Menü
Chronik und Quellen
1935
September 1935

Die SoPaDe berichtet

In der September Ausgabe 1935 heißt es in den Deutschland-Berichten“:

„DIE JUDENVERFOLGUNGEN

„Sie haben jetzt einem Gesetz zugestimmt, dessen Bedeutung erst nach vielen Jahrhunderten im ganzen Umfang erkannt werden wird. Sorgen Sie dafür, daß unser Volk selbst den Weg des Gesetzes wandelt. Sorgen Sie dafür, daß dieses Gesetz geadelt wird durch die unerhörteste Disziplin des ganzen deutschen Volkes, für das Sie verantwortlich sind.“ (Hitler an die Reichstagsabgeordneten nach Schluß der Nürnberger Tagung.)

Hitler hat in Nürnberg den Ton angegeben und die Gauleiter haben in ihren Herrschaftsbereichen dieselbe Melodie angestimmt: Durch die Judengesetze habe der Kampf gegen die Juden seine gesetzliche Grundlage gefunden. Die Achtung vor dem Gesetz verlange, daß jedes eigenmächtige Vorgehen unterbleibe. Ist Deutschland auf diese Weise etwa zu einem Rechtsstaat geworden? Bieten die Ausnahmegesetze den Verfolgten wenigstens den Schutz, daß ihnen noch Schlimmeres, als ihnen diese Gesetze androhen, nicht angetan werden kann? - Die Tatsachen, die aus den nachfolgenden Berichten sprechen, ge ben eine klare Antwort: Die Methoden der Judenverfolgung haben sich durch die Nürnberger Gesetze nicht geändert, die Willkür herrscht nach wie vor und Einzelaktionen sind noch immer an der Tagesordnung. Die NSDAP stellt die ihr von Hitler in Nürnberg nachgerühmte „Lebendigkeit“ unter Beweis und wartet nicht erst ab, bis ihr wegen der noch zu erweisenden Unfähigkeit der Bürokratie zur Erfüllung dieser Aufgabe das ganze Feld des Judenterrors zur ausschließlichen Bearbeitung übertragen wird.

In Ergänzung der Übersicht im letzten Monatsbericht stellen wir im folgenden einige neue Terrormeldungen, die durch die deutsche Presse gelaufen sind, voran:

An unzähligen Orten wurden auf Straßen und Plätzen Schilder aufgestellt: „Juden unerwünscht“. Zahlreiche Mannheimer Gaststätten und Geschäftsleute erklären durch Anschlag, daß Juden nicht mehr bedient werden. Käfertal bei Mannheim hat den letzten jüdischen Einwohner vertrieben und diese Tat durch öffentliche Schilder stolz verkündet.

Der Gebietsausschuß für die Sächsische Schweiz gibt bekannt, daß Juden unerwünscht sind, und daß in Zeitungen, in denen Juden tätig sind, nicht mehr inseriert wird.

Dem jüdischen Hausbesitzer Wimpfheimer in Karlsruhe wurde der Abbruch seines Hauses angedroht, wenn es nicht in kurzer Zeit renoviert ist. Dem jüdischen Sägewerksbesitzer Roos in Altshausen wurde das Recht zur Betriebsführung entzogen. Der jüdische Bäckermeister Marx in Bruchsal wurde wegen Unsauberkeit in Schutzhaft genommen. Die Inhaber des jüdischen Konfektionshauses „Elko“, München, wurden wegen Rasseschändung verhaftet. Die Elektro-Gas-Gemeinschaft in Mainz hat die jüdischen Firmen ausgeschlossen. Sämtliche jüdischen Lichtspieltheater in Hannover wurden geschlossen, der ganze Gau Südhannover-Braunschweig ist nunmehr frei von jüdischen Kinos. Die Kieler Kinos haben beschlossen, Juden den Besuch nicht mehr zu gestatten.

Das Landesarbeitsgericht Frankfurt/Main erklärt die Entlassung einer jüdischen Angestellten wegen ihrer Rassenzugehörigkeit für gerechtfertigt.

