Sitzung im Reichsluftfahrtministerium
Am 14. Oktober 1938 findet bei Hermann Göring eine Besprechung über die wirtschaftliche Kriegsvorbereitung und die „Arisierung“ statt, über die das folgende geheime Protokoll angefertigt wird:
Generalfeldmarschall Göring eröffnete die Sitzung mit der Erklärung, dass er Weisungen geben wolle für die Arbeit der nächsten Monate. Jeder wisse ja aus der Presse, wie die Lage in der Welt sei, und der Führer habe ihn infolgedessen angewiesen, ein gigantisches Programm durchzuführen, gegen das die bisherigen Leistungen bedeutungslos seien. Dem gegenüber beständen Schwierigkeiten, die er mit der grössten Energie und Rücksichtslosigkeit überwinden werde.
Der Devisenbestand sei durch die Vorbereitung für das tschechische Unternehmen völlig abgesunken und bedürfe einer sofortigen starken Erhöhung. Auch habe man die Auslandskonten schon stark überzogen, sodass grösste Exporttätigkeit - mehr wie bisher -im Vordergrund stände. An 1. Stelle stände für die nächsten Wochen Erhöhung des Exports zur Besserung der Devisenlage. R Wi M soll einen Vorschlag machen, wie die Exporttätigkeit zu heben ist, wobei über die derzeitigen exporthemmenden Schwierigkeiten hinweggeschritten werden müsse.
Diese Exportgewinne sind einzusetzen für die Verschärfung der Rüstung. Die Rüstung dürfe durch die Exporttätigkeit nicht gekürzt werden. Er habe vom Führer den Auftrag, die Rüstung abnorm zu steigern, wobei in 1. Linie die Luftwaffe stände. Die Luftwaffe sei schnellstens zu verfünffachen; auch die Marine müsse schneller rüsten, und das Heer müsse schneller grosse Mengen von Angriffswaffen schaffen, in Sonderheit schwere Artillerie und schwere Tanks. Daneben hergehen muss die fabrikatorische Rüstung, wobei in Sonderheit Treibstoffe, Gummi, Pulver- und Sprengstoffe in den Vordergrund zu rücken sind. Daneben muss gehen der beschleunigte Strassenausbau, Kanalausbau und in Sonderheit der Eisenbahnausbau.
Dazu käme der VJP, der nach 2 Gesichtspunkten neu zu ordnen ist.
Im VJP sind in 1. Linie alle Bauten vorwärts zu treiben, die der Rüstung dienen, und in 2. Linie alle die Anlagen zu schaffen, die wirklich devisensparend sind.
Die Ersatzstoffe, die der VJP geschaffen hat, müssen nun beschleunigt in den Verkehr gebracht werden. R Wi M und die anderen Behörden sollen bis Anfang November Vorschläge machen für vermehrte Einführung der Ersatzstoffe. Die Einfuhr in den Stoffen, für die wir Ersatzstoffe haben, müsse rücksichtslos beschränkt werden. Generalfeldmarschall Göring kam dann zur Hauptfrage des Tages: wie können diese Forderungen erfüllt werden! -
Er stände vor ungeahnten Schwierigkeiten. Die Kassen seien leer, die fabrikatorischen Kapazitäten für Jahre hinaus mit Aufträgen vollgepropft. Trotz dieser Schwierigkeiten werde er die Lage unter allen Umständen ändern. Denkschriften nützten ihm nichts, er wünsche nur positive Vorschläge. Er werde die Wirtschaft, wenn es notwendig ist, mit brutalen Mitteln umdrehen, um dieses Ziel zu erreichen. Es sei jetzt der Moment da, wo die Privatwirtschaft zeigen könne, ob sie noch eine Daseinsberechtigung hätte. Wenn sie versagt, ginge er rücksichtslos zur Staatswirtschaft über. Er werde von seiner - ihm vom Führer erteilten - Generalvollmacht barbarisch Gebrauch machen.
Alle Wünsche und Pläne von Staat, Partei oder anderen Stellen, die nicht ganz in dieser Linie liegen, sind rücksichtslos zurückzustellen. Auch weltanschauliche Fragen können jetzt nicht gelöst werden, dazu sei später Zeit. Er warne dringend, Arbeitern Versprechungen zu machen, die von ihm nicht gehalten werden können. Wünsche der Arbeitsfront treten voll in den Hintergrund.
Die Wirtschaft müsse voll umgestellt werden. Es sei sofort eine Untersuchung aller Produktionsstellen einzuleiten, ob sie auf die Rüstung und den Export umgestellt werden könnten oder stillzulegen seien. Dabei stände die Frage der Maschinen-Industrie an 1. Stelle. Für Druckerei-, Wäscherei-Maschinen und ähnliche Sorten sei kein Platz mehr, sie müssten alle Werkzeugmaschinen machen. In den Werkzeugmaschinen sei die Dringlichkeit der Aufträge zu prüfen, wo irgend möglich seien Kapazitätserweiterungen vorzunehmen. 3-Schichten-Arbeit sei selbstverständlich.
