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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

Antisemitismus im Kinderbuch

Im Kinderbuch „Der Giftpilz“ von 1938 wird der Begriff „Ostjude“ so erläutert:

So kamen die Juden zu uns

In einer kleinen, alten Stadt. Freundlich lacht die Sonne herunter auf die schmucken Häuser und die sauberen Gassen. Die Turmuhr des Rathauses schlägt eben die vierte Nachmittagsstunde. Die Schule ist aus. Die Büchertasche auf dem Rücken oder unterm Arm, so stürmen die Kinder heimwärts. Auch Fritz und Karl sind dabei. Sie haben ausgemacht, miteinander zum Baden zu gehen. Das Wasser ist zwar noch ein bißchen kalt. Aber das macht nichts. Deutsche Buben sind nicht zimperlich. Die können schon was ertragen. Mitten in der Straße bleibt Fritz plötzlich stehen. Er blickt auf eine Gruppe von drei Männern.

„Karl, da schau mal hin! Um Gottes willen, wie sehen denn die Männer aus!“

„Ach, du meinst die drei Ostjuden da vorne? Die kenn’ ich schon. Die sind seit gestern in unserer Stadt.“

Der kleine Fritz hat zwar schon viele Juden gesehen. Aber so schmutzige und so häßliche sind ihm noch nicht unter die Augen gekommen.

„Warum sagst du Ostjuden?“ fragt Fritz.

Karl weiß Bescheid. Er ist nicht umsonst ein Jahr älter als der Fritz und der beste Schüler der Klasse.

„Also paß auf, Fritz! Die Juden, die wir dort sehen, die kommen von Galizien oder Polen. Und weil nun die Heimat dieser Juden im Osten von Deutschland liegt, darum heißt man sie Ostjuden. Verstehst du das?“

Natürlich hatte Fritz das gleich begriffen. Aber er kann sich immer noch nicht fassen. „Schau nur diese Kerle an! Diese grauenhaften Judennasen! Diese verlausten Bärte! Diese schmutzigen, wegstehenden Ohren! Diese krummen Beine! Diese Plattfüße! Und diese verschmierten, fettigen Kleider! Schau nur, wie sie mit den Händen herumfuchteln! Wie sie mauscheln! Und die, die wollen auch Menschen sein?“ fragt Fritz.

„Und was für Menschen!“ erwidert Karl. „Sie sind Verbrecher der schlimmsten Art. Sie lügen und betrügen, sie stehlen und hehlen, daß einem angst werden könnte vor so viel Gemeinheit. Zuerst handeln sie mit Lumpen, Knochen, Papier, alten Möbeln und sonstigem Gerümpel. Schließlich machen sie kleine Ladengeschäfte auf. Sie arbeiten mit Dieben und Räubern zusammen. Die gestohlenen Waren kommen zu den Juden und die verkaufen sie wieder. Dabei verdienen sie viel Geld.“

„Und wenn sie durch ihre Gaunereien reich geworden sind, was tun sie dann?“ fragt wieder der Fritz.

Karl antwortet:

„Wenn sie genug Geld haben, dann ziehen sie ihre schmutzigen Fetzen aus, schneiden ihre Bärte ab, lassen sich entlausen, kleiden sich mit modernen Anzügen und steige herum, als ob sie Nichtjuden wären. In Deutschland reden sie die deutsche Sprache und tun, als ob sie Deutsche wären. In Frankreich reden sie französisch und behaupten, Franzosen zu sein. In Italien wollen sie Italiener sein, in Holland Holländer, in Amerika Amerikaner und so weiter. So treiben sie es in der ganzen Welt.“

Nun muß Fritz lachen.

„Aber hör mal, Karl, das hilft ihnen doch nichts. Ihre verbogenen Judennasen, ihre Judenohren, ihre krummen Judenbeine und ihre Judenplattfüße können sie nicht abschneiden lassen. Also kennt man sie doch gleich als Juden!“

Karl nickt.

„Natürlich kennt man sie, wenn man die Augen richtig aufmacht. Leider gibt es aber viele Leute, die fallen auf den Judenschwindel immer noch herein.“

„Aber ich nicht!“ ruft Fritz, „Ich kenne die Juden! Und ich weiß auch einen feinen Spruch:

Vom Osten kamen sie einst her,
Verschmutzt, verlaust, den Beutel leer.
Doch schon nach wenigen Jahren Sie reich geworden waren.
Heut kleiden Sie sich hochfein ein,
Sie wollen nicht mehr Juden sein.
Drum Augen auf und merkt euch gut:
Ein Jude bleibt ein Jud!“

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