Vorschläge für den Papst
Gerda Erdmann aus Berlin unterbreitet dem Papst am 7. Dezember 1938 per Brief Vorschläge, was die katholische Kirche zur Lösung der Judenfrage tun könne:
Ehrwürdiger Vater!
Gestatten Sie einer nicht-katholischen Christin, sich in einer Angelegenheit, die allgemein größte Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, an Sie zu wenden. Es handelt sich um die Judenfrage. Ich möchte mit diesem Schreiben eine Anregung geben, die mir geeignet erscheint, zu ihrer Lösung beizutragen, und zwar zu einer Lösung vom Christentum her. Das Problem stellt sich mir folgendermaßen dar:
Es ist im Grunde Gottes Hand, die so schwer auf den Juden lastet. Gottes Gericht ist über sie hereingebrochen, wie schon mehrfach in der Geschichte seit Christus. Denn seit jener Stunde der Offenbarung Gottes in der Welt durch seinen Sohn ist Judentum - Schuld! Es ist ein Ausweichen vor dem Gebot der Liebe und damit Ungehorsam gegen Gott selbst. Für den jüdischen Glauben kann es seit Christus keinen Raum mehr geben auf der Erde, vor allem nicht im Schöße derjenigen Völker, die zum christlichen Teil der Welt gehören. Dort werden die Juden immer wieder als ein Fremdkörper empfunden und müssen um so mehr ein Ärgernis werden, je mehr der Geist des Christentums an Lebendigkeit gewinnt unter den Menschen. In glaubensarmen Zeiten ist die Lücke weniger sichtbar, die unüberbrückbar zwischen der Gemeinde Christi und dem Judentum klafft. Und wenn nicht alle Anzeichen trügen, stehen wir am Beginn einer Epoche aufblühenden christlichen Lebens. Dabei übersehe ich nicht, daß es im Augenblick nicht christliche, sondern nationalistische Beweggründe sind, die zur Judenfeindschaft geführt haben. Man sollte sich aber klar darüber sein, daß die Judenfrage auch dann noch nicht gelöst sein würde, wenn diejenigen, die heute die Juden anfeinden, ihre Haltung änderten. Das Ärgernis bliebe!
Da die europäischen Völker allgemein eine Überfremdung ihres nationalen Bestandes fürchten, möchten diejenigen, die viele Juden in ihren Reihen haben, sie gern entfernen und jene, die weniger haben, verschließen vor der jüdischen Einwanderung ihre Grenzen. Anders steht es in Übersee. Dort hat die Rassenfrage kaum eine Bedeutung und die Nationalitätenfrage steht weniger im Vordergrund. Große leere Räume stehen zur Verfügung (z. B. in Südamerika, wo ich selbst eine Reihe von Jahren gelebt habe). Was hier einer Aufnahme der Juden hindernd im Wege steht, ist neben den organisatorischen Schwierigkeiten - die religiöse Frage. Denn es ist verständlich, daß der Gedanke an die Aufnahme größerer Mengen von Juden, an die Möglichkeit der Einflußnahme jüdischen Geistes auf Wirtschaft, Kultur und Politik besonders in Ländern mit einer einheitlich katholischen Bevölkerung Unbehagen verursacht. Man fürchtet bei größerer jüdischer Zuwanderung das Entstehen eines geschlossenen fremden Machtkörpers, dessen geistige Wirkungskraft nicht unterschätzt werden darf.
Die Lage wäre eine ganz andere, wenn die aus Europa auswandernden Juden sich in ihrer neuen Heimat taufen ließen. Dem zum Christen Gewordenen würde sich die christliche Gemeinschaft in jeder Hinsicht öffnen; er stünde nicht mehr überall vor verschlossenen Türen. Die Kinder dieser Getauften, von klein auf im christlichen Glauben erzogen, wüchsen hinein in Kirche und Nation, vermischten sich durch Heirat und gingen schließlich im neuen Volkstum auf. Von den buntrassigen Völkern in Übersee könnte das gesamte europäische Judentum auf diesem Wege gefahrlos aufgesogen werden. Die Auffrischung mit europäischer Intelligenz könnte mancherorts sogar von Gewinn sein. Dagegen scheint es mir nicht ratsam, ein weiteres jüdisches Nationalheim, etwa in den drei Guayanas, zu errichten und damit dem Judentum innerhalb der christlichen Welt einen neuen Stützpunkt zu schaffen. Palästina hat sich schon als verfehlt erwiesen. Wer helfen will, soll den bedrängten Menschen helfen, nicht aber dem Judentum!
