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Chronik und Quellen
1940
März 1940

Vierteljahresbericht der Auswanderungsstelle Köln

Am 27. Mai 1940 übermittelt der Oberpräsident der Rheinprovinz Folgenden Bericht der Öffentlichen Auswanderungsstelle in Köln:

Öffentliche Auswandererberatungsstelle Köln
Tgb.Nr.71/40.W.                                      den 22. Mai 1940

In der Anlage überreichen wir ergebenst eine Ausfertigung unseres Vierteljahresberichtes Januar/März 1940 an die Reichsstelle für das Auswanderungswesen in Berlin zur gefl. vertraulichen Kenntnisnahme sowie weitere acht Ausfertigungen des Berichts zur gefl. Weiterleitung an die Geheime Staatspolizei.

Nur für den Dienstgebrauch!

Tätigkeitsbericht für Januar, Februar, März 1940

der öffentlichen Auswanderungsberatungsstelle Köln (frühere Zweigstellen Köln und Düsseldorf des Reichswanderungsamtes).

Betreuungsgebiet: Rheinprovinz und die westfälischen Regierungsbezirke Münster und Arnsberg.

Aus bekannten Gründen ist die Auskunftstätigkeit unserer Stelle in der Berichtszeit wieder um ein Geringes zurückgegangen. Die Zahl der bearbeiteten Fälle betrug im:

                                    Januar           Februar             März             Sa.

mündlich                      182                 180                 163             525        
schriftlich                    128                 136                 114             378
                                      310                 316                  277             903

davon Juden und
jüd. Mischlinge           276                 263                 234               773 =   71,2 %

In diesen 903 Fällen wurden 920 Auskünfte erteilt.

Im Vorvierteljahr wurden 1100 Fälle bearbeitet und 1128 Auskünfte gegeben. Der Anteil der jüdischen Anfrager betrug damals 89,9 %, sodaß die Zahl der Deutschblütigen sich weiter erhöht hat.

Die berufliche Zusammensetzung der erfaßten Personen ist folgendermaßen:

Handels- und Versicherungsgewerbe         235   (341) x)
Industrie und Bauwesen                                 54     (101)
Freie Berufe                                                         54     (31)
Häusliche Dienstboten                                   22     (32)
Lohnarbeit wechselnder Art                           18     (10)
Land- und Forstwirtschaft                               17     (27)
Gesundheitswesen                                             16     (16)
Gastwirtschaft, Verkehrsgewerbe                   7       (7)
Bergbau und Hüttenwesen                               1         --
Ohne Beruf und Berufsangabe                      479     (535)
                                                                             903   (1100)

Die Reihenfolge der einzelnen Gruppen hat sich nicht wesentlich verschoben. „Freie Berufe” und „Lohnarbeit wechselnder Art” zeigen eine Zunahme. In der erstgenannten Gruppe fallen dieses Mal besonders viel Arier auf: Ordensfrauen und Missionspriester, die ins Auslang berufen oder versetzt sind. Der Rest sind jüdische Akademiker. „Lohnarbeit” umfaßt nur Juden, die als Tiefbauarbeiter u. ä. hier noch arbeiten dürfen. Aus dem „Gesundheitsgewerbe” kamen dieses Mal

_________
x) die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf das Vorvierteljahr

 

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ebenfalls nur Juden. In „Gastwirtschaft/Verkehrsgewerbe” überwogen die Arier. Beim „Handelsgewerbe” war der arische Anteil verhältnismäßig unbedeutend. Die Angehörigen von „Industrie und Bauwesen” waren zu einem Fünftel, die „Häuslichen Dienstboten” zu mehr als der Hälfte Arier. Die Gruppe „Ohne Beruf und Berufsangabe”, die mehr Anfragen aufweist als alle anderen Gruppen zusammen, umschließt wieder außerordentlich viel jüdische Frauen, Mädchen und Kinder, die Familienangehörigen nachwandern, ferner auch männliche Personen, die ihren Beruf hier nicht mehr ausüben können. Der Anteil der Arier unter den Berufslosen ist unbedeutend.

