Diskussion über vollständige Enteignung
Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums und der Großbanken diskutieren am 24. November 1938 über die vollständige Enteignung der Juden. Das Ergebnis ist im folgenden Vermerk festgehalten:
Besprechung bei Ministerialdirektor Lange.
In der heutigen Sitzung, an der unter Vorsitz von Herrn Lange eine Reihe von Herren des Wirtschaftsministeriums sowie ferner Vertreter der 5 Grossbanken und für die Reichsgruppe Herr Dr. Fischer, Herr Dr. Pfeffer sowie ferner Herr Dr. Tewaag teilnahmen, wurden zwei Fragen besprochen:
I. Kreditlenkung.
Hierzu führte Herr Lange aus, dass bei der bekannten Kapitalknappheit es unumgänglich nötig sei, auch das Leih-Kapital nur in Kanäle zu führen, die vom staatspolitischen Standpunkte als unbedingt wichtig anerkannt werden könnten. Das RWM sei sich darüber klar, dass die gegenwärtige Überspannung der Kräfte des Arbeitsmarktes wie des Kapitalmarktes auf einem Höchstpunkt angelangt sei, der erhebliche Gefahren in sich berge. Das Ressort des Herrn Ministerialdirektor Lange sei daher bemüht, eine Steuerung von der Geldseite herbeizuführen, und habe eine Denkschrift ausgearbeitet, die für den Beauftragten des Vierjahresplanes bestimmt sei. Herrn Lange schwebte vor, Richtlinien für sämtliche Kreditinstitute auszuarbeiten, die vor allem diejenigen Gebiete näher bezeichnen sollten, die als unterstützungswürdig von der Geldseite her angesehen würden.
Von der Bankseite wurde demgegenüber darauf hingewiesen, dass schon heute bei der dringenden Nachfrage nach Investitions-Krediten der Kreditzweck auch von den Geldgebern sehr wesentlich berücksichtigt werde, dass aber naturgemäss im Einzelfalle ausserordentlich schwer zu entscheiden sei, ob ein Investitionsbedarf letzten Endes diesem oder jenem staatlich erwünschten Zwecke diene oder ob er mehr in die Privat-Sphäre eines einzelnen Unternehmens hinübergreife. Gleichwohl seien die Banken dankbar für eine Bezeichnung der vordringlichen Gebiete. Man bat aber, hier keine „Richtlinien“ herauszugeben, die allzuleicht im In- und Auslande als Kreditdrosselung ausgelegt werden könnten, sondern diese Gesichtspunkte etwa in Form von Empfehlungen oder Informationen an die Banken gelangen zu lassen. Für besonders wichtig wurde gehalten, dass der Inhalt dieser Informationen auch zur Kenntnis staatlichen und politischen Stellen in Sonderheit in der Provinz gebracht werde, da gerade von dort aus häufig unter Hinweis auf politische Notwendigkeiten Kreditbegehren gestellt würden, die offensichtlich nicht zu den von Herrn Lange bezeichneten vordringlichen Aufgaben gehörten.
Im Zusammenhang damit wurde die zunehmende Verknappung von Eigenmitteln bei der Industrie gestreift, die vorwiegend mit der Wegsteuerung der stillen Reserven begründet wurde. Es zeigte sich, dass Herr Lange für diese Bedenken volles Verständnis hatte, dass aber naturgemäss der Widerstand - übrigens auch, soweit es sich um die Banken handelt - beim Finanzministerium zu finden ist.
Anschliessend daran wurde die sich durch die Judengesetzgebung ergebende Situation erörtert. Es handelt sich einmal um die Aufbringung der Kontribution von 1 Milliarde, darüber hinaus aber um die vom Generalfeldmarschall beschlossene Überführung des gesamten Grundstücks- und Effekten-Vermögens aus jüdischem Besitz in zunächst staatliche und später vielleicht private Hände. Auch das RWM ist sich selbstverständlich klar darüber, dass der ungeheure Effektenblock, der auf diese Weise in Bewegung geraten wird, eine schwere Gefahr für den gesamten deutschen Effektenverkehr bedeutet, und Herr Lange war der Meinung, dass deshalb dafür gesorgt werden müsse, dass die auf diese Weise schätzungsweise herauskommenden 1V4 Milliarden Effekten zunächst in irgendeiner Weise blockiert werden müssten.
Anders liegt es bei den gelegentlich der Kontribution von 1 Milliarde herauskommenden Effekten, deren baldige Verwertung der Finanzminister wünscht. Wie hoch dieser Betrag ist, lässt sich schwer schätzen, da ein Teil der Kontribution in bar, ferner aber auch durch Abzug bei der Arisierung jüdischer Unternehmen gezahlt werden wird. Immerhin bleiben auch hier einige hundert Millionen sicherlich übrig.
Das gesamte jüdische Vermögen wurde von Herrn Lange auf 7 Milliarden beziffert. Endgültige Erhebungen liegen indessen noch nicht vor. Herrn Lange schwebte vor, das Reichsanleihe-Konsortium für die Verwertung dieser Effekten treuhänderisch einzuschalten, nachdem über den Gesamtbesitz ein Katalog zusammengestellt worden ist.
Herr Bandei von der Commerz-Bank schlug die Gründung einer Liquidationsgesellschaft vor, die auf der einen Seite die gesamten Effekten zu einem vom Finanzministerium zu bestimmenden Kurse hereinnehmen und dagegen 3 % Rentenpapiere ausgeben sollte, mit denen dann die Juden ihre Steuern usw. zu bezahlen haben würden, wobei wiederum die Frage offen blieb, wieweit und in welcher Weise ihnen der Gegenwert solcher Teilschuldverschreibungen in bar zur Deckung ihres dringend notwendigen Lebensunterhaltes zur Verfügung gestellt werden kann.
Herr Dr. Mosler sprach sich sehr entschieden gegen die Gründung einer derartigen Gesellschaft aus, weil er fürchtete, dass die dort möglicherweise entstehenden Kursverluste in irgendeiner Weise den Banken, die diese Gesellschaft gründen müssten, zur Last fallen können.
Nach den Äusserungen von Herrn Lange scheint mir dieses Bedenken nicht so wesentlich, denn das RWM steht wenigstens heute noch auf dem Standpunkt, dass lediglich eine treuhänderische Bearbeitung des Geschäftes durch die Banken in Betracht kommen kann. Andererseits wurde mit Recht daraufhingewiesen, dass ein auch nur successiver Verkauf dieser Pakete in der nächsten Zeit einen schweren Druck auf den gesamten Effektenmarkt unausbleiblich auslösen würde.
Bei der Schwierigkeit des Problems schlug Herr Dr. Fischer vor, eine Besprechung der Frage zunächst im engeren Kreise bei der Fachgruppe Privates Bankgewerbe stattfinden zu lassen, um ein einigermassen erträgliches Schema zu finden, wobei wahrscheinlich zwischen der Behandlung der Effekten, die für Kontribution von 1 Milliarde herauskommen, und dem gesamten übrigen Effektenbesitz unterschieden werden muss. Diese Besprechung wird morgen nachmittag um 4 Uhr im Centralverband stattfinden.
Berlin, 24. November 1938.