Menü
Chronik und Quellen
1940
März 1940

Dank für Unterstützung

Salomon Samuel aus Berlin dankt dem Ehepaar Schubert in Essen am 29. März 1940 für Unterstützung und Trost:

Herr und werte Frau Schubert!

Indem ich Ihre Grüße bestens erwidere, die Sie mir vom Osterspaziergang in den Botanischen [Garten] sandten, melde ich, daß wir soeben einen neuen Einbruch des Winters mit Schnee u. Eis haben; ich weiß nicht, den wievielten. Dennoch verleugnet die Sonne nicht ihre Kraft, sie scheint strahlend in unsere seit dem 21. März zur Sommerwohnung erhobenen Räume, die für das nächste Halbjahr so freundlich u. hell ausschauen, viel Grünes hineingrüßen lassen, sobald es nur kommt, und uns die geräumigere Umwelt mit ihrer Feindseligkeit ein wenig ersetzt. Ob u. wie lange wir des Friedens der Wohnung werden genießen können, wissen wir durchaus nicht; täglich können neue Aktionen uns aufscheuchen; es ist sogar der nächste Tag unsicher und ungewiß. Machen wir uns darüber keine Illusion. Wenn Sie uns, l[ie]be Frau Schubert, im Mai die Freude Ihres Besuches machen wollen - u. wir werden uns umhören, wo Sie wohnen könnten, dann denken Sie uns doch hier anzutreffen; u. wir glauben ja auch, noch beharren zu können; aber es hängt nicht von unserm Willen ab. Es ist nun einmal so: Wir sind zur Auswanderung oder Verelendung gezeichnet. Ist es nicht genug, daß ein gütiges Geschick etwa % aller jüdischen Menschen aus Alt-Deutschland herausgeführt u. gerettet hat? Der Überrest sieht einem traurigen Geschick entgegen, wenn der Himmel sich nicht auch seiner erbarmt. Bedauern Sie uns nicht zu sehr, hebe Freunde. Wenn wir den Mut haben, solch Geschick zu tragen, dann dürfen die ändern nicht weichmütig sein u. uns nicht weichmütig machen.

Aber etwas anderes können u. mögen sie: sie können uns dies Geschick erleichtern. Und das tun Sie, liebe Freunde, nun schon seit all diesen schweren Jahren der Verfolgung. Das ist ein sehr großer Trost, eine Hilfe u. Hoffnung. Es ist auch dann nicht vergeblich gewesen, wenn das Letzte nicht von uns abgewandt werden kann. Ich muß viel an die wenigen, aber inhaltsreichen Essener Tage denken. Und, recht betrachtet, haben wir sie so gut genutzt, als es irgend möglich war. Und von Ihnen beiden empfing ich so viel Freundlichkeit wie von den ändern allen zusammen. Das will schon etwas heißen; denn ich konnte mit der Aufnahme in meiner alten Gemeinde zufrieden sein. Die l[ie]be Frau Kirschstein übertraf alle.

Heute empfing ich [einen] Brief von Dr. Norden, der so fleißig seines Amtes in H[am] b[ur]g waltet u. mir den Text zu seiner heutigen Ansprache schickt „Und Aaron schwieg“. Er paßt nur allzu gut für die Gemeinde in ihrer bedrängten Lage; ich fürchte, sie wird viel Seufzer auslösen. Er selbst stillt seine Sehnsucht nach den fernen Lieben tapfer; seine Hanna ist in Tientsin glücklich verheiratet. Ich will hoffen, daß Ihre 3 Kinder unablässig Günstiges zu melden haben, insb. möge über Konrad ein günstiges Geschick walten. Dr. Walters Erkrankung ist hoffentlich überwunden; einen größeren Bericht über seine persönlichen Erlebnisse läsen wir gern. Und wie steht’s in Jugenheim? Hier hat unsere Frau Anna eine rege Ausleihe der so beliebten Bücherreihe Helene Christaller. - Ihre Sammlungen, l[ie]be Frau Schubert, ergänzen Sie nur fleißig! Glücklicherweise gehören Sie zu den Bodenständigen; ich denke, in späterer Zeit müssen auch Sie beide einen kleinen Besitz auf glücklicherer deutscher Erde Ihr Eigentum nennen, nicht immer die nur von Fremden gemieteten Räume bewohnen. Und ein kleines Eckchen wird dann „Familie Samuel“ bilden u. was mit dieser zusammenhängt. So ist denn gesorgt dafür, daß uns ein gutes Gedächtnis bleibt, über das niemand Gewalt hat. Gegen Wirklichkeiten ist die mächtigste Lüge unwirksam. Hr. Buchthal beweist ja schöne Aufmerksamkeit: Willst Du erfahren, was sich ziemt u.s.w. - Wir lasen grade „Maß für Maß“ von Shakespeare, kein Meisterwerk, aber gedankenreich.

Einen friedl. Sabbat wünscht

Sehr erquickt durch den schönen Frühlingsbrief, sendet heut mit herzl. Grüßen das gewünschte Gedicht, bald mehr von der treuen [unleserlich]

Baum wird geladen...