Die Nachfrage nach den einzelnen Erdteilen war wie folgt:

Amerika                                                 582     (718)
Europa                                                159     (160)
Asien                                                         94     (122)
Afrika                                                       12       (17)
Australien                                                1         (5)
allgem. Ausland                                      16       (11)
                                                                 864   (1033)

An sonstigen Auskünften wurden      56         (95) gezählt, sodaß insgesamt
                                                              920   (2289) Auskünfte erteilt wurden.

Wie ersichtlich, ist der Rückgang bei dem Erdteil Amerika besonders stark. Er entfällt vorzugsweise auf Südamerika und da wieder auf Chile. Nordamerika, das dieses Mal nur die Ver. Staaten umschließt, hat sogar noch zugenommen. Die Ver. Staaten sind das meistgefragte aller Länder und das Hauptzielland der jüdischen Auswanderer. Es ist tatsächlich sehr aufnahmebereit für jüdische Einwanderer, denn die Vorladungen zum Konsulat nach Stuttgart erfolgen in außerordentlichem Umfang. Wie verlautet, soll das Konsulat in diesem Jahr keine Ferien machen, sondern auch während der Sommermonate durcharbeiten. Es soll im übrigen bei der Zuteilung der deutschen Quotennummern gegenüber anderen Konsulaten zahlenmäßig bevorzugt worden sein. Die Visumerteilung geht daher ohne Unterbrechung und in erhöhtem Maße vor sich. Zahl der Beratungsfälle für die Ver. Staaten: 322 (308), die bis auf einzelne wenige Ausnahmen Juden betrafen. Wieder befanden sich unter den Antragstellern auch solche fremder Quotenzugehörigkeit. Bei deren Beratung konnten wir u. a. feststellen, daß die Nummernzuteilung für die lettische Quote für das Geschäftsjahr 1939/40 vom Amerikanischen Konsulat geschlossen worden ist. Eine neue Zuteilung von Nummern dieser Quote kann erst im Juni/Juli stattfinden.

Von den über mittelamerikanische Länder gegebenen 22 (38) Auskünften entfallen 9 (15) auf Mexiko. Keine deutschblütigen Anfrager.

 

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Die südamerikanischen Staaten waren in 238 (372) Fällen Gegenstand der Anfrage. An der Spitze Südamerikas erscheint dieses Mal Argentinien mit 58 (47) Auskünften, von denen 10 für Deutschblütige waren. Brasilien ist um ein weniges zurückgegangen, 43 (51) Anfragen, die bis auf 6 von Juden ausgingen. Beide Länder zeigen sich unverändert in der Handhabung der Einreisebestimmungen, die Zulassungen zunächst nur für Angehörige in auf- und absteigender Linie von dort Ansässigen vorsehen und in Argentinien auch für Bräute. Das Absinken Chiles auf 39 (192) Anfragen (fast ausnahmslos Juden) erklärt sich durch eine Anweisung aus Santiago an die chilenischen Konsulate in Deutschland, bis auf weiteres keine Visen an Juden mehr zu erteilen, sofern nicht eine besondere Einreisegenehmigung aus Santiago vorläge. Peru weist 28 (5) arische, Uruguay 20 (11) durchweg jüdische Fragesteller auf. Venezuela mit 19 (36), Bolivien mit 13 (20), Paraguay mit 8 (7) und Kolumbien mit 3 (3) Fragestellern waren nur von Juden begehrt.

