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Chronik und Quellen
1939
Juli 1939

Bericht über Abschiebungen und illegale Auswanderung

Ein unbekannter Verfasser berichtet dem Joint am 5. Juli 1939 über Abschiebungen und illegale Emigration aus dem Reich:

Auswanderung aus Deutschland und Österreich

Die Nazi-Regierung ist sehr darauf bedacht, dass die deutschen und österreichischen Juden so schnell wie möglich auswandern. Mit Gewalt und vielerlei Formen der Verfolgung, wie Verschleppungen in Konzentrationslager usw., versucht sie, die Menschen in Panik zu versetzen und sie zu zwingen, unter allen Umständen auszuwandern. Die Nazis beteiligen sich sogar in großem Stil am Schmuggel Tausender Menschen.

Gleichzeitig behalten sie die Reisepässe von Ausreisewilligen ein und behindern so deren Emigration, sei es, um den letzten Pfennig aus diesen Menschen herauszupressen, bevor sie Deutschland verlassen, sei es um Leute zurückzuhalten, die möglicherweise zu politischen oder sozialen Gruppen gehört haben, die den Nazis verdächtig erscheinen, oder die im Besitz von Informationen sind, von denen die Nazis nicht möchten, dass sie in den Nachbarländern bekannt werden. Infolgedessen kommt es neben dem, was wir als geordnete Emigration bezeichnen würden, auch zu ungeordneter Emigration.

Jedoch findet diese ungeordnete Emigration mit Unterstützung der Gestapo und der Nazis statt bzw. wird von diesen erzwungen. Zu Beginn der Naziherrschaff in Österreich fanden umfangreiche gewaltsame Vertreibungen über die Grenze statt, Juden aus dem Burgenland wurden über die ungarische oder die tschechoslowakische Grenze gejagt, um dann von der Polizei in diesen Ländern wieder zurückgeschickt zu werden. Dann wurden sie erneut mit vorgehaltenem Bajonett in diese Länder getrieben, die nicht willens waren, sie aufzunehmen. Die Not vieler dieser Menschen ist uns bekannt, insbesondere jener, die monatelang auf einem Kahn auf der Donau lebten und schließlich mit Hilfe des JDC nach Palästina emigrieren konnten. Wir wissen von anderen Gruppen im Niemandsland zwischen der österreichisch-jugoslawischen Grenze, vor allem von einer, die Hilfe von Prinzregent Paul erhielt, der diesen Flüchtlingen erlaubte, ein paar Wochen lang in Jugoslawien zu bleiben, bis ihre Weiterreise woandershin ermöglicht werden könnte. Es gibt noch mehr von diesen Gruppen an der slowakisch-ungarischen sowie an anderen Grenzen. Die schrecklichste Abschiebung dieser Art war die Vertreibung von 18000 polnischen Juden über die polnische Grenze in nur einer Nacht. Noch immer befinden sich etwa 4000 Juden in einem Lager in Zbanszyn. Tag für Tag werden weitere zur Rückkehr nach Polen gezwungen, dort jedoch nicht aufgenommen.

An den Westgrenzen Deutschlands schiebt die Gestapo Tausende von jüdischen Menschen über die Grenze ab. Viele überqueren die belgische, holländische und französische Grenze mitten in der Nacht, entweder in einem Augenblick, in dem der Wachwechsel stattfindet, oder wenn die Grenzsoldaten durch irgendeinen Trick veranlasst werden, ihren Posten zu verlassen, ohne eine Ersatzwache zurückzulassen. Andere wurden in Busse oder Taxen gesetzt und als harmlose Reisende über die Grenze transportiert. Doch selbst wenn die Polizei in einem dieser westlichen Länder einige dieser illegalen Einwanderer bemerkte, rührte deren Notlage sie so sehr, dass sie sich den Anweisungen ihrer Vorgesetzten widersetzte und diese Leute nicht wieder zurückschickte, sondern sie statt-dessen zum nächsten jüdischen Flüchtlingskomitee brachte.

Als Polizisten in Luxemburg den Befehl erhielten, eine dieser Flüchtlingsgruppen wieder zurück nach Deutschland zu schicken, drohten sie damit, von ihren Posten zurückzutreten, sollten sie dies noch einmal tun müssen.

In Deutschland und der Schweiz bedient sich die Gestapo anderer Mittel. So brachte sie beispielsweise eine Gruppe deutscher Juden zur jüdischen Gemeinde einer kleinen deutschen Stadt an der Schweizer Grenze und teilte dieser mit, die Gemeinde habe sich darum zu kümmern, diese Gruppe über die Grenze zu bringen, andernfalls habe sie selbst das Nachsehen. Es versteht sich von selbst, dass die jüdische Gemeinde alles Menschenmögliche unternahm, um dieser Flüchtlingsgruppe über die Grenze zu helfen.

