Hoffnung auf Kündigung jüdischer Mieter
Frau D., auf Wohnungssuche in Berlin, gibt am 21. Januar 1939 in einem Brief ihrer Hoffnung auf die Kündigung jüdischer Mieter Ausdruck:
Mein liebstes Schätzchen!
Heute, Sonnabend, bin ich von meiner Wohnungssuche schon um 2½ Uhr heimgekommen, da mich meine Beine einfach nicht mehr tragen wollten und der Kopf zum Zerspringen dröhnte; ich muß mir heut und morgen wohl etwas Ruhe gönnen, sonst halte ich die Strapazen nicht aus. Ein Ausflug mit der Reichsschule ist ein Kinderspiel gegen die Hetzjagd bei der Wohnungssuche. Soeben erhielt ich Deinen humorvollen Eilbrief, mein bestes Herzel, der mich ordentlich aufmunterte und meinen Mißmut etwas vertrieb. Nun noch einiges zu den beiden Wohnungen. Zunächst besichtigte ich die Wohnung zu 95,- am Stubenrauchplatz. Die Wohnung gefiel mir im Schnitt recht gut, es müßte nur einiges gemacht werden; die Hausfront macht allerdings einen ziemlich schäbigen und mitgenommenen Eindruck; doch auch dieser Mangel nebst den 95.- Märzmiete und die unmittelbare Nähe der Schloßstraße mit Trubel und Verkehr konnten mich nicht hindern, sofort den Wirt in der Konstanzerstr. i. der Nähe des Fehrbellinerpl. aufzusuchen. Ich gelangte in ein Büro mit einigen Angestellten, denn der Wirt besitzt eine Anzahl Häuser. Als ich dort nun einem der Angestellten mein Leid klagte und er mir daraufhin erklärte, in der Konstanzerstr. z. B. wohnen in einem seiner Häuser noch 15 Juden, mit deren Kündigung sie nach und nach rechnen, vergaß ich langsam die Wohnung in der Stubenrauchstr.. Eine Wohnung i. d. Konstanzerstr. 3 Zimmer m. Kammer, w. W., Heizung, Fahrstuhl RM 125,-. Hochherrschaftliche Häuser, in denen ich es für die Ewigkeit aushielte. Ich ließ meine Adresse dort und bat, bei einer 3 ½ - 4- oder 4½-Zimmer- Wohnung an mich zu denken; dann graste ich regelrecht alle Querstraßen der Konstanzer Str. ab, dort wohnen nämlich einmal noch heute Juden in Hülle und Fülle, zweitens fährt durch die Konstanzer ein Autobus nach Zehlendorf und zum anderen ist in diesen Straßen ein Haus immer herrlicher als das andere; die Juden wußten schon, wo es schön ist. Eine sehr nette Portier-Frau in einem dieser Häuser versprach mir, wenn Juden kündigen sollten, sofort an mich zu schreiben. Hochherrschaftliches Haus, w. W., Zentralheizung, Fahrstuhl, 4 Zimmer m. Kammer RM 135,-, 5 Zimmer m. Kammer RM 150. Ich habe der Frau dafür natürlich eine Belohnung versprochen. Ich würde gern 15,- RM zahlen, wenn ich solche Wohnung in einer so vornehmen und ruhigen Straße bekäme. Ja, mein Spatz, das sind Rosinen. Durchschnittlich kostet eine 4½-5 Zi.-Wohnung 155-220 RM. Bei diesem Fragen und Suchen stieß ich nun auch auf die 155,- MK.-Wohnung in d. Düsseldorferstr., Hochherrschaftliches Haus, w. W., Fahrstuhl, Zentralheizung, aber Erdgeschoß. Läden befinden sich nicht unter der Wohnung, mein Liebster. Die Wohnung liegt zu ebener Erde, kann man eigentlich sagen; ich glaube, wenn ich allein bin, habe ich in der Wohnung Angst. Außerdem scheint die Sonne wohl nie ins Erdgeschoß, denn hohe Baumreihen zieren die Straße. Geschäfte gibt es in diesen Häusern sowieso nicht, mein Spatzel. Ja, es ist halt sehr schwer, Nachteile hat jede Wohnung. Doch diese Wohnung war an sich so schön, daß sie mir überhaupt nicht aus dem Kopf will. Vor zwei Jahren wurde die Wohnung auch noch vollkommen renoviert. Ein richtiges Schmuckkästchen.
Du wirst selbst sagen, die Wohnung ist einzig im Bau. Etwas Schöneres gibt es wohl kaum. Die meisten Wohnungen sind so entsetzlich und ungemütlich im Schnitt, daß man sich fragt, ob sie vom Schuster gebaut wurden.