Der Erdteil Europa ist mit 159 (160) Anfragen unverändert. Hauptzielland waren die Niederlande, die 56 (41) mal gefragt wurden, in mehr als 50 v. H. der Fälle von Juden. Außerordentlich gestiegen ist das Interesse für Luxemburg, für das 34 (8) jüdische Fragesteller gezählt wurden. Belgien als Übergangsland für Juden weist 17 (50) Beratungsfälle auf. Italien, 10 (6) Auskünfte, war meist von Ariern begehrt. Die übrigen europäischen Länder, die 9 mal und weniger gefragt waren, zeigen keine wesentlichen Veränderungen und kamen als Zielland für Arier (Spanien, Griechenland, Ungarn) nur ganz vereinzelt in Betracht, für Juden nur als Übergangsland.

Die 122 Vorgänge über Asien betrafen mit einer Ausnahme (Niederl. Indien) Juden. Auf Palästina entfallen 63 (86) und auf Shanghai 15 (13) Auskünfte, auf das übrige China 8 (2), auf Niederländisch Indien 4 (1), auf die Philippinen 1 (17) und auf Thailande (Siam) 5 (3).

Das Interesse für die Erdteile Australien und Afrika ist weiter zurückgegangen; ersteres wurde 1 (5), letzteres 12 (17) mal gefragt, davon 5 mal die internationale Zone von Tanger. Die 3 (1) Auskünfte über Südwestafrika betrafen einen Deutschblütigen.

Über das allgemeine Ausland wurden 16 (11) und an sonstigen Anfragen 56 (95) gezählt.

Von den 130 Auswanderungswilligen deutschen oder artverwandten Blutes waren 80 weibliche Personen. Es handelte sich bei letzteren besonders häufig um Auswanderung zur Eheschließung. Bei den nach den Niederlanden gehenden Bräuten war der Verlobte durchweg holländischer

 

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Staatsangehöriger. Einmal handelte es sich um eine gebürtige Holländerin, die in erster Ehe einen inzwischen verstorbenen Reichsdeutschen geheiratet hatte. Soweit die Eheschließung mit Auslandsdeutschen beabsichtigt war, kamen folgende Zielländer in Frage: Argentinien (Buenos Aires und Rosario de Santa Fé), Spanien (Spaniendeutscher, der als Flüchtling seinerzeit am Rhein weilte), USA (Textiltechniker in angesehener deutscher Firma) und Niederländisch-Indien (Vertreter einer großen Kölner Firma). Vorweggreifend und unter Bezugnahme auf unseren Vorbericht, Seite 5, Abs. 2, sei erwähnt, daß im April wieder ein junges Mädchen an uns herantrat und eine Bescheinigung zur Erlangung von Paß und Ausreisesichtvermerk bat zwecks Ausreise und Heirat in Italien. Wie in dem zuerst hier bearbeiteten Fall, so war auch sie von einem hier weilenden Italiener geschwängert worden und wollte mit ihm zusammen nach Italien ausreisen und dort heiraten. Trotz des eingereichten schriftlichen Heiratsversprechens des Verlobten stellten wir die gewünschte Bescheinigung vorerst nicht aus, sondern veranlaßten zunächst Ermittlungen über den Verlobten und seine Familie in Italien. Das Ergebnis steht zurzeit noch aus.

Wir sehen uns zu dieser Vorsichtsmaßregel veranlaßt durch eine Mitteilung einer anderen Auswandererberatungsstelle, wonach Erkundigungen in einem Parallelfall ergaben, daß der betreffende in Italien ansässige Heiratskandidat dort bereits eine Ehefrau und drei Kinder hatte! Wir werden jetzt in allen Fällen, wo deutschblütige Mädchen Ausländer heiraten wollen, erst Erkundigungen einziehen, sofern nicht einwandfreie Unterlagen beigebracht werden, selbst auf die Gefahr hin, daß die Auswanderung und Eheschließung dadurch verzögert wird.

