Menü
Chronik und Quellen
1938
August 1938

Aufträge an „Halbjuden“?

Die Provinzialdienststelle Rheinland des Deutschen Gemeindetags in Düsseldorf erkundigt sich am 1. August 1938 bei der Zentrale in Berlin, ob öffentliche Aufträge an „Halbjuden“ vergeben werden dürfen:

Vergebung öffentlicher Aufträge an Halbjuden

Der Bürgermeister in Grevenbroich teilt mit, er habe bisher bei der Vergebung öffentlicher Aufträge recht häufig einen Bauunternehmer berücksichtigt, von dem sich nun herausgestellt habe, daß er Halbjude sei. Der Betreffende sei seit Jahren Pg., da offenbar über seine Abstammung nichts Näheres bekannt gewesen sei. Er genieße sonst einen guten Ruf, sei Frontkämpfer und Schwerkriegsbeschädigter. Ferner habe er um das Jahr 1926/27 der deutsch-völkischen Bewegung angehört. Auch habe die Partei über seine Person sonst eine gute Meinung, wenn er nun auch aus der NSDAP ausgeschlossen werden müsse.

Der Bürgermeister fragt an, ob er der Firma weitere Aufträge übertragen kann.

Die im Nachrichtendienst Nr. 142 von 1933 veröffentlichten Richtlinien der Reichsregierung für die Vergebung öffentlicher Aufträge an Firmen, deren Inhaber oder an der Geschäftsführung maßgebend beteiligte Personen nicht arischer Abstammung sind (Abschnitt III der Richtlinien), können m.E. für die Beurteilung der aufgeworfenen Frage nicht mehr herangezogen werden, weil einerseits das Arbeitslosenproblem, das seinerzeit allen anderen Überlegungen vorangehen mußte, gelöst ist, und andererseits der Gesetzgeber durch die 3. VO zum Reichsbürgergesetz vom 14.6.1938 (RGBl. I, S. 627) eine klare Abgrenzung für die Beurteilung der Frage geschaffen hat, welche Gewerbebetriebe als jüdisch gelten.

Da der Gewerbebetrieb nicht als jüdisch gilt, wenn der Inhaber jüdischer Mischling ist (§ 1 Abs.i der genannten VO in Verbindung mit der ersten VO zum Reichsbürgergesetz, § 2 Abs. 2), ergibt sich die Frage, ob nun hieraus gefolgert werden darf, daß derartige Betriebe bei Vergebung öffentlicher Aufträge berücksichtigt werden dürfen.

Der Nachrichtendienst teilt zwar in Nr. 793 von 1938 unter dem Stichwort „Vergebung öffentlicher Aufträge - jüdische Gewerbetriebe“ den wesentlichen Inhalt der 3. VO. zum RBG mit, zieht aber nicht die Folgerung, wie nun solche Betriebe und namentlich diejenigen, deren Inhaber jüdische Mischlinge sind, bei der Vergebung öffentlicher Aufträge zu behandeln seien. Diese Frage erscheint mir deshalb von grundsätzlicher Bedeutung, weil heute die Rechtsstellung der jüdischen Mischlinge klar umrissen ist. Sie gelten z.B. als vorläufige Reichsbürger wie die deutschblütigen Staatsangehörigen und besitzen auch das politische Stimmrecht wie diese. Auch unterliegt ihre wirtschaftliche Betätigung und ihre sozialpolitische Betreuung heute keinen besonderen Beschränkungen mehr, und sie können sogar Mitglied der DAF sein.

Da ich gleichwohl Bedenken habe, dem Bürgermeister in Grevenbroich eine entsprechende Auskunft zu erteilen, zumal die Frage der Vergebung von öffentlichen Aufträgen an jüdische Mischlinge bisher von keiner Stelle klar ausgesprochen und entschieden worden ist, bitte ich um gefällige Verfügung.

Baum wird geladen...