Die Wohlfahrtspflegerin A. Caspari in Meissen wurde von ihrem Amt abberufen, weil sie im jüdischen Warenhaus gekauft hat. In Pirmasens wurde der Bäcker Hohlweg wegen Verkehr mit einer Jüdin verhaftet. Nichtarier, gleichviel welcher Staatsangehörigkeit, werden zum Münchener Oktoberfest nicht zugelassen. Juden sind von der Teilnahme an der Mannheimer Herbstmesse ausgeschlossen.

Der Verein Deutscher Ingenieure legt für die Erwerbung der Mitgliedschaft die rassischen Grundsätze der NSDAP (Ariernachweis bis zum 1.1. 1800) zugrunde. Der Kirchenrat der Berliner Thomaskirche läßt an einem kirchlichen Gebäude einen „Stürmer“-Kasten anbringen.

Die „Westdeutsche Beamtenzeitung“ wurde verboten, weil sie die Beamtenschaft durch Aufnahme jüdischer Inserate diskreditiert hat.

Und - der jüdische Zeitungshändler S. Rosenthal in Cottbus wurde verhaftet, weil er den „Stürmer“ verkauft hat.

Mit besonderem Eifer wird das Privatleben der Juden beobachtet, werden „Rasseschändungen“ entlarvt. Der „Stürmer“ veröffentlicht eine erste Liste von Ehen zwischen Juden und Christen, die nach dem Umsturz geschlossen worden sind, und kündigt weitere an. Aber der „Stürmer“ hat längst das Monopol, die Judenfrage auf diese Weise zu lösen, verloren. Was tagtäglich in der Provinzpresse an Unrat produziert wird, entzieht sich jeder Darstellung. Zwei Inserate zur Illustration:

Wir begnügen uns damit, die Schlagzeilen einer einzigen Nazizeitung, des „Hakenkreuzbanners“, Mannheim, von August/September wiederzugeben:

1.8. „Ein Heidelberger Jude als Rasseschänder.“
3.8. „Jüdischer Arzt mit seinem Judenliebchen eingesperrt.“
10.8. „Jüdischer Rasseschänder festgenommen.“
13.8. „Jüdische Sadisten und Rasseschänder.“
22.8. „Rasseschänder werden ausgerottet!“
23.8. „Wieder mehrere jüdische Volksverseucher in Haft.“
26.8. „Rassenschänder in Schutzhaft.“
28.8. „Rasseschänder Moch in Schutzhaft.“
5.9. „Zwei jüdische Scheusale.“
10.9. „Rassenschänder werden ausgerottet.“
11.9. „Rasseschänder!“
17.9. „Jude vergewaltigt zwölfjähriges Mädchen.“
18.9. „Fünf Rasseschänder nach Kislau gebracht.“
20.9. „Zwei Rasseschänder zur Strecke gebracht!“

Den bei uns im letzten Monat eingegangenen Berichten entnehmen wir:

Pfalz, 1. Bericht: Die Stimmung unter den Winzern des pfälzischen Weinbaugebiets ist denkbar schlecht. Kein Mensch weiß, was aus dem Herbstgeschäft werden soll. Die NSDAP wendet sich mit allen Mitteln dagegen, daß die Winzer ihre Moste an die jüdischen Weinhändler abgeben. Die Juden sollen unbedingt ausgeschaltet werden. Wer aber sonst den Wein aufkaufen und - das ist das Wichtigste - bezahlen soll, ist bis jetzt noch nicht geklärt. Die wenigen arischen Weinhandlungen und Kommissionäre sind jedenfalls nicht kapitalkräftig genug. Die im vorigen Jahre gegründeten Absatzgenossenschaften begegnen dem allergrößten Mißtrauen, da die Winzer, die im vorigen Jahre an diese Absatzgenossenschaften ihren Wein geliefert haben, bis jetzt kaum ein Drittel ihres Geldes bekommen haben. Die meisten Winzer sind deshalb völlig verschuldet. Wenn man mit zehn Winzern spricht, so kann man zehnmal die Meinung hören, daß das einlaufende Geld bei den Absatzgenossenschaften nur zur Bezahlung der Angestellten verwendet werde, die natürlich immer „alte Kämpfer“ sind und Gehälter bis zu 500 Mark erhalten.