Es gibt weitere Abschiebungsbeispiele: In Danzig teilte die Polizei der jüdischen Gemeinde mit, dass zu einem festgelegten Zeitpunkt ein Schiff bereitstünde, um 500 Personen aufzunehmen. Die Gemeinde hätte diese 500 Personen zu bestimmen, andernfalls müsste sie mit strenger Bestrafung rechnen. Diese 500 müssten an Bord des Schiffs gehen, das nach wochenlanger Reise hoffentlich in Palästina vor Anker gehen würde, andernfalls in Shanghai. Die Gestapo geht in verschiedene jüdische Gemeinden und teilt diesen mit, dass ein Schiff mit unbekanntem Fahrtziel, auf dem noch Platz für 200-300 weitere Personen sei, zum Auslaufen bereitliege. Die jüdische Gemeinde muss dann Passagiere für den unbekannten Bestimmungsort beschaffen. In den meisten Fällen wird die jüdische Gemeinde gezwungen, für die Kosten aufzukommen, manchmal verwendet die Gestapo allerdings Gelder, die sie jüdischen Organisationen, Gemeinden oder Einzelpersonen abgenommen hat.

In den Fällen, in denen Leute auswandern wollen und von der Gestapo daran gehindert werden, gibt es eine ganze Reihe von Personen, die in Verbindung mit Anti-Nazi-Gruppen im In- und Ausland stehen, die diesen Menschen helfen zu emigrieren. Es sind viele Fälle bekannt, in denen sie in die Busse gesetzt werden, die täglich die Arbeiter über die Grenze zu ihren Arbeitsplätzen in die Fabriken bringen. Diese Busse werden bekanntlich nicht durchsucht, da es sich dabei um einen normalen täglichen Arbeitertransport handelt. Die betroffenen Personen sind als Arbeiter gekleidet und gelangen so, ohne Verdacht zu wecken, über die Grenze. Hunderte Kinder werden über die Grenze nach Frankreich geschmuggelt. Sind sie erst einmal in Frankreich angekommen, können keine Maßnahmen mehr gegen sie ergriffen werden, da sie als Minderjährige nicht zurückgeschickt werden dürfen. Hunderte Emigranten überqueren die Schweizer Grenze zu Fuß über die Berge, durch Sümpfe und an den flachsten Stellen durch den Rhein. In den Bergen und Wäldern begeg-neten die Flüchtlinge oft freundlichen Schweizern und Bauern, die sie zum nächsten Flüchtlingslager brachten, ungeachtet der schweren Strafen, die diesen dafür drohen.

Ich selbst habe einen Mann getroffen, der sechs Mal auf diesem Weg versucht hat, in die Schweiz zu gelangen, nur um jedes Mal wieder zurückgeschickt zu werden. Beim siebten Mal wurde er wieder erwischt, doch die Polizei erbarmte sich seiner und erlaubte ihm zu bleiben. Gleichzeitig mit ihm kam eine Frau mit drei Kindern über die Grenze. Als ich das junge Mädchen fragte, ob es sehr beschwerlich gewesen sei, antwortete es mit einem bitteren Lächeln: „Nein, das Wasser ging mir nur bis an die Hüften.“ Die Polizei schickte sie nicht zurück.

Ein junges Mädchen, das weder für Belgien noch für Frankreich ein Visum bekommen konnte, doch in Wien, wo es für eine soziale Organisation arbeitete, in großer Gefahr schwebte, schlich sich über die belgische Grenze und ging am Strand entlang zur französischen Grenze. Dort begegnete es einem französischen Taxifahrer, der es in seinem Taxi nach Frankreich brachte. Dies geschah am 30. September 1938 nach der französischen Mobilmachung, und der Strand wimmelte nur so von Soldaten. Das Mädchen hatte furchtbare Angst, doch der Taxifahrer beruhigte es, er habe schon drei Mal reguläre Fahrgäste nach Frankreich gefahren, die Polizisten würden ihn bereits kennen. Als die Soldaten sein Taxi erkannten, grüßten sie freundlich und durchsuchten es nicht. Auf diese Weise gelangte das Mädchen nach Frankreich und konnte seinen Aufenthalt dort später legalisieren.

Es gibt Hunderte von Fällen, in denen Franzosen, Schweizer und Engländer, die in Verbindung zu einer fortschrittlichen politischen Gruppe stehen, nach Deutschland fahren und Menschen, von denen sie wissen, dass sie keine Reisepässe bekommen können, zu Hause abholen, sie an die Grenze bringen, mit den erforderlichen Ausweispapieren ausstatten und in die westlichen Länder bringen. Obwohl die Grenzposten angewiesen sind, alle Verdächtigen zurückzuschicken, folgen sie eher den Befehlen ihres Herzens als denen ihrer Vorgesetzten. Es gibt auch viele Fälle, in denen deutsche Arier unter dem Vorwand, ein Picknick oder einen Ausflug zu machen, Juden und ihren Familien helfen, über die Grenze zu kommen - ungeachtet des großen Risikos, das sie damit eingehen.

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