Mai 1940
Das Reichsluftfahrtministerium erließ am 3. Mai für das gesamte Reichsgebiet einheitliche Bestimmungen zur Abwehr der Gefahren des Luftkriegs. Dazu zählte vor allem die generelle Verdunkelungspflicht zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang. Das Verständnis für diese Maßnahme war in der Bevölkerung zunächst eher gering, da man – nicht zuletzt aufgrund der entsprechenden NS-Propaganda – die Gefahren des Luftkrieges zu diesem Zeitpunkt eher gering eingeschätzt wurden.
Das änderte sich eine Woche später grundlegend, als in den frühen Morgenstunden des 10. Mai um 5.35 Uhr der Westfeldzug begann. Unter Verletzung der Neutralität der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs und wiederum ohne Kriegserklärung starteten zwei deutsche Heeresgruppen von der Nordsee bis zur Südgrenze Luxemburgs ihre Offensive. Wie schon bei der Invasion von Dänemark und Norwegen im Monat zuvor fiel die Begründung mehr als fadenscheinig aus: Das Ruhrgebiet, so wurde der Bevölkerung mitgeteilt, müsse von einer Besetzung durch die deutschen Kriegsgegner geschützt werden.
Der Angriff im Westen zog sehr bald eine konkrete Gefährdung des Reichsgebiets nach sich. Infolge seiner gescheiterten Appeasement-Politik musste nämlich der britische Premierminister Arthur Neville Chamberlain schon am 10. Mai zurücktreten und wurde von einer durch Winston Churchill geführten Allparteienregierung ersetzt. Bereits einen Tag später genehmigte die neue Regierung Nachtangriffe britischer Bomberstaffeln auf das deutsche Hinterland und gab damit grünes Licht zur – zunächst noch nicht sehr wirksamen - Bombardierung deutscher Städte. Als am gleichen Tag deutsche Flugzeuge versehentlich Freiburg angriffen, wurde das vom Deutschen Nachrichtenbüro umgehend als feindlicher Angriff ausgegeben. Zugleich nutzte man diesen eigenen Irrtum als Argument, um den Luftkrieg gegen britische Städte zu eröffnen.
Während in den Niederlanden bereits Kapitulationsverhandlungen liefen, griff ein deutsches Kampfgeschwader, das nicht mehr rechtzeitig zurückbeordert werden konnte, am 14. Mai auf Befehl Görings die ungeschützte Stadt Rotterdam an. Das Stadtzentrum der 600.000 Einwohner zählenden Metropole wurde durch eine Feuerbrunst nahezu völlig zerstört, wobei mindestens 900 Menschen ums Leben kamen. Nicht wenige dürften das auch in Deutschland als Fanal für die kommenden kriegerischen Ereignisse gedeutet haben. Einen Tag später unterzeichnete der niederländische Oberbefehlshaber Winkelman dann die Kapitulation aller niederländischen Streitkräfte.
Danach ging es mit zuvor unvorstellbarem Tempo weiter: Am 17. Mai wurde Brüssel von deutschen Truppen kampflos eingenommen. Bereits einen Tag später - und zehn Tage vor der offiziellen belgischen Kapitulation – verfügte Hitler die „Wiedereingliederung“ der im Versailler Vertrag abgetretenen belgischen Gebiete Eupen, Malmedy und Moresnet in das Reichsgebiet.
Nachdem sie zuvor durch die Wehrmacht dort eingekesselt worden war, begann am 27. Mai in Dünkirchen die Einschiffung der 300.000 bis 400.000 Mann zählenden britischen Expeditionsarmee. Einen Tag später führten Wehrmachtseinheiten einen ersten Vorstoß gegen die französische Maginotlinie. Wiederum drei Tage später gab Hitler dann am 31. Mai den Befehl, die „Schlacht um Frankreich“ zu beginnen.
Nachdem weite Teile Nord- und Westeuropas besetzt waren, meldete nicht nur die Wehrmacht vermehrten Bedarf an weiblichen Hilfskräften an, die in den Militärverwaltungen der besetzten Gebiete eingesetzt werden sollten, sondern der Kräftebedarf stieg allgemein enorm. Mit der offiziellen Begründung einer dringend notwendigen Kohleförderung wurde am 10. Mai beispielsweise verfügt, dass der Fronleichnamstag von Donnerstag, den 23. Mai, auf Sonntag, den 26. Mai verlegt werde. Damit wurde ein Arbeitstag gewonnen, während den Arbeitnehmern ein Feiertag genommen wurde.
Wie bereits die Monate zuvor, war auch der Mai wieder durch zahlreiche Einschränkungen und eine Verschärfung der Kontrolle und Überwachung geprägt. Um die Kapazitäten der Reichsbahn allein dem Gütertransport vorzubehalten, verfügte Hermann Görings als Beauftragter für den Vierjahresplan am 12. Mai, dass es an den bevorstehenden Pfingsttagen Zivilisten nur in dringenden Fällen erlaubt sei, eine Bahnreise zu unternehmen. Am 16. Mai wurden die Gestapostellen im Reichsgebiet durch eine Verfügung Reinhard Heydrichs ermächtigt, Schutzhaftanträge per Fernschreiben unmittelbar an das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin zu richten. So konnten „Staatsfeinde“ künftig interniert werden, ohne dass die hierfür eigentlich zuständigen Ermittlungsrichter solche Anträge zuvor auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen konnten.
Auch hinsichtlich der rassisch ausgegrenzten Gruppen gab es neue Anweisungen. Am 19. Mai regelte Reichsinnenminister Wilhelm Frick per Verordnung den Umgang mit Kriegsgefangenen, wonach Kontaktaufnahme mit ihnen nunmehr ausschließlich in dienstlichen oder beruflichen Angelegenheiten erlaubt war. Bereits am 9. Mai war eine generelle Ausgangsbeschränkung für die jüdische Bevölkerung verhängt worden, die vom 1. April bis 30. September für die Zeit zwischen 21 und 5 Uhr galt, zwischen dem 1. Oktober bis 31. März von 20 bis 6 Uhr.
Im Kontrast zu solchen Anordnungen hob Reichsinnenminister Wilhelm Frick am 19. Mai in einer Rundfunkrede zum Kriegsmuttertag die Opfer der „tapferen deutschen Mütter für das Vaterland“ hervor.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Am 4. Mai erlässt das Reichssicherheitshauptamt ein Ausgehverbot für die jüdische Bevölkerung. Danach ist es Juden künftig verboten, vom 1. April bis 30. September zwischen 21 Uhr abends und 5 Uhr morgens, vom 1. Oktober bis 31. März sogar zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens verboten ihre Wohnungen zu verlassen.
Mit einer „Anordnung zur Gettoisierung der jüdischen Bevölkerung Warschaus“ wurde am 19. Mai die Errichtung des lokalen Gettos ab dem 1. Juli 1940 festgelegt. Generalgouverneur Hans Frank erteilte aber schon kurz darauf die Weisung, alle derartigen Arbeiten einzustellen, Weil „nach dem Plane des Führers die Juden nach Kriegsende auf Madagaskar angesetzt werden sollen“. Auch Heinrich Himmler äußerte in dieser Hinsicht am 20. Mai in einer Denkschrift zum Thema „Über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“, dass er hoffe, „den Begriff Juden (…) durch die Möglichkeit einer großen Auswanderung sämtlicher Juden nach Afrika oder sonst in eine Kolonie völlig ausgelöscht zu sehen“.