In zwei Fällen, in denen es sich um Beziehungen von Reichsdeutschen zu ausländischen Staatsangehörigen handelte und in denen wir in Anbetracht der Zeitverhältnisse eine starke Gefährdung der deutschen Belange erblickten, war eine besonders eingehende Bearbeitung notwendig. Der erste Fall betraf eine 28jährige Bewohnerin des Grenzgebietes, die nach Belgien reisen sollte, um dort ihren Verlobten, der als französischer Staatsangehöriger in der französischen Armee dient, zu heiraten. Ähnliche Absichten hatte ein bei Kriegsausbruch aus England zurückgekehrter Bandwirker. Er wollte besuchsweise nach der Schweiz, wohin auch seine Braut, eine englische Staatsangehörige, von England aus kommen sollte. Beides Mal führten wir den Antragstellern sehr eindringlich vor Augen, wie sehr ihre Absichten gegen das deutsche Volksempfinden verstoßen und daß sie besonders in heutiger Zeit von einer amtlichen Stelle weder Hilfe noch Verständnis erwarten könnten,

(...)

 

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Die Durchführung der Rückreise war mittlerweile dringlich geworden, weil die für die Führung des Hotels notwendige Lizenz im März 1940 erneuert werden mußte, zu welchem Zweck die Anwesenheit des Hoteliers in Südwest erforderlich war. Es ergaben sich aber Schwierigkeiten, da die mitgebrachten Devisen zur Bezahlung der Rückpassage nicht mehr ausreichten und ein entsprechender Antrag zum Erwerb der fehlenden Devisen über die Deutsche Golddiskontbank vom Reichswirtschaftsministerium wegen des Ernstes der Devisenlage abschlägig beschieden worden war. Schließlich gelang es, von bekannter Seite in Südwest Fahrkarten III. Schiffsklasse zu erhalten. Hier wurde die zuständige Devisenstelle angewiesen, als Bewegungsgeld für die Dauer der Überfahrt den Erwerb von Bardevisen in Höhen von RM 100.- zu genehmigen. So konnte das Ehepaar als Doppelstaatler im Februar ds. Js. mit einem italienischen Dampfer ungehindert die Ausreise nach Durban antreten, von wo die Reise mit der Bahn nach Südwestafrika fortgesetzt wird.

Gelegentlich seiner Wiederausreise nach Spanien kam der Spanien-Deutsche-Flüchtling Paul Fluhrer, zuletzt wohnhaft in Ratingen, Bez. Düsseldorf, mit uns in Verbindung. Sollte Fluhrer sich an eine andere Auswandererberatungs- oder Dienststelle im Reich wenden, so ist Vorsicht ihm gegenüber geboten und zweckdienliche Rückfrage bei uns zu halten.

Schließlich wurden einige rückwandernde Ausländer erfaßt sowie Volksdeutsche, die in die befreiten Ostgebiete zurückkehrten, z. B. ein 21-jähriger, der Anfang 1939 als Flüchtling ins Reich gekommen war und in einem wehrwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet hatte bis er am 19.1.40 als ausländischer Staatsangehöriger auf Grund besonderer Bestimmungen entlassen wurde. Er will nun nach Litzmannstadt (Lodsch) zurück, wo seine Eltern noch ansässig sind.

Vom zuständigen Landratsamt ging uns der Rückwanderungsantrag einer 26jährigen Volksdeutschen, die seit zwei Jahren im Reichsgebiet in Stellung ist, zur Stellungnahme zu. Ihr Vater ist inzwischen verstorben und hinterläßt in Gostingen, Reg. Bez. Posen, einen 52 Morgen großen Hof, den dieses Mädchen als Älteste von acht Kindern und voraussichtliche Erbin übernehmen soll.