Man kann ohne Übertreibung sagen, daß vier Fünftel der Bevölkerung die Judenhetze ablehnt. Zwar sind nach wie vor an fast allen Ortseingängen und Ausgängen Schilder angebracht mit der Aufschrift: „Juden sind hier unerwünscht“, auch gibt es nur ganz vereinzelt noch Mutige, die mit einem Juden freundnachbarlichen Verkehr pflegen - diese sind dann als Judenknechte geächtet - aber die ganz barbarischen Transparente wie „Todeskurve, Juden sind hier 120 Kilometer erlaubt“ oder „Juden betreten diesen Ort nur auf eigene Gefahr“ sind wieder verschwunden. Auch die „Stürmer“-Kästen, die nun auch in den allerkleinsten Orten auf gestellt sind, finden nur bei dem verrohten Teil der SA Anklang. Die jungen Leute sind immer dabei, wenn Juden ausgesungen werden sollen. Aber es gibt viele Eltern, die ihren Söhnen strikte verbieten, sich an der Sache zu beteiligen.

2. Bericht: Arbeiter, die den Boykott gegen die Juden nicht mitmachen, werden von den Amtswaltern der Arbeitsfront aus den Betrieben gedrängt, weil sie die „Betriebsgemeinschaft“ stören. Offiziell hat man das in Pirmasens beschlossen. Dieser Beschluß soll die Antwort auf den Boykott der Pirmasenser Schuhindustrie durch jüdische Schuhgeschäftsinhaber sein. Ein jüdischer Schuhhändler hat einem Pirmasenser Fabrikanten mitgeteilt, er könne nicht mehr wie früher in Pirmasens einkaufen, weil am Stadteingang ein Transparent: „Juden ist der Aufenthalt hier verboten!“ quer über die Straße gespannt ist. Solche Transparente findet man im Rheingau und im Odenwald fast überall. Sie werden von den Polizeibehörden geduldet, die nur den bestrafen, der ein solches Plakat beschädigt.

3. Bericht: In Herxheim am Berg (545 Einwohner) war ein jüdischer Viehhändler von einem Bauern aufgefordert worden, zum Verkauf bereites Vieh anzusehen. Der Viehhändler kam auch, wurde mit dem Bauern handelseinig und wollte Weggehen, um ein Fuhrwerk zu holen. Mittlerweile hatten sich vor dem Hause eine Anzahl Burschen zusarn-mengerottet, die den Viehhändler mit Hieben davonjagten. Ein gerade auf der Straße stehender anderer Bauer, der dem Schauspiel zusah, öffnete sein Hoftor, gab dem Juden Unterschlupf bis zum Abend und brachte ihn dann zu seiner Wohnung. Als der Bauer zurückkam, waren SA-Leute aus der ganzen Umgebung versammelt. Sie riefen erst im Sprechchor: „Heraus mit dem Judenknecht“ und drangen dann in das Haus ein, das sie vollständig demolierten. Die ganzen Möbel, alles Geschirr, alle Fensterscheiben wurden zerschlagen. Einige Demonstranten wurden in Haft genommen, aber nach 24 Stunden wieder freigelassen.

4. Bericht: Dem Wirt vom Dürkheimer Faß war auf Drängen der NSDAP gekündigt worden, weil er bei einem Juden Fleisch gekauft hatte. Der Wirt legte gegen diese Kündigung Beschwerde bei einem Schiedsgericht, bestehend aus Bürgermeister Imbt, Dürkheim, dem Dürkheimer Nazirechtsanwalt Ferkel und einem Wirt von Zweibrücken ein. Die Beschwerde wurde abgelehnt. Der Wirt sollte das Faß am 1.10. räumen. Die Kosten des Urteils betragen 8000 Mark zu Lasten des Wirts. Da aber bekanntlich Mitte September der berühmte Dürkheimer Wurstmarkt stattfindet, wollte man unter keinen Umständen den Wirt bis zum Oktober auf dem Faß lassen. Bürgermeister Imbt bekam jedoch vom Bezirksamt Neustadt den Bescheid, daß keine Handhabe bestehe, den Wirt früher an die Luft zu setzen. Imbt schrieb zurück, er werde Mittel und Wege dazu finden.

