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Chronik und Quellen
1938
August 1938

Privater Brief an den Papst

Frau Maria Marx [1] bittet am 16. August 1938 den Papst um Hilfe angesichts der schwierigen Lage der „nicht-arischen“ Katholiken:

Heiliger Vater!

Nur die größte Sorge um die Existenz meiner Familie, die in verzweifelter Situation sich befindet, bringt mich dazu, als einfache Frau Ew. Heiligkeit mit diesem Briefe zu behelligen. Seit 5 Jahren sehe ich aus um Hilfe um einen Ausweg, resultatlos. Ich bin die deutsche katholische Frau eines jüdischen, deutschen Arztes, dessen Vorfahren während der spanischen Inquisition über Holland nach Deutschland geflüchtet sind. Meine 4 Kinder, katholisch getauft und in confessionellen Schulen erzogen, sind also Halb-Arier. Durch die Sonderbestimmungen für jüdische Ärzte in Deutschland in den letzten 5 Jahren sind unsere pekuniären Verhältnisse aufs äußerste erschüttert und durch die neue gesetzliche Bestimmung, die ab 30. Sept. jedem jüdischen Arzt jede ärztliche Tätigkeit bei Gefängnisstrafe untersagt, [ist] unsere Existenz vollkommen vernichtet worden.4 Mein Mann, jetzt im 69. Lebensjahr, über dessen tadellosen Charakter, die Vornehmheit, mit welcher er seine Kinder in der katholischen Religion erziehen ließ, bin ich jederzeit im Stande, Ew. Heiligkeit die denkbar besten Empfehlungen des Seelsorgers unserer Pfarrei und der Seelsorger meiner Kinder zu bringen. Seit 5 Jahren, und gerade in besonderem Maße in den letzten Monaten, sind durch die jüdischen Hilfskomitees der ganzen Welt einer großen Zahl von Juden im Ausland eine Existenzmöglichkeit geschaffen worden, besonders auch für jüdische Ärzte. Aber so viel ich mich auch bemühte, unterstützt durch beste priesterliche Empfehlungen, ich finde keine Hilfe. Die jüdischen Hilfskomitees sind nur zuständig für „rein jüdische Fälle!“ Unsere Familie besteht aber nur aus einem Juden und fünf Katholiken! Wie kann mein Mann von den Juden Hilfe erwarten mit seiner katholischen Frau und seinen katholischen Kindern?!

Ungeheuer ist die Not der deutschen Juden, Ungeheueres wird aber auch geleistet an Hilfe durch die Juden der ganzen Welt. Eine verhältnismäßig kleine Zahl von Helfenkönnenden steht einer ungeheuren Zahl von sozusagen über Nacht Existenzlos-Gewordenen gegenüber. Erschütternd ist die Tragödie der Juden, erschütternder die der christlichen Halbarier, denn die Hilfen, die sich in so vielen Wegen für die Juden bieten, sind dem Halbarier verschlossen, weil er „kein Jude ist“.

Gewiß, es sind viele Halbarier in schwerster Bedrängnis, und doch bilden sie nur einen winzigen Prozentsatz, gemessen an den hunderten von Millionen Katholiken der ganzen Welt. Ich bin hierher gekommen vor einigen Tagen zu meinem Sohne, der seit 4 Jahren in Rom Medizin studiert und der seinerzeit beste Empfehlungen von kirchlicher u. klösterlicher Seite, Pater Esch pp. an Hochwürdigen Herrn Pater Leiber, Pater Stratmann pp. hatte. Ich wollte mich an diese Herren wenden und sehen, ob ich durch ihre gütige Vermittlung vielleicht die Möglichkeit finden könnte, mit meiner Familie ins Ausland zu kommen. Leider sind nun die Herren zur Zeit nicht in Rom, und ich muß in 2-3 Tagen wieder zurück nach Deutschland. Da kam ich in meiner verzweifelten Ratlosigkeit dazu, an Ew. Heiligkeit diesen Brief zu schreiben mit der innigen Bitte um Hilfe. Diese Hilfe könnte wohl nur darin bestehen, daß sich jemand fände auf Gottes weiter Welt, der für meine Familie eine Einwanderungserlaubnis ins Ausland beschaffte und uns für den allerersten Anfang, vielleicht für die Zeit von 2-3 Monaten, etwas unterstützen würde. Gerne würde ich nach Nordamerika gehen.

Sollte mein Mann nicht als Arzt Unterkommen können, so könnte vielleicht die Möglichkeit als Hilfe in einem wissenschaftlichen Institut gegeben sein, da mein Mann an einer wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiete der Bakteriologie arbeitet. Zu welchen Endergebnissen diese Arbeiten führen werden, läßt sich noch nicht übersehen. Bis jetzt ist auf jeden Fall eine Veränderung von T.B.C. Baz[illus], in dem Sinne zu erreichen, daß ihre spezifische Färbbarkeit verloren und Kulturen nicht mehr angingen. Mein Mann erwartet in Bezug auf Diagnose, Identifizierung und Therapie Erkentnisse zu erreichen und wahrscheinlich auch bei ultravioletten Keimen. Wenn mein Mann die nötigen Mittel gehabt hätte, würde er einen Gratisarbeitsplatz, welchen er auf Grund obiger Arbeiten an der Züricher Hochschule vor zwei Jahren bekommen hatte, angenommen haben; aber er konnte im Interesse seiner Familie seine Praxis nicht aufgeben.

Wenn uns die Möglichkeit geschaffen würde, nach Amerika zu kommen, würden wir auch sonst in Kürze unser Fortkommen finden, da wir alle willens sind, jede anständige Arbeit anzunehmen, um eine bescheidene Existenz aufzubauen. Ich habe vor 2 Jahren die Herstellung von Pralinen pp. erlernt, um im Auswanderungsfalle gleich mithelfen zu können. Mein ältester Sohn, 26 Jahre, Dipl.-Ing. in Südafrika, schickt jeden Monat regelmäßig 8-10 Pfund. Mein 2. Sohn studiert hier seit 4 Jahren, er natürlich kann pekuniär nicht helfen. Meine älteste Tochter ist seit 1 ½ Jahren im Royal Southantshospital in Southampton, die Krankenpflege zu erlernen. Im Falle einer Auswanderung würde es sicher nicht schwer sein, für sie eine Arbeitsmöglichkeit zu schaffen.

Meine jüngste Tochter, 17 Jahre alt, könnte zunächst eine Stelle bei Kindern annehmen. Mein Mann ist auch kaufmännisch lehrmäßig ausgebildet. Was wir brauchen, ist die Möglichkeit, Einwanderungserlaubnis zu bekommen, die Existenz würden wir uns schon mit eiserner Energie selbst aufbauen. Kommen wir aus Deutschland nicht heraus, sind wir einfach ab 30. Sept. zum Zugrunde-gehen verurteilt. Und so schließe ich mit der inigen Bitte; Heiliger Vater! Helfen Sie uns um Christi Willen! Lassen Sie den jüdischen Mann mit seiner katholischen Familie nicht zu Grunde gehen.

In tiefster Ehrfurcht Euer Heiligkeit Ergebenst

Fußnoten

[1] Maria Marx und ihr Ehemann Dr. Georg Marx (1870-1947) wohnten 1938 in Remscheid. Später verzogen sie nach Köln. Georg Mann überlebte den Krieg versteckt in einem Kloster katholischer Ordensschwestern in Koblenz-Lützel.

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