Wie aus Vorstehendem ersichtlich, ist die Auswanderung von Deutschblütigen, abgesehen von jungen Mädchen, die zur Heirat ausreisen, und gelegentlichen Ausreisen von Ordensangehörigen, nach wie vor gering, was ja mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse ohne weiteres erklärlich ist. -

 

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Das Nachlassen der Inanspruchnahme der Auswandererberatungsstelle durch jüdische Auswanderer ist vor allem in den immer schwieriger werdenden Auswanderungsmöglichkeiten zu suchen, so Ausfall der Feindesländer als Auswanderungsziel, Einreisesperren oder beschränkte Einwanderungsmöglichkeiten für andere Länder. Hinzu kommt, daß die Passage ganz allgemein nicht mehr in Reichsmark gezahlt werden kann und die hierfür notwendigen Devisen vom Ausland her bereitzustellen sind. Die hierzu und für die Hergabe von Bürgschaften, Landungsgeld usw. notwendigen Verhandlungen nehmen bei den ungünstigen Postverhältnissen eine unverhältnismäßig lange Zeit in Anspruch. Durch diese Umstände erfährt die Auswanderung der Juden vielfach eine nicht unerhebliche Verzögerung. Hinzu kommen noch die unzulänglichen Dampferverbindungen. Nicht selten kommt es vor, daß Juden, die schon vor Monaten von uns abgefertigt worden waren, erneut bei uns erscheinen, weil sie die seinerzeit bestehenden Auswanderungsmöglichkeiten aus dem einen oder anderen Grunde nicht auszunutzen imstande waren und nunmehr gezwungen sind, ihre Papiere zu erneuern bezw. den Paß verlängern zu lassen.

Das gegenwärtige Hauptzielland der Juden ist, wie bereits erwähnt, die Ver. Staaten von Amerika, wohin ein hoher Prozentsatz der Juden irgendwelche Beziehungen hat, die ihm die Einwanderung ermöglichen. In der Berichtszeit hat der Jüdische Hilfsverein Kindertransporte auch nach den Ver. Staaten zusammengestellt.

Sehr rege war wieder das Interesse für Palästina trotz des Krieges und des Umstandes, daß es als britisches Mandatsgebiet zu den Feinesländern zählt. Die Einwanderung dorthin nimmt, wenn auch illegal, ihren steten Fortgang. Reguläre Certificate werden bekanntlich seit Kriegsbeginn nicht mehr erteilt bezw. Paßinhaber können das engl. Visum hier nicht mehr erhalten. Daher wird jetzt die illegale Einwanderung, die mittels Sondertransporten, um deren Zusammenstellung Reisebüros bemüht sind und die über Wien, Preßburg, Südslawien vor sich gehen, von uns stärkstens unterstützt.

Die Reichsstelle hat ihre anfänglichen Bedenken gegen die illegale Einwanderung von Juden in Palästina durch das Reisebüro Apala-Franfurt a/M, das Hanseatische Reisebüro Berlin-Wien (Inh. Heinr. Schlie) und das Ring-Reisebüro Berlin zurückgestellt, um die Judenauswanderung auch während des Krieges nicht zu hemmen. Infolgedessen stellten wir Paßbescheinigungen aus, sobald Juden entsprechende Unterlagen eines dieser Reisebüros beibrachten.

Ein Zögling des hiesigen Israelitischen Kinderheimes wies durch das Palästina-Amt nach, daß er, weil in Tel Aviv geboren, trotz seiner gegenwärtigen S

 

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Ein Zöglich des hiesigen Isr. Kinderheimes wies nach, daß er, weil in Tel Aviv geboren, trotz seiner gegenwärtigen Staatenlosigkeit doch als palästinensischer Staatsangehöriger gilt.

Auch nach anderen überseeischen Staaten ging die Judenauswanderung weiter. Vielfach waren es ältere Ehepaare und Frauen, die Kindern und Ehemännern nachreisten. Als Zielländer kamen in Frage: Argentinien, Bolivien, Niederl. Indien, Brasilien, Chile, Britisch-Honduras, Uruguay, Venezuela, Haiti, Mexiko, Panama.

