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Chronik und Quellen
1940
Februar 1940

Deportation aus Stettin

Am 16. Februar 1940 berichtet die „Neue Zürcher Zeitung“ über die Deportation der Juden aus Stettin:

Die Deportation der deutschen Juden

Berlin, 15. Febr. (Tel. unseres O-Korr.) Nachdem vor Neujahr schon einige Transporte von Juden aus Österreich und dem Protektorat Böhmen-Mähren nach dem Gebiet von Lublin in Polen abgefertigt worden sind, setzen jetzt auch die Deportationen aus dem alten Reichsgebiet ein. Diese neue Aktion läßt darauf schließen, daß das Projekt eines Judenreservats in den östlichen Teilen des Generalgouvernements zwischen Bug und San weiter verfolgt und nach Maßgabe der verfügbaren Transportmittel verwirklicht wird. In den Nachtstunden des 12. und 13. Februar wurden, wie bereits kurz gemeldet wurde, in Stettin sämtliche Juden von Mitgliedern der SS und der SA sowie von Funktionären der NSDAP festgenommen. Jede Wohnung erhielt eine Besetzung durch zwei Mann, die den betroffenen Familien mitteilten, sie müßten noch in dieser Nacht ihre Wohnung verlassen und würden mit unbekanntem Ziel abtransportiert. Sie sollten warme Unterkleider an-ziehen, soweit solche vorhanden seien. An Gepäck durfte jede Person nur einen Hand-koffer mitnehmen. Die gesamte übrige Wohnungseinrichtung mußte zurückgelassen werden. Ebenso mußten die Juden das vorhandene Bargeld und die Wertgegenstände mit Ausnahme eines Traurings und einer Uhr abliefern. Soweit Bankkonten und Haus- und Grundbesitz vorhanden waren, wurden die Juden in Stettin veranlaßt, einen Verzicht auf diese Vermögensobjekte zu unterzeichnen.

Die Mitnahme von Lebensmitteln oder von Reiseproviant wurde nicht gestattet. Die noch in den Wohnungen vorhandenen Lebensmittel wurden beschlagnahmt. Zwischen drei und vier Uhr morgens holten je zwei Posten der SS und der SA die Juden mit Frauen und Kindern aus den Wohnungen und brachten sie zum Güterbahnhof Stettin, wo der Abtransport nach Ostpolen in den frühen Morgenstunden des Dienstags begann. Auch die Insassen der beiden jüdischen Altersheime in Stettin, rund achtzig Personen, darunter Frauen und Männer über achtzig Jahre, wurden deportiert. Soweit sie nicht mehr zu gehen imstande waren, wurden sie auf Tragbahren zum Güterbahnhof gebracht. In Stettin und Umgebung hat die Deportation über 1800 Personen erfaßt. Darunter befinden sich ehemalige Frontkämpfer aus dem Weltkrieg. Jedem Juden wurde ein Pappschild umgehängt, das Namen und Deportationsnummer trug. Auf die Frage, ob in Polen Unterkunft bereitstehe, erteilten die begleitenden Wachmannschaften ausweichende Antworten. Auf die weitere Frage, wie lange der Transport dauern würde, wurde erwidert: „Drei bis vier Tage.“ Die Deportierten versuchten durch einen Mittelsmann an den Präsidenten Roosevelt ein Hilfegesuch zu richten, das die Bitte um eine beschleunigte Einreiseerlaubnis nach den Vereinigten Staaten enthält, um die Juden vor dem Untergang zu bewahren. In Danzig, Königsberg und ändern Orten Norddeutschlands sollen die Deportationen im Laufe der nächsten Wochen einsetzen. Alle Vorbereitungen sind dort bereits durch die Gauleitungen der Partei und durch die Polizeiorgane getroffen. Auch in diesen Orten erfolgt die Deportation unter Beschlagnahme aller Vermögensobjekte.

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