfälle für Europa betrafen zum größten Teil Deutschblütige. 48 (14) Fälle behandelten die Niederlande, betrafen aber weniger Auswanderung, vielmehr häufig einen vorübergehenden Aufenthalt und Fragen in Wirtschaftsangelegenheiten. Verschiedentlich sprachen auch ältere, hier alleinstehende Juden wegen einer Übersiedlung in die Niederlande vor, wo ihre Kinder bereits ansässig sind und sie seit langem erwarten, wohl auch schon die Einreiseerlaubnis der seinerzeitigen niederländischen Behörden beschafft hatten.
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Für die übrigen europäischen Zielländer, die, soweit sie nicht am Krieg beteiligt sind, auch nicht judenfreundlich sind, zeigten die Juden naturgemäß wenig Interesse.
Von den 15 (52) Asien-Anfragen rühren 12 von Juden her. Davon entfallen 6 (30) auf Shanghai und je 3 auf Palästina und die Philippinen. Die an sich schon ziemlich umständliche und kostspielige Auswanderung nach Shanghai hat merklich nachgelassen und wird wohl noch weiter zurückgehen, da nach einem Runderlaß des Reichsführers SS vom 21.10.40 betr. den deutschrussischen Personen-Verkehr Auswanderer nach dem Fernen Osten oder über den Fernen Osten nach Übersee nur Fahrausweise (einschl. Bettkarten, Verpflegungsgutscheine und sonstige Nebenleistungen, jedoch ausgenommen Reisegepäckgebühren) ab 1.11.1940 ab deutscher Grenze ohne Genehmigung der Devisenstelle nur gegen Zahlung in freien Devisen abgegeben werden.
Diese Tatsache stellt natürlich eine weitere Erschwerung für die Judenauswanderung dar. Ganz abgesehen von der Kostspieligkeit des Reiseweges über den Fernen Osten ziehen die nach Nord- und Südamerika auswandernden Juden den inzwischen ihnen wieder geöffneten Weg über Spanien/Portugal vor, der ja auch erheblich kürzer ist. Allerdings hat die Deutsche Lufthansa, die den Verkehr nach Spanien vermittelt, in einer uns durch die Reichsstelle zur Kenntnis gelangten Mitteilung darauf hingewiesen, daß die Strecke nach Spanien/Portugal zurzeit so besetzt ist, daß die Beförderung nichtarischer Auswanderer auf dieser Strecke kaum gewährleistet ist.
Die Auswanderung nach Palästina scheint auch fast ganz zum Erliegen zu kommen, was ja nicht verwunderlich ist. Trotzdem legten einige Antragsteller Schreiben des Ausschusses für jüdische Sondertransporte vor, wonach sie zur Auswanderung gebracht werden sollen. Auf Anfrage teilte die Reichsstelle hierzu mit, daß eine solche Unterlage für die Paßbefürwortung ausreichend ist. Die Reise, die früher über den Balkan erfolgte, geht jetzt die Donau abwärts über das Schwarze Meer. Es bleibt abzuwarten, wie lange diese illegale Einwanderung, die ja dazu beiträgt, die Zahl der Juden in Deutschland zu vermindern, sich noch durchführen läßt.
Die beiden Anfragen für Afrika betrafen Angola und Kamerun und wurden von einem Deutschblütigen gestellt. Sonst lagen begreiflicherweise keine Anfragen für Afrika vor. Australien wurde überhaupt nicht begehrt.
Über das Ausland im allgemeinen wurden 10 (14) Auskünfte erteilt, durchweg an Deutschblütige, und in sonstigen Angelegenheiten 15 (59).