Es bleibt nun zu überlegen, wer diese Aufgabe durchführen soll; der Staat oder die Selbstverwaltungs-Wirtschaft. - Er habe von Generaldirektor Zangen einen Vorschlag verlangt, wie diese Pläne verwirklicht werden sollen. Er warne alle Stellen, in Sonderheit die Arbeitsfront, Preiskommissar usw., die Durchführung dieser Vorschläge irgendwie zu hemmen. Er werde gegen jede Störung, die durch die Arbeitsfront erfolge, rücksichtslos Vorgehen. Die Arbeitsfront bekäme keine Rohstoffe und keine Arbeiter mehr für ihre Aufgaben. Ebenso müssen alle anderen parteimässigen Forderungen rücksichtslos zurücktreten. Ausländische Arbeiter können weiter beschäftigt werden, nur nicht in den besonders geheimen Teilen der Betriebe. Die Werke dürfen in der jetzigen Zeit nicht mit unnötigen Belastungen beschwert werden; wie Sportplätze, Kasinos oder ähnliche Wünsche der Arbeitsfront. Massnahmen, die die Arbeitsfront treffen will, seien ihm zur Genehmigung vorzulegen.
Rohstoffe und Energie sind genau zu lenken. Ebenso ist die Menschenverteilung in ganz anderer Form wie bisher zu organisieren. Die Umschulung hat nicht funktioniert; alle Stellen haben versagt. Die Eingliederung der Jugend in die Wirtschaft werde ganz grosszügig von ihm organisiert werden. Es seien grosse staatliche Lehrlingswerkstätten zu schaffen; ausserdem werden die Werke verpflichtet werden, bestimmte Mengen Lehrlinge einzustellen. Es müsste eine Umschulung von Hunderttausenden stattfinden. Frauenarbeit sei viel mehr wie bisher durchzuführen.
Vor allem sei die weibliche Jugend viel mehr einzustellen. Achtstündige Arbeitszeit gibt es nicht mehr; wo notwendig, seien Überstunden zu machen, 2-3fache Schichten seien selbstverständlich. Wo Weigerungen der Arbeiterschaft erfolgen, wie z. B. in Österreich, will Generalfeldmarschall Göring mit Zwangsarbeit vorgehen; er werde Zwangsarbeits-Lager schaffen. Die Arbeitsfront solle nicht falsche Sozialbegriffe unter die Arbeiter bringen. Tatsache sei, dass unsere Generation die Karre in den Dreck gefahren habe, indem die Arbeiter gemeutert haben und indem wir die Schuld auf uns geladen haben, dass wir diese Arbeiter nicht sofort zusammengeschossen haben. Wir müssten also auch die Sache wieder in Ordnung bringen.
Auf dem Verkehr-Gebiet müsse sofort viel geschehen. Verk.-Ministerium muss einen Antrag vorlegen über Bau von rollendem Material und sonstigen Forderungen. Der Stichkanal beim Hermann Göring-Werk sei besonders wichtig. Es ginge nicht weiter, dass die Wehrmacht den Wagenpark blockiert. Wenn es weiter erfolge, werde er Entscheidung treffen, denn es sei nicht möglich, dass deswegen das Volk verhungert.
In der Landwirtschaft käme es darauf an, ausländische Arbeiter einzustellen. Ebenso müsse die Landmaschinen-Frage gefordert werden. Besonders wichtig ist der Bau von Vorratshäusern.
Das Sudetenland müsse mit allen Mitteln ausgenutzt werden. Generalfeldmarschall Göring rechnet mit einer völligen wirtschaftlichen Angleichung der Slowaken. Tschechen und Slowaken würden deutsche Dominions werden. Es müsse herausgeholt werden, was irgend möglich ist. Der Oder-Donau-Kanal sei beschleunigt vorzusehen. In der Slowakei müssten in Sonderheit von Staatssekretär Keppler Untersuchungen von Erdöl und Erze[n] vorgenommen werden.
Im 2. Teil seiner Ausführungen kam Generalfeldmarschall Göring auf das Judenproblem zu sprechen. Die Judenfrage müsste jetzt mit allen Mitteln angefasst werden, denn sie müssten aus der Wirtschaft raus. Unter allen Umständen zu unterbinden ist aber die wilde Kommissar-Wirtschaft, wie sie sich in Österreich ausgebildet hat. Diese wilden Aktionen müssten aufhören, und die Erledigung der Judenfrage darf nicht als ein Versorgungssystem untüchtiger Partei-Genossen angesehen werden. Hierauf wurde Ministerialrat Fischböck das Wort erteilt. Er teilte mit, dass es in Österreich zunächst 25 000 Kommissare gegeben hätte. Heute gibt es immer noch 3500, die fast alle unbrauchbar wären. In Österreich vertritt die Partei den Standpunkt, dass die Arisierung Sache der Partei sei und sie zu verbinden sei mit der Wiedergutmachung an alten Parteigenossen.
In Österreich seien noch 2 Milliarden Gesamtwerte jüdischen Vermögens. Die grossen Betriebe würden durch die Kontrollbank aufgekauft, Schwierigkeiten mache es, die Juden aus den kleinen gewerblichen Betrieben hinauszubringen.
Generalfeldmarschall Göring nahm scharf gegen die Auffassung Stellung, dass die Arisierung Sache der Partei sei. Sie sei allein Sache des Staates. Er könne aber Devisen für den Abschub der Juden nicht möglich machen. Im Notfalle müsse man Ghettos in den einzelnen Grosstädten einrichten.
Staatsrat Schmeer warnte davor, in der Judenbekämpfung rücksichtsvoller vorzugehen; man sollte jüdische Arbeits-Kolonnen aufstellen, dann würden die Leute schon von allein auswandern.
Staatsrat Neumann warnte und war der Ansicht, dass man - besonders in Österreich -vorsichtiger an die Sache herangehen müsse.
Sodann wurde die Sitzung ganz überraschend von Generalfeldmarschall Göring geschlossen, ohne dass die Wortmeldung erfüllt oder Entscheidungen getroffen wurden.