Wiederaufgelebt ist neuerdings die Auswanderung nach Shanghai, die seit August 1939 für Juden gesperrt war. Im „International Settlement von Shanghai dürfen sich nunmehr als Neueinwanderer niederlassen:

1) Personen, die in Shanghai nicht weniger als 400 $ zur Verfügung haben (der Besitz des Betrages
   muß bei der Passagebuchung nachgewiesen werden;

2) direkte Familienangehörige (Eltern, Ehemann, Ehefrau und Kinder) von in Shanghai ansässigen
   Flüchtlingen mit nachgewiesenem ausreichendem Einkommen;

3) Personen, die einen Arbeitsvertrag für mindestens 1 Jahr von einem Shanghaier Unternehmen
   haben;

4) Personen, die einen Shanghaier Einwohner heiraten wollen.

Die unter 1) genannte Personengruppe braucht keine besondere Einreiseerlaubnis. Alle anderen Gruppen benötigen eine Zulassungserlaubnis des Shanghai Municipal Councils.

Neuerdings ist für Auswanderer nach Shanghai die Benutzung des Reiseweges über Rußland, das zeitweise Juden die Durchreise verbot, wieder möglich, was einmal den Vorteil der kürzeren Reisezeit und zum anderen die Möglichkeit bietet, daß der Fahrpreis bis Shanghai in Reichsmark gezahlt werden kann. Die Benutzung des Landweges bringt es mit sich, daß Durchreisevisen für Litauen, Lettland, Rußland, Manschukuo, Japan erforderlich sind. Während Durchreisevisen für Lettland, Litauen und Mandschukuo ohne weiteres erteilt werden, sofern die Einreisegenehmigung für Shanghai vorliegt, wird für die Erteilung des sowjetrussischen, chinesischen und japanischen Sichtvermerks eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Auswärtigen Amtes verlangt.

Die Auswandererberatungsstelle hat in einigen Fällen Auswanderern nach Shanghai, die den Landweg benutzen wollten und die erforderlichen Voraussetzungen erfüllten, entsprechende Bescheinigungen ausgestellt und sie in doppelter Ausfertigung der Reichsstelle eingesandt. Diese wird sie zwecks Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung gesammelt dem Auswärtigen Amt vorlegen. Wie wir von unterrichteter Seite erfahren, können die Inhaber von Fremdenpässen sowie solche

 

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Personen, die auf Grund eines Landungsgeldes nach Shanghai auswandern, gegenwärtig noch nicht auf dem Landweg reisen. Neuerdings soll auch eine Bescheinigung des Generalkonsulats von Japan in Shanghai erforderlich sein, um die Durchreise durch Mandschukuo zu erhalten.

Soweit europäische Länder sich für Juden aufnahmefähig zeigten, handelte es sich meist um Zwischenaufenthalt für die Ver. Staaten oder um betagte Personen, deren Lebensunterhalt in dem betreffenden Land hinreichend gesichert war. Luxemburg, das im allgemeinen auch an diesem Standpunkt festzuhalten scheint, hat in der Berichtszeit einem 30-jährigen landwirtschaftlichen Arbeiter die Einreise und Arbeitsaufnahme gestattet.

Eine in Tarnow geborene Jüdin polnischer Staatsangehörigkeit, die hier alleinstehend ist und sich nach Krakau begeben will, wo sie Verwandte hat, empfahlen wir, die Zustimmung des Bevollmächtigten des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete, Berlin, einzuholen. Dieser wird sich mit den örtlichen Behörden in Verbindung setzen, um die Aufnahmebereitschaft festzustellen.

Entlassungsanträge von in Haft, Zuchthaus und Konzentrationslagern befindlichen Juden, deren Auswanderung in absehbarer Zeit durchführbar war, wurden von uns befürwortet. Verschiedentlich war Shanghai das Ziel der Auswanderung, wofür Verwandte im Ausland Schiffskarte und Einreisedepot zur Verfügung gestellt hatten. Einmal handelte es sich um ein Ehepaar, das beim illegalen Überschreiten der holländischen Grenze von den deutschen Behörden festgenommen worden war und nun zur Visumerteilung zum Amerikanischen Konsulat nach Stuttgart vorgeladen ist.

