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Chronik und Quellen
1939
Dezember 1939

Einschränkung des Alltags

Jochen Klepper aus Berlin dokumentiert am 8. Dezember 1939 in seinem Tagebuch, wie seiner Familie die grundlegenden Dinge des täglichen Lebens entzogen werden:

Dezember 1939, Freitag

Darum seid ihr auch bereit; denn des Menschen Sohn wird kommen zu einer Stunde, da ihr’s nicht meinet. Matthäus 24,44

Der Herr ist nahe bei denen, die zerbrochenen Herzens sind, und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben. Der Gerechte muß viel leiden; aber der Herr hilft ihm aus dem allem. Psalm 34,i9.20.

Mit den antisemitischen Maßnahmen geht es trotz der Vernichtung des Judentumes weiter: nicht nur keine Kleider, keine Wäsche, sondern auch keinerlei Nähmittel. Und keine Schuhsohlen.

Und heute war, ehrlich erregt und bekümmert, Frau Dr. Edzards (NSV) bei mir, die neuen Lebensmittelkarten zu bringen; auch auf diesem einschneidendsten Gebiet nun Sonderregelung für Hanni und Reni. Es soll sich um den Aufdruck eines roten J auf ihre Karten handeln, besondere Einkaufszeiten, Entzug der Ration an Schokolade und Pfefferkuchen etc.:

Am Dienstag wird den Juden das Nähere auf der Kartenstelle bekanntgegeben. Möge keine einschneidendere Beschränkung der Ernährung kommen -!

Wann wird ein Ende sein!

Aber welche Wohltat, wie hier in diesen Angelegenheiten alles nur eines Sinnes ist.

In anderen Stadtteilen könnte das anders sein.

Hoffentlich bereiten uns nun die Geschäfte keine Schwierigkeiten; aber Hanni hat eigentlich einen guten Eindruck von den Leuten. Zimmermanns, Moltkes, Anni, Frau Edzards, Karbe; es ist wirkliches Erschrecken. Nur die Anonymität ist nun nicht mehr möglich. -

In ganz Nikolassee sollen, nach Frau Edzards’ Kenntnis, im ganzen noch drei jüdische Familien sein.

Da die antisemitischen Maßnahmen so unpopulär geworden sind, veröffentlicht man sie nicht mehr. Es werden einem kleine rote Handzettel zugeteilt. Heute kamen meine Freiexemplare vom 30. Tausend „Vater“.

Mein Leben verläuft in seltsam gegensätzlichen Linien. Es ist sehr schwer, in dieser Lage zu schreiben.

In Renerles Sache rührt sich in der Schweiz noch niemand. Doch schickten uns Tappolets heute ein Büchschen mit Kaffee.

Es ist kalt, trübe, dunkel: Nur als die Sonne aufging, war sie wunderbar bronzen; und für Augenblicke leuchtete alles auf.

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