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Chronik und Quellen
1939
Juni 1939

Mietverhältnisse für Juden

Bernhard Heun, Jurist im Personalamt der Stadt Frankfurt a. M., interpretiert am 14. Juni 1939 die Bestimmungen über die Mietverhältnisse mit Juden:

Betr.: Mietverhältnisse mit Juden

Das Gesetz vom 30.4.1939 (RGBl. I, S. 864) verbietet nicht, daß ein Arier an einen Juden vermietet. Zwar sagt der Durchführungserlaß des Reichsarbeits- und des Reichsinnenministers vom 4.5.1939 (RMBliV. Spalte 996 ff.) in Nr. 4:

„Der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung besteht darin, daß die Juden in bestimmten Häusern - gF. zwangsweise - zusammengefaßt werden sollen. “

Noch deutlicher heißt es in Nr. 5 des Durchführungserlasses:

„Bei der Durchführung des Gesetzes, namentlich der anderweitigen Unterbringung der Juden, die bisher in nichtjüdischen Häusern wohnten, ist eine weitgehende Einschaltung der Gemeindebehörden vorgesehen. Sie sind auch in der Lage, eine anderweitige Unterbringung zwangsweise durchzusetzen. “

Das Gesetz selbst gibt aber den Gemeinden keine unmittelbaren Zwangsbefugnisse zur Überführung der Juden in jüdische Häuser. Es verbietet demgemäß auch nicht, daß ein Jude bei einem Arier eine neue Wohnung mietet. Nur Untermietverträge zwischen Ariern und Juden sind verboten (§ 3 des Gesetzes), wohl deshalb, weil durch die Untervermietung eine Wohngemeinschaft begründet wird.

Es trifft also nicht ganz zu, wenn die eingangs wiedergegebenen Stellen des Durchführungserlasses davon sprechen, daß die Juden zwangsweise in jüdischen Häusern zusammengefaßt werden könnten. Richtiger drückt sich der Durchführungserlaß in Nr. 7 aus, wo es heißt:

„Beim Freiwerden von Wohnungen, die bisher von jüdischen Mietern in nichtjüdischen Häusern bewohnt worden sind, wird in geeigneter Weise darauf hinzuwirken sein, daß diese nach Möglichkeit deutschen Volksgenossen, die bisher in jüdischen Häusern wohnten, zur Verfügung gestellt werden. Das freie Vermietungsrecht der Vermieter bleibt jedoch unberührt, wie auch deutsche Volksgenossen auf Grund des Gesetzes nicht gezwungen sind, ihre Wohnungen in jüdischen Häusern aufzugeben.“

An dieser Stelle kommt klar zum Ausdruck, daß die Gemeinden einen Juden nicht daran verhindern können, erneut bei einem Arier eine selbständige Wohnung zu ermieten.

Der Zwang, von dem der Durchführungserlaß spricht, kann sich unmittelbar nur insofern auswirken, als nach § 4 Absatz 1 des Gesetzes jeder jüdische Hauseigentümer auf Verlangen der Gemeinde Juden als Mieter oder Untermieter aufzunehmen hat, nötigenfalls auf Grund eines von der Gemeinde zwangsweise festgesetzten Mietvertrages. Darüber hinaus kann die Gemeinde nur mittelbar einen Zwang ausüben, indem sie den arischen Hausbesitzern nahelegt, von den §§ 1 und 2 des Gesetzes (Lockerung des Mieterschutzes und vorzeitige Kündigung) Gebrauch zu machen. Hierzu wird sich die Gemeinde zweckmäßigerweise an den örtlich zuständigen Hoheitsträger der Partei wenden, wie dies der Durchführungserlaß in Nr. 1 bezüglich der Räumungsbescheinigungen empfiehlt. Davon abgesehen kann die Gemeinde einen mittelbaren Zwang zur Räumung dadurch ausüben, daß sie gemäß § 12 Absatz 1 des Gesetzes die Anmeldepflicht für die an Juden vermieteten Räume einführt. Bisher ist eine solche Anordnung in Frankfurt a.M. noch nicht ergangen. Sie wird deshalb mit Beschleunigung zu erlassen sein.

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