Freiwillig würden sich freilich nicht viele auswandernde Juden zum Glaubenswechsel bereitfinden. Man müßte schon einen Zwang ausüben dergestalt, dass man die Zuwanderung von solchem Glaubenswechsel abhängig machte bezw. die bereits Zugewanderten mit der Auswanderung bedrohte, falls sie sich nicht nach einer angemessenen Frist taufen ließen. Es ist jetzt keine Zeit mehr, die Juden durch Werbung für Christus gewinnen zu wollen. Darum bleibt nichts anderes übrig, als ihnen zu sagen: Hier müßt ihr fort bis dann und dann; dort steht euch eine neue Heimat offen. Aber alsbald nach eurer Niederlassung habt ihr euch beim zuständigen Pfarrer zu melden und mindestens ein halbes Jahr lang regelmäßig den christlichen Unterricht zu besuchen. Wer ein Jahr nach seiner Einreise nicht getauft ist, muß das Land wieder verlassen. Ich sehe keinen anderen gangbaren Weg zu einer gründlichen Lösung der Judenfrage aus dem Geiste des Christentums heraus. Von den Juden selbst wird ein Vorgehen, das sie zum Übertritt zwingt, zweifelsohne vielfach als Hohn und Niedertracht empfunden werden. Sie werden sich innerlich dagegen auflehnen.
Das aber wäre eine Angelegenheit zwischen ihnen und Gott, unter dessen Hand sie sich nicht beugen wollen. Sind solche Menschen nicht im Grunde eigensinnig wie Kinder, die nicht wissen oder wahrhaben wollen, was zu ihrem Besten dient? Kinder muß man zuweilen zwingen aus erzieherischen Gründen.
Ich bin mir vollkommen klar darüber, daß die Kirchen an sich auf einen solchen Zuwachs keinen großen Wert legen. Hier aber sollten die Kirchen um Jesu Christi willen über sich hinaus wachsen! Ich las dieser Tage einen Spruch: „Wenn die Welt uns ausgestoßen hat, tritt Jesus zu uns.“ Verhelfen wir diesen Ausgestoßenen zu der Begegnung mit Jesus Christus! Dann können wir getrost Ihm und Gottes Gnade das weitere Werk überlassen. Gott geht oft wunderbare Wege!
Welche große und schöne Aufgabe tut sich hier vor der Christenheit der Welt auf! Welch glücklicher Ausblick eröffnet sich in die Zukunft! In Einmütigkeit kann die Christenheit ein gewaltiges Werk tätiger Nächstenliebe vollbringen. An den Mitteln dazu wird es zuletzt nicht fehlen. Denn natürlich muß es nun die Christenheit sein, die die Mittel für eine Umsiedlung großen Stils aufbringt. In dem Augenblick, in dem sich die großen christlichen Religionsgemeinschaften und die christlichen Regierungen der Sache annehmen, ist sie gesichert und auf gutem Wege. Freilich dürfte nicht mehr lange gezögert werden! -
Ehrwürdiger Vater! Sie haben es in der Hand, die katholische Welt zur Bereitschaft und Mitarbeit aufzurufen! Außer Mittel- und Süd-Amerika käme vor allem der Kolonialbesitz Frankreichs, Belgiens und Portugals in Frage. Gleichzeitig wende ich mich mit entsprechenden Schreiben an Ihre Majestät die Königin von Holland und an Mr. Chamberlain als Vertreter evangelischer Länder mit ebenfalls großen Kolonialreichen. Wenn alle Zusammenarbeiten, wird die Last für den einzelnen leichter.
Ehrwürdiger Vater! Krönen Sie Ihr reichgesegnetes Leben mit einem Werke, das in die Geschichte eingehen wird als ein leuchtendes Beispiel selbstloser christlicher Liebe; mit einem Werke, vollbracht zum Ruhme und zur Ehre Gottes!
Gottes Gnade weise uns den rechten Weg allezeit! -In tiefster Ehrfurcht und Ergebenheit