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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Tagebucheintrag von Cornelius von Berenberg-Gossler

Cornelius von Berenberg-Gossler notierte vom 11. bis zum 15. November 1938 Folgendes über die Verhaftungen in seinem Bekanntenkreis in sein Tagebuch:

Freitag, 11. Nov.

Für die Juden ein schrecklicher Tag: von meinen Bekannten wurden verhaftet: der frühere Notar Kauffmann, George Behrens, Dr. Warburg, Rosenmeier u.a. Man weiß nicht, wo sich die Verhafteten befinden. Rose[n]meiers Firma war ohne Chefs u. Unterschrift, daher wandte sich auf seine Veranlassung sein Prokurist Lührs an mich. Ich setze mich mit dem Bureau des Gauwirtschaftsberaters in Verbindung, der einen „Treuhänder“, einen bezahlten verkrachten Nazi-Bankier, ernannte. Ich besuchte Frau Behrens, die trotz ihrer 83 Jahre sehr mutig war, dann bei Lena, deren Vater heute gestorben ist. Frühstück nachm. in der Kantine von Ree. Aufsichtsratssitzung der Ruberoi Werke, in denen der Nazi Otte erklärte, er wisse, daß die Konjunktur 10 Jahre dauern werde. Auf meine Einwendung, niemand könne in die Zukunft sehen, sagte er, er wisse das bestimmt. Schließlich bei Frau Blödes Mutte[r.] Frau Blöde ist ausgewiesen, u. die Mutter wollte sich mit mir besprechen, um Schritte für ihre Tochter zu tun. Nadia abds. in der Singakademie.

Hellmuth an Bord des Dampfers, auf dem Friedrich Vorwerk u. Schwester nach Chile zurückfahren. Vor Tisch u. abds. im Park. - Atatürk, der Begründer der modernen Türkei, ist gestorben. Im Park höre ich abds. die Blätter von den Bäumen fallen. Morgens für Ree Besuch in der Getreide-Firma Mackprang.

Sonnabend, 12. Nov.

Es wird überall über die empörende, unwürdige Behandlung vieler unschuldiger Juden seitens der Nazi-Regierung gescholten, zu einem großen Teil angesehene Juden, die, wie Kauffmann mir mitteilte, nach Oranienburg bei Berlin in die Gefangenschaft abgeführt wurden. Sein Bruder ist unter diesen Deportierten. Das Ausland reagiert aufgeregt u. wütend über diesen neuen Akt der Barbarei der Nazis. - Und eine solche Regierung erwartet, Kolonien zu erhalten, in denen die Eingeborenen den unseligen Folgen der Nazi-Rasse-Politik ausgesetzt werden könnten. (Aber Hitler hat z. Zt. eine solche Macht, die auf Angst kriegerischer Verwicklung beruht, daß viele kluge Leute glauben, man werde ihm Kolonien ausliefern.) - Morgens in der Devisenstelle wegen Richard Samson, für den ich mich vergeblich bei den Beamten einsetze. Es wird mir erwidert, Samson sei Jude u. unterliege den Beschränkungen, denen alle Juden in Deutschland unterlägen. - Frühstück nachm. in Niendorf. Vor Tisch wiederholt in Park u. Umgebung. Nachm. Richard Kauffmann besucht, der in Angst ist, er werde das Schicksal seines Bruders teilen müssen u. arretiert werden. Vorher Besuch bei Pfeiffer-Saenz, der mit gebrochener Kniescheibe im Hotel 4 Jahreszeiten liegt. Die Times war wieder beschlagnahmt, wie so oft in der letzten Zeit.

Sonntag, 13. Nov.

