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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

Vorladung zur Gestapo

Paul Eppstein protokolliert eine Vorladung bei der Gestapo Berlin am 16. Dezember 1938, bei der die Finanzierung der Pogromschäden und die Ausweisung Staatenloser erörtert werden:

Erörtert wurde:

1). Die Frage der lokalen Finanzierung, insbesondere im Hinblick auf die Beschlagnahmung der örtlichen Mittel und die Forderung des Ersatzes der Kosten der Wiederaufräumungsarbeiten durch die Synagogengemeinden

Es wurde erklärt, dass hier bereits Weisungen ergangen seien und dass anzunehmen sei, dass in einem erheblichen Teil der Gemeinden die Ordnung wiederhergestellt sei, z.B. in Liegnitz. Demgegenüber wurde eine Zusammenstellung mit Anschreiben übergeben zur Ergänzung unserer zuletzt übergebenen Aufstellung über die Verhältnisse in durch die letzten Ereignisse notleidend gewordenen Gemeinden. Dabei wurde auch in die inzwischen erfolgten Wiederherstellungen verwiesen. Eine Befassung mit dem Ersatz der Kosten für die Aufräumungsarbeiten wurde aus Zuständigkeitsgründen abgelehnt.

2). Die Frage der zentralen Finanzierung

Der Entwurf eines Rundschreibens an die jüdischen Gemeinden könne vorgelegt werden, in dem die erforderlichen Massnahmen auf dem Gebiet der Beitragsleistung und der Beschaffung der Wohlfahrtskosten nach dem 1. Januar in den einzelnen Gemeinden seitens der Reichsvereinigung in die Wege geleitet wird. Dabei soll ausdrücklich auf die Verordnung Bezug genommen werden, durch die die offene Wohlfahrtspflege für Juden nur subsidiär eintritt.

3). Überleitung der Vereine auf die Gemeinde Berlin

Auf eine Frage von Herrn Stahl, wie die Überleitung der Vereine auf die Jüdische Gemeinde Berlin in den Fällen beschleunigt werden könne, in denen die Vereinsorgane nicht selbst die hierfür erforderlichen Massnahmen in die Wege leiten, wurde auf den Weg der Verständigung verwiesen.

Die Errichtung eines jüdischen Speisehauses im Gebäude des Brüdervereins wurde abgelehnt. Man solle warten, bis eine in ganz anderer Weise durchzuführende Regelung getroffen werde.

4). Haftentlassung von Dr. Hans Reichmann

Es wurde auf die besondere Notwendigkeit, gerade diesen Mitarbeiter zur Verfügung zu haben, hingewiesen. Die erforderlichen Daten wurden entgegengenommen.

5). Betreuung der Juden in Sudetendeutschland

Es soll ein Antrag eingereicht werden, in dem die Durchführung der Betreuung der Juden in Sudetendeutschland von Berlin aus durch eine Wohlfahrtspflegerin, deren Namen gleichzeitig angegeben werden soll, nachgesucht wird.

6). Kinderauswanderung

a) Durchreise jüdischer Kinder aus der Ostmark

Gegen die Durchreise jüdischer Kinder aus der Ostmark im Rahmen von Kindertransporten und ihre Betreuung durch Organe der jüdischen Wohlfahrtspflege in Deutschland werden Bedenken nicht erhoben.

b) Kinder aus Danzig

Der Gemeinde Danzig soll mitgeteilt werden, dass die Verhandlungen über die Kinderauswanderung aus Danzig unmittelbar mit den ausländischen Organisationen und unabhängig von der Kinderauswanderung aus Deutschland geführt werden sollen.

7). Ausweisung von Staatlosen

Es wird über die Praxis der Ausweisung von Staatlosen gemäss § 5 der Ausländerpolizeiverordnung berichtet, die zwar eine Einspruchsfrist vorsehen, aber den Entzug der Aufenthaltserlaubnis mit einer Ausweisung aus dem Reichsgebiet verbindet. Es wird darauf hingewiesen, dass durch den Vollzug solcher Ausweisungen ausserordentliche Schwierigkeiten ähnlich denen bei oesterreichischen Durchwanderern entstehen. Die betroffenen Personen versuchen, im Westen über die grüne Grenze zu gehen, was jedoch in der Regel nicht gelingt und eine Rückschiebung zur Folge hat. In den Orten, in denen sich diese Personen dann aufhalten, ist ihre weitere Betreuung unmöglich, sodass nichts anderes übrigbleibe, als sie in ihre Heimatorte zurückzutransportieren, damit von dort aus ihre ordnungsmässige Auswanderung betrieben werden kann. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die aus den Lagern mit kurzfristiger Auswanderungsauflage entlassenen Personen zur Auswanderung zu bringen, bedeutet die Ausweisung von Staatlosen eine ausserordentliche Erschwerung einer geordneten Auswanderung. Es wurde erklärt, dass das Problem bekannt sei und dass man sich darum bemühe.

8). Berichtigung der Eingabe des Berichts über jüdische Kinderheime

Der heute übergebene Bericht über die Kinderheime wurde nach einer inzwischen eingegangenen Mitteilung dahin berichtigt, dass das Kinderheim Bad Dürrheim seinen Betrieb wieder aufnehmen konnte.

9). Schreiben von Juden aus dem Altreich an die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien.

Es wird darauf hingewiesen, dass Juden aus dem Altreich sich nicht an die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien, sondern ausschliesslich an die jüdischen Organisationen im Altreich zu wenden hätten. Eine entsprechende Notiz im Jüdischen Nachrichtenblatt sei vorbereitet.

10). Schreiben von Juden aus Deutschland zwecks Erlangung von Affidavits an Namensvettern im Ausland

Es komme vor, dass Juden sich wegen Affidavits oder sonstiger Unterstützung unmittelbar an Namensvettern im Ausland wenden, worunter dann auch Arier seien, die sich an die Behörde gewandt hätten. Derartiges habe zu unterbleiben. Die Auffindung von Verwandten und dergl. dürfte nur durch die jüdischen Organisationen vermittelt werden. Der Veröffentlichung einer entsprechenden Notiz im Jüdischen Nachrichtenblatt durch die Reichsvereinigung stehe nichts im Wege.

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