Wiederholt waren wir Juden behilflich, Schwierigkeiten, die sich im Verkehr mit anderen Dienststellen ergaben, aus dem Weg zu räumen, damit sie ihre Auswanderung durchführen konnten. Diese Fälle betrafen Beschaffung von Urkunden aller Art und Beschleunigung von Haus- und Grundstücksverkäufen.

Christliche Nichtarier, die vom St. Raphaelsverein betreut und durch diesen zur Auswanderung gebracht werden, traten wiederholt in Erscheinung. Einer der auf diese Weise nach Brasilien Ausreisenden legte eine Bescheinigung des Reichsnährstandes vor, worin dieser ihn als Landwirt anerkennt. Der Mann war früher Getreidehändler und Landwirt und ist 70 %-kriegsbeschädigt. - Ferner wurde eine Anzahl Mischlinge I. Grades erfaßt, so z. B. auch ein Rückwanderer aus den Ver. Staaten, der nach 13-jährigem Aufenthalt drüben im Juli 1939 nach

 

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Deutschland gekommen war ohne genaue Kenntnis der Nürnberger Gesetze. Er und seine Frau, die deutschblütig und katholisch ist, haben beide das Permit to Re-enter, gültig bis zum 14.6.1940, das sie nun ausnutzen wollen. Sie kommen wieder in ihre alte Stelle als Dienerehepaar.

Von den in der Berichtszeit erfaßten 773 Personen haben gemäß Erlaß des Herrn Reichsminister des Innern vom 16.11.1937 474 Bescheinigungen zur Erlangung von deutschen Reise- und Fremdenpässen erhalten. Die auf die einzelnen Monate und Zielländer erfallenden Bescheinigungen ergeben sich aus folgender Übersicht:

Zielland                           Januar                         Februar                       März                         Sa.  

Ver. Staaten                      74                                 66                               88                         228
Argentinien                         10                                   15                                 10                           35
Palästina                                 3                                   12                                 10                           25
Niederlande                           9                                     8                                   5                          22
Brasilien                                 7                                     13                                 2                             22
Luxemburg                           2                                       7                                9                           19
Chile                                     12                                       3                                   2                             17  
Venezuela                           10                                    3                                 -                             13
Uruguay                               6                                       4                                   3                           13
Shanghai                             2                                      7                                 1                           10
Mexiko                                 -                                         2                                   6                             8
Bolivien                                 6                                       1                                   -                                 7
China                                     -                                         -                                 6                              6  
Honduras                             4                                       2                                 -                                 6
Paraguay                               -                                         6                              -                               6
Belgien                                 2                                       3                                 -                                 5
Tanger                                   5                                      -                               -                               5
Siam                                       -                                       2                                 2                                 4
Ekuador                              -                                     4                               -                               4
Schweden                             1                                       1                                 2                              4
Niederl. Indien                     2                                       -                                 -                                 2
Norwegen                             2                                       -                                -                               2
Thailande                             1                                       1                                 -                                 2
Peru                                       -                                    2                               -                               2
Dänemark                             1                                       -                                   -                                 1
Schweiz                               -                                      1                               -                               1
Griechenland                     -                                     1                               -                               1
Spanien                            1                                     -                               -                               1
Dominik. Republik           -                                     -                               1                                1
Südamerika                       -                                       1                               -                                 1
Ausland                              -                                       -                              1                               1    
                                         161                                   165                         148                           474

Die Gutachtertätigkeit der Auswandererberatungsstelle in Devisenangelegenheiten war etwas lebhafter als im Vorvierteljahr. Die Zahl der erstatteten Gutachten beträgt 11, die der befürworteten Beträge insgesamt RM 30.774. Davon entfallen auf die einzelnen Monate der Berichtszeit:

 

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im Januar     5 Gutacht. über RM   5.585         2 Gutacht. über RM   2.150
     Februar   5 Gutacht. über RM 22.159         2 Gutacht. über RM   4.159
     März        1 Gutacht. über RM   3.000         -                                       ---      
                     11 Gutacht. über RM 30.744         4 Gutacht. über RM   6.309
gegenüber   5 Gutacht. über RM 18.191         4 Gutacht. über RM 13.450
im Vorvierteljahr.

