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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

Keine Unterstützung für Juden

Das Jugend- und Wohlfahrtsamt Chemnitz weist am 21. Dezember 1938 seine Dienststellen an, Juden keine Unterstützung mehr zu gewähren:

Allgemeine Anordnung Nr. 30 Betr.: Die öffentliche Fürsorge für Juden.

Die nachstehend abgedruckte Verordnung über die öffentliche Fürsorge für Juden vom 19. November 1938 (Reichsgesetzblatt I, S. 1649) gelangt hiermit an alle Dienststellen des Amtes zur Kenntnis und Beachtung.

Zu ihrer Ausführung ordne ich hiermit folgendes an:

Gemäß Artikel I der genannten Verordnung, wonach im Falle der Hilfsbedürftigkeit Juden auf die Hilfe der jüdischen freien Wohlfahrtspflege zu verweisen sind und die öffentliche Fürsorge nur insoweit einzugreifen hat, als jene nicht helfen kann, sind mit Ende Dezember 1938 alle Bar- und Naturalunterstützungen sowie jede andere Fürsorge für Juden einzustellen. Alle jüdischen Unterstützungsempfänger werden jetzt schon von der bevorstehenden Unterstützungseinstellung von der Zentralabteilung in Kenntnis gesetzt.

Da Artikel I bestimmt, daß die öffentliche Wohlfahrtspflege einzugreifen hat, wenn die jüdische freie Wohlfahrtspflege nicht helfen kann, werden jüdische Unterstützungsempfänger, wie überhaupt jüdische Hilfsbedürftige, wahrscheinlich Bescheinigungen der Chemnitzer jüdischen Wohlfahrtsstelle oder einer Spitzenorganisation des Inhalts bei-bringen, daß Unterstützungsmittel nicht vorhanden seien. Auf eine solche Bescheinigung hin ist keinesfalls Fürsorge zu gewähren. Die jüdischen Unterstützungsbewerber sind dann, sofern sie in den Dienststellen vorsprechen, auf die Hilfe der reichen Juden, insbesondere der im Reiche in großer Anzahl noch vorhandenen jüdischen Millionäre zu verweisen. Sache der jüdischen Wohlfahrtspflege ist es, diese Riesenvermögen für Unterstützungszwecke zu erfassen.

Mietsbeihilfen, wie überhaupt Sonderunterstützungen jeder Art, dürfen an Juden nicht mehr gewährt werden. Ausgeschlossen sind Juden auch von den Härtebeihilfen, von den Fettverbilligungsmaßnahmen und von der Befreiung von der Rundfunkgebühr. Wenn überhaupt noch Fürsorge gewährt werden muß, dann ist der Fall dem Amtsleiter zur Entschließung vorzulegen. Barunterstützung ist auch dann nur nach den mit Wirkung vom 10. November 1938 eingeführten Richtsätzen für Juden zu gewähren. Diese Wochenunterstützungsrichtsätze betragen 10,- RM für ein Ehepaar,

6,- RM für einen Alleinstehenden mit Haushalt,
4.50 RM für einen Alleinstehenden ohne Haushalt,
2.50 RM für ein Kind unter 14 Jahren, dieser Satz ermäßigt sich vom 5. Kinde an auf 1,25 RM.

Alles Einkommen ist voll auf den Unterstützungsrichtsatz anzurechnen. Bei Juden kommen also keinerlei Anrechnungsbestimmungen zur Anwendung.

Auch alle Unterstützungen für hier oder auswärts untergebrachte jüdische Pflegekinder - Pflegegelder - sind sofort einzustellen. Als Juden gelten auch u.a. jüdische Mischlinge, die aus dem außerehelichen Verkehr einer arischen Mutter mit einem Juden stammen und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren sind. Diese unehelichen Kinder fallen daher unter die in dieser Anordnung getroffenen Maßnahmen. Die Pflegemütter, Großeltern usw. mögen sich an die jüdische freie Wohlfahrtspflege wenden.

Auch an auswärtige Fürsorgeverbände sind Erstattungen für Pflegekinder und andere Unterstützte nicht mehr zu leisten. Die auswärtigen Fürsorgeverbände sind sofort entsprechend zu benachrichtigen.

Jüdischen Anstalten sind Verpflegungsbeiträge, wie das schon fernmündlich angeordnet worden ist, nicht mehr zu überweisen. Wegen Einstellung der Verpflegungsbeiträge für in nichtjüdischen Anstalten, insbesondere in Landes-Heil- und Pflegeanstalten und in Krankenanstalten untergebrachten Juden ergeht noch besondere Anordnung.

Soweit Juden bisher als Kleinrentner unterstützt worden sind, ist Höhe und Art ihres jetzigen Vermögens festzustellen und die Rückforderung des seit dem 1.1.1935 entstandenen Unterstützungsaufwands schnellstens zu betreiben. Mit der Herausnahme der Juden aus der gehobenen Fürsorge ist für sie auch die Schutzbestimmung des sogenannten „kleinen Vermögens“ hinfällig geworden. Über den Stand einer jeden solchen Sache ist dem Amtsleiter alle 4 Wochen Bericht zu geben.

Die Frage, wer Jude ist, behandelt § 5 der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz v. 14.11.1935 (Reichsgesetzbl. I, S. 1333).

Zweifel, die in dieser Hinsicht entstehen, sind dem Amtsleiter vorzulegen.

Juden haben ihre Unterstützungsanträge unmittelbar bei der Fürsorgestelle zu stellen. Auch alle notwendig werdenden Erörterungen sind nur durch hauptamtliche Kräfte -Wohlfahrtspflegerinnen oder Ermittler - anzustellen. Die Bezirksvorsteher sind also von jeder Mitwirkung bei der Unterstützung von Juden befreit. Diese Regelung habe ich im Einvernehmen mit dem Kreisleiter getroffen.

Zwecks einheitlicher Durchführung aller gegen Juden zu treffenden Maßnahmen wird die Bearbeitung aller jüdischen Fürsorgefälle - auch soweit sie seither vom Jugendamt bearbeitet worden sind - der Zentralabteilung des Wohlfahrtsamts-Inspektors Münch -übertragen. Alle Abteilungen, die seither Juden in irgend einer Weise fürsorgerisch betreut haben, wollen sich sofort mit Inspektor Münch wegen der Überleitung aller dieser Fälle, Aktenabgabe usw., in Verbindung setzen.

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