Emigration nach Palästina
Benno Cohn vom Palästina-Amt Berlin berichtet Georg Landauer am 6. Dezember 1938 über die Palästinaemigration und die bevorstehende Zwangsvereinigung der jüdischen Organisationen:
Lieber Landauer!
Wir haben soeben miteinander telefoniert. Wir haben uns zu diesem Telefonat entschlossen, weil wir in der Zertifikatsfrage sozusagen keinen Ausweg mehr wussten. Du kennst die Lage ja selbst genau. Wir brauchen sie Dir im einzelnen nicht zu schildern. Wir wissen über London, wie ausserordentlich zurückhaltend die Engländer angesichts der bevorstehenden palästinapolitischen Verhandlungen in bezug auf neue Alijah sind. Es scheint uns aber, dass sie gerade in diesem Punkt vielleicht zu bewegen sein werden, eine Ausnahme zu machen. Wir wissen nicht, wie die Verbindung zu Oberst Mils, dem Leiter des Einwanderungs-Departments, heute ist und ob er auf die Entscheidung sehr grossen Einfluss hat. Wir erwogen hier, ob nicht eine Delegation neuer Olim der jüngsten Alijah, die auf Erweiterung der Alijah petitioniert, ein ungewöhnliches, aber wirkungsvolles Mittel ist. Wir sind überzeugt, dass auch bei Euch alles Erdenkliche geschieht. Du empfahlst mir, der Tiergartenstrasse eine Liste von dreihundert dringlichen Fällen einzureichen. Wir wollen das heute tun.
Das Palästina-Amt ist in ungewöhnlichem Masse belagert. Wir hatten gestern und vorgestern ca. 400-500 Besucher, darunter sehr viele Jugendliche. Zur Hachscharah melden sich im täglichen Durchschnitt hundert neue Leute an, von denen immerhin 30-40 % durchschnittlich geeignet sind. Sie werden einer starken Siebung unterzogen. Es besteht also die Möglichkeit, die Hachscharah im starken Masse aufzufüllen. Wahrscheinlich ist das die letzte Gelegenheit, die wir haben. Es ist, wie die Dinge liegen, weiterhin eine kurz befristete Inlands-Hachscharah notwendig, weil man die Leute, die sich neu melden, unmöglich in die kostspielige Auslands-Hachscharah weiterleiten kann, wenn sie vielleicht, nachdem wir ihnen den Weg ins Ausland erschlossen haben, nach einem anderen Lande weiterwandern.
Im Augenblick sind wir bei der Neuregelung der organisatorischen Verhältnisse. Es ist klar, dass der Organisationsaufbau einschneidend geändert wird. Wir nehmen an, dass Ende dieser Woche nach behördlicher Billigung die Nachfolgerin der Reichsvertretung, die „Reichsvereinigung für jüdische Auswanderung und Fürsorge“, geschaffen werden wird, für die ein umfangreicher Organisationsentwurf eingereicht worden ist. Sie wird eine Zwangsvereinigung aller Juden werden, und die Gemeinden werden ihr örtlich unterstellt sein. Die Finanzierung wird lediglich aus dem jüdischen Sektor erfolgen. In der Reichvereinigung werden alle anderen Wanderungsorganisationen aufgehen. Der Hilfsverein wird wahrscheinlich aufgelöst und in eine Wanderungsabteilung der Reichsvereinigung umgewandelt werden. Auch die politischen Organisationen werden verschwinden, vermutlich werden das Palästina-Amt und die beiden Fonds bestehen bleiben und angesichts ihrer Verbindung mit der Jewish Agency kooperativ mit Autonomierechten in die Reichsvereinigung eingebaut werden. Die Finanzierung der wichtigsten Aufgaben der neuen Reichsvereinigung ist bis zur Stunde noch völlig unklar.
Ein paar Personalfragen: Friedenthal ist wohl inzwischen drüben schon angekommen. Rau ist vor ein paar Tagen endgültig ausgewandert. Er ist, wie Du wahrscheinlich weisst, zwar nach London gegangen, wo er sich für die Palästina-Amts-Interessen mit einsetzen will. Wallbach, der jetzt noch draussen ist, werden wir wahrscheinlich zurückkommen lassen. Die Leitung des Gesamtkomplexes Palästina-Amt und Fonds und Vertretung nach aussen werde ich wohl übernehmen, die Leitung des Palästina-Amtes im engeren Sinne Dr. Löwenthal, früher Nürnberg, der sich vorzüglich bewährt hat. Dem Palästina-Amt wird im weiteren Sinne eine Abteilung für Berufsausbildung und Jugendwanderung eingefügt werden, in die Hachscharah, Jugend-Alijah, Mädchen-Alijah, Schüler- und Studenten-Alijah eingegliedert wird.
Den Organisationsplan werden wir Dir nach Fertigstellung übermitteln. Es ist aber klar, dass wir nur eine Art Barackenlager errichten, da wir mit kurzen Fristen zu rechnen haben.
Mit herzlichem Schalom
Dein