Angeblich aus Rache für die Ermordung eines deutschen Diplomaten, vom Rath, in Paris durch einen 17jährigen polnischen Juden werden weitere Vergeltungsmaßnahmen gegen die deutschen Juden veröffentlicht, nachdem viele unschuldige Juden eingesperrt worden sind. Neben Beschränkungen auf wirtschaftlichem Gebiet, in dem die Juden nicht mehr tätig sein dürfen, wird ihnen 1 Milliarde Reichsmark Buße auferlegt. Der Erlaß ist von Göring unterzeichnet, der dieses Geld für seinen 4-Jahres-Plan rauben will, nachdem er, so behauptet man, am 30. Juni 1934 nach bisher unwidersprochenen Gerüchten viele Menschen, die seine Partei fürchtete, habe ermorden lassen. Jeder anständig denkende Mensch müßte mit Abscheu von dieser Nazi-Partei abrücken. - Herrliches sonniges Wetter. Zum Frühstück Edmund bei uns, lange im Park. Um 6 Uhr Abreise nach Frankfurt a.M. in dem vorzüglichen Diesel-Motorzug, der schon um 11.V2 Uhr in Frankfurt eintrifft. Sehr hübsch ausgestaltete Wagen. Im Zuge zusammen mit Hasenhöller, einem Direktor der Triton Belco Gesellschaft. Ich übernachte im Hotel Carlton am Bahnhofsplatz (Z. 302). Hasenhöller sagte mir, die Triton Belco Ges. habe jetzt noch größere Aufträge als früher für die Rüstung. Daß die Rüstung vergrößert wird u. zwar erheblich (man spricht von einer Erhöhung von 60 % (?), wurde mir auch von anderer Seite gesagt.

Montag, 14. Nov.

In Frankfurt a.M. Besuche bei Metzler’s, Bethmann, den ich verfehle, in der Frankfurter Bank, in der Metall-Gesellschaft, wo ich Georg verfehle, in der Deutschen Gold- u. Silber-Scheideanstalt, wo ich Dr. Busemann treffe, in der Deutschen Effekten- u. Wechselbank, wo ich eine angenehme Unterhaltung mit Dr. Hartmann habe. Schließlich Frau v. Metzler u. Frau v. Bethmann versucht zu treffen, sie waren ausgegangen. Frühstück im Carlton Hotel, um 3 Uhr Abreise, um 11.1/2, in Niendorf treffe ich noch Nadia u. Nadinka auf. Brief von Heinrich aus Buenos Aires vom 9. Nov., noch immer keine Entscheidung über seine Zukunft.

Dienstag, 15. Nov.

Morgens Kauffmann besucht, die Verhaftungen von Juden nehmen ihren Fortgang, unter ihnen werden das Elend, die Angst u. die Sorge immer größer. Sogar kranke Juden sind aus dem Sanatorium in Fürstenberg verhaftet worden. Frühstück im Patriotischen Gebäude, nachm. ein interessantes Erlebnis, Psychologie eines Nazis. Wiesmann kündigt einem 65jährigen fanatischen Nazi in seinem Comptoir. Der Nazi sagte, er werde sich an die Arbeitsfront wenden, das Geld, das durch seinen Abgang gespart werden sollte, könnte man besser von Kauffmanns Geld nehmen. Wir lieferten das Geld, er die Arbeit, so sei die Gemeinschaft. Er wies dann daraufhin, daß ich so alt wie er sei. Schließlich beschwerte er sich laut am Telefon im großen Comptoir bei der Arbeitsfront über uns. - Nadia abds. in der Singakademie, Cornelia bei Tita. Cornelia erzählt, daß aus ihrem Hotel Reichshof nachts die Juden herausgeholt u. abgeführt würden. Vor Tisch kommt Overbeck, der mit Nadinka zur Stadt fährt. - Die ausländische Presse scheint mit Recht über die Mißhandlungen der Juden in Deutschland zu toben. Die Times ist wieder beschlagnahmt. Die deutsche Presse arbeitet gegen England, indem sie auf die Behandlung der Araber in Palästina durch die Engländer hinweist, ein sehr schwaches Argument, denn die Juden in Deutschland sind wehrlos. Die Beschlagnahme jüdischer Vermögen ist ein Raub, an der Ermordung des deutschen Diplomaten sind die Juden unschuldig, die anständigen mißbilligen den Mord.

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