Dieses Mal sind die arischen Gutachtenempfänger in der Mehrzahl. 3 Fälle betrafen italienische Staatsangehörige aus Aus- bezw. Rückwanderung nach Italien. Es sollten Beträge von 3000 bezw. 5000 RM über das Istituto Nazionale per i cambi con l'Estero transferiert werden. Im dritten Italien-Fall handelte es sich um eine gebürtige Reichsdeutsche, die vor einigen Monaten einen Italiener geheiratet hat und nun mit ihm zusammen in seine Heimat auswandert. Der Ehemann ist Professor für Leibesübungen am Ministerium des Äußern in Rom. Die junge Frau beantragte die Freigabe von RM 10.000 über die Deutsche Golddiskontbank. Da ihr Vater sein Vermögen zum größten Teil im Ausland erworben und mindestens RM 50.000 in bar und RM 100.000 in deutschen Auslandsbonds nach Deutschland eingebracht hat, empfahlen wir, beim Transfer einen nur 25 %igen Abschlag zu nehmen.

Die Summe von 300 $ (ca. 750 RM) begutachteten wir einer amerikanischen Staatsangehörigen, die schon vor dem Weltkrieg in Deutschland ansässig war und die auf Anordnung des Amerikanischen Konsulats bis zum 15. März ds. Js. wieder nach den Ver. Staaten zurückgekehrt sein mußte, andernfalls ihr Paß ungültig würde und sie ihre Staatsangehörigkeit verlöre. Die begutachtete Summe stellt den Fahrpreis bis Milwaukee (Wisc.) dar.

Der Antrag für das volksdeutsche Ehepaar aus Südwestafrika (s. Seite 6 Abs. 5 dieses Berichtes), der über 450 $ (ca. 1125 RM) - Passagekosten Genua-Durban - lautet, ist, wie schon erwähnt, abschlägig beschieden worden.

Weiter befürworteten wir für die geschiedene Frau eines Reichsdeutschen, die tschechischer Abstammung ist und ins Protektorat zurückkehrt, die Bewilligung zum Transfer ihrer Ersparnisse in Höhe von RM 3.000,-

Das letzte Arier-Gutachten in Höhe von hfl. 1200 (ca. RM 1560) betraf einen reichsdeutschen Auslandsvertreter, der sich mit Familie in Holland niederläßt. Der Transfer sollte in 6 Monatsraten durchgeführt werden.

Juden erhielten nur Einrichtungsgegenstände und Geräte für gewerbliche Betriebe begutachtet, so für Bäckerei- und Konditoreibetriebe

 

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im Werte von RM 1500 nach Argentinien, gärtnerische und landwirtschaftliche Geräte (RM 650) nach Bolivien, Heißmangel (RM 600) nach Chile, ferner Apparate, Instrumente und Utensilien im Werte von RM 3.559 zur Einrichtung eines medizinisch-chemischen Laboratoriums nach den Ver. Staaten. Der Antragsteller, ein Apotheker, hatte vorher auch die Mitnahme besonderer Fachliteratur beantragt. Wir hatten Bedenken, die Ausfuhr des Werkes „Organische Chemie” von Beilstein zu begutachten und legten der Reichsstelle die Angelegenheit zur Entscheidung vor, welche sich nach Anhörung der Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie unserer Ansicht anschloß. Unsere Rückfrage bei der Reichsstelle hatte die Herausgabe des Umdruckschreibens B 1320 vom 13.3.40 zur Folge.

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