Einige Tage nach diesem Briefwechsel mit dem Bezirksamt Neustadt versammelten sich abends gegen 9 Uhr etwa 300 SA-Leute vor dem „Faß“ und machten mit Sprechchören und Rufen einen solchen Skandal, daß die Polizei „gezwungen“ war einzugreifen und das „Faß“ zu schließen. Die Metzgerei des Wirtes am Römerplatz wurde ebenfalls geschlossen.

Die SA zog nach dieser Heldentat in die Kellerei Schuster, dem Hauptinteressenten an dem ganzen Kesseltreiben. Dort wurden sie bewirtet. Nach Mitternacht zog der ganze Trupp vor das Haus des Juden Franz Löb und begann dort im Sprechchor: „Heraus mit dem Rassenschänder“ zu rufen. Ein durchaus glaubhafter Zeuge versichert, gehört zu haben, wie ein SA-Mann sagte: „Jetzt schießen wir und sagen dann, der Jude ist es gewesen.“ Tatsächlich fielen auch zwei Schüsse. Als sich auch darauf im Hause des Juden nichts rührte, kletterte man über den Gartenzaun, drang in das Haus ein, das von oben bis unten, allerdings resultatlos durchstöbert wurde, da Löb zufällig verreist war. Nachdem man etwa zwei Stunden randaliert hatte, kam endlich Polizei, die nur einen Steinwurf entfernt ihr Büro hat und ebenso gut, wie die Nachbarschaft, den Lärm gehört haben mußte. Festgenommen wurde natürlich niemand.

Baden, 1. Bericht: Während wir im Grenzgebiet bis vor kurzem nicht viel von einem Kampf gegen die Juden gemerkt haben, ist dies seit einigen Wochen anders geworden. Das Vorgehen gegen die Juden setzt mit einer Wucht ein, die geradezu überrascht hat. Man war allgemein der Ansicht, daß hier im Grenzgebiet eine gewisse Rücksichtnahme geübt werden würde, aber dies ist nicht der Fall.

Die Stimmung der Bevölkerung über das Vorgehen gegen die Juden ist verschieden. Während ein Teil davon natürlich begeistert ist, wird andererseits das Vorgehen von vielen verabscheut. Bis vor wenigen Tagen konnte man von einem geringeren Besuch der jüdischen Geschäfte nicht sprechen. Auf die scharfen Zeitungsartikel hin und auf die Drohungen, die Namen der Käufer in den Zeitungen zu veröffentlichen, haben es jedoch viele mit der Angst zu tun bekommen und getrauen sich nicht mehr in ein jüdisches Geschäft. Viele Beamte, die durch ihre Frauen die Einkäufe noch in diesen Läden machen ließen, haben nun nicht mehr den Mut dazu.

2. Bericht: Besondere Aktivität entfalten die Nazis in Müllheim. Einer der Haupttreiber in Müllheim ist der Zahnarzt Dr. Michel, der s. Zt. die Ortskrankenkasse um einige tausend Mark betrogen hat.

Die Nazis machen Propaganda für den Plan, den Juden keine Lebensmittel mehr abzugeben.

Am letzten Montag war Viehmarkt. Alle Leute, die sich mit Juden unterhielten, wurden durch die Nazis fotografiert; die Bilder wurden vergrößert und in öffentlichen Lokalen aufgehängt. Darüber entstand große Empörung. Der Viehmarkt war sehr schlecht besucht, die Bauern mußten ihr Vieh zum größten Teil wieder mit nach Hause nehmen. Als besondere Sensation hatte man eine Puppe als Juden ausgestopft, auf die solange eingehauen wurde, bis sie zerplatzte.

3. Bericