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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Ein Ortsgruppenleiter denunziert

Eine Berliner Ortsgruppe der NSDAP denunziert am 26. November 1938 einen Apotheker, der einen Juden beschäftigt:

Betrifft: Apotheke „Zum goldenen Hirsch“

Inhaber: Hans Winkel, Berlin SW. 68, Lindenstrasse 74.

Ich erhalte Meldung, bestätigt durch Beobachtungen, wonach obiger Apothekenbesitzer noch den vormaligen jüdischen Inhaber Meyer bezw. dessen Sohn als angestellten Apotheker in seiner Apotheke beschäftigt. Auf Vorladung des Apothekers Winkel erklärt dieser, dass er die mündliche Erlaubnis vom Wirtschaftsministerium hätte, in Anbetracht der Knappheit geeigneter arischer Arbeitskräfte Juden weiterbeschäftigen zu können. Eine schriftliche Mitteilung bezw. eine Bescheinigung hierüber konnte Winkel nicht vorlegen. Da die in meinem Ortsgruppenbereich wohnenden deutschen Volksgenossen sich nicht mehr weiterhin von dem Juden Meyer bedienen lassen wollen, besteht die Gefahr, daß sich ohne meinen Willen die Volksgenossen zu Einzelaktionen hinreissen lassen, wenn nicht innerhalb von acht Tagen der Jude Meyer aus der Apotheke verschwindet. Ich erklärte dem Apothekenbesitzer Winkel, daß ich, um dieses zu vermeiden, seine Apotheke durch die Polizei schließen lassen müsste, nachdem ich mich vorher mit den in der Nähe befindlichen Apotheken bezüglich Übernahme des Nachtdienstes in Verbindung gesetzt hätte. Winkel versprach mir, die Angelegenheit bis zum 1.12.1938 erledigen zu wollen.

Ich habe mich ausserdem mit der Deutschen Apothekerschaft, Bezirk Berlin-Brandenburg, diesbezüglich in Verbindung gesetzt. Die Auskunft, die ich über den Apothekenbesitzer Winkel von dem dortigen Geschäftsführer, Herrn Dr. Weber, erhielt, war geradezu katastrophal.

Winkel soll bereits in Düsseldorf Besitzer einer Apotheke gewesen sein und unter Hinterlassung von Schulden Düsseldorf verlassen haben. Es ist anzunehmen, dass hierauf der Kauf der Apotheke „Zum goldenen Hirsch“, Berlin SW. 68, Lindenstr. 74, von dem Juden Meyer eine glatte Schiebung ist. Beweis: Wenn man eine Apotheke regulär kauft, ist man auch in der Lage, den vormaligen jüdischen Besitzer auszubooten. Ausserdem erklärte Winkel anlässlich seiner Vernehmung am 24. ds. Mts. durch mich, daß er die Absicht hätte, das Haus, das auch dem Juden Meyer gehört, zu kaufen. Es taucht auch hier wieder die Frage auf, inwieweit ein verschuldeter Apothekenbesitzer in der Lage ist, das Haus eines Juden „zu kaufen“.

Ausserdem zweifle ich noch die politische Zuverlässigkeit des Apothekenbesitzers Winkel deshalb an, weil er anlässlich einer Werbung für den Schulungsbrief der NSDAP dem zuständigen Blockleiter die Mitteilung machte, daß er (Winkel) genug geschult sei und den Schulungsbrief nicht brauche.

Ich halte es deshalb für zweckmässig, von der zuständigen Wohnortsgruppe Oliva, in der Winkel wohnt (Bregenzer Strasse 1), eine politische Beurteilung anzufordern. Ich bitte Sie, sich dieser Angelegenheit anzunehmen, und teile Ihnen gleichzeitig mit, dass ich Abschriften dieses Schreibens der Deutschen Apothekerschaff - Bezirk Berlin-Brandenburg - und dem Bezirksbürgermeister des Verwaltungsbezirks Kreuzberg - Gesundheitsamt - zur entsprechenden Verwendung übersandt habe.

Heil Hitler!

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