Menü
Chronik und Quellen
1940
Januar 1940

Verhöhnung beim Einkaufen

Margarete Korant aus Berlin berichtet ihrer Tochter Ilse am 19. Januar 1940, wie sie beim Einkäufen verhöhnt wurde:

Mein geliebtes Kind,

ich hatte gerade einen Brief an Dich in den Kasten gesteckt, als ich Deinen Luftpostbrief vom 21.12. erhielt. Ich beantworte ihn aber erst in ein paar Tagen, da dieser Brief mit gewöhnlicher Post Weggehen soll. Da ich die richtigen Fersenschoner nicht schicken kann, weil Muster ohne Wert nicht angenommen wird, sende ich ein paar andere, die zwar nicht so praktisch sind, aber vielleicht auch den Zweck erfüllen. Nur muß man sie leider in den Schuh einkleben, kann sie also nicht auswechseln. Den Buchstaben J habe ich für Deinen Mantel gedacht, ich trage sie auch. Es gibt hier so vielerlei Sachen, auch leuchtende Blumen, es ist eine ganze Industrie daraus entstanden. Es ist wieder bitter kalt ([minus]i5-20°), und ich bin sehr glücklich mit meiner Heizsonne. Es wird miserabel geheizt, heute z. B. wieder gar nicht, über h. s. d. sind Kohlen gekommen, da wird es wohl morgen wieder besser werden. Wir haben dieses Mal eine Lebensmittelkarte weniger bekommen, eine sogen. Zusatzkarte für nicht bewirtschaftete Lebensmittel (d. h. ohne Karte), also die sind Hülsenfrüchte, Reis, Schokolade, Wild, Geflügel, Heringe etc. Da ich mit letzterem in eine Kundenliste eingetragen war, wollte ich [es] mir nun holen, die Frau sagte jedoch ganz höhnisch, Sie wissen doch, daß Nichtarier keine Zusatz-Lebensmittel mehr bekommen. Es gibt mir jedes Mal einen Schlag, wenn ich so was höre, an diese Sachen kann man sich einfach nicht gewöhnen. In unserer Gegend dürfen wir auch erst nach 12 Uhr auf die Märkte und in viele Einzelhandelsgeschäffe gehen, was man auf dem Markt dann noch bekommt, kannst Du Dir vielleicht vorstellen. Es tut mir furchtbar leid, daß ich die Bildchen von Dir und Steffilein nicht bekommen habe, es ist scheußlich, wie viel Post verlorengeht. Tante Dussel ist schon einige Tage krank, ich werde ihr nachher eine Visite abstatten. Von Cs kam wieder ein langer Brief, wieder nach O., die haben mindestens schon 4 Briefe bekommen und können sich nicht entschließen zu antworten. Wenn sie an mich schreiben würden, würden sie prompter bedient, aber an meine Existenz haben sie offenbar schon total vergessen. Tante Ellen hat den Jungen besucht und schreibt, daß er großartig aussieht, dem scheint es recht gut zu gehen. Hoffentlich bekommst Du diesen Brief mit den diversen Einlagen. Viele herzliche Grüße und Küsse an Euch alle, ich sehne mich so nach Euch, in treuer Liebe Eure Oma-Mutti

Da der Brief sowieso doppelt wiegt, schicke ich lieber 2 statt einen, hoffentlich kommen sie beide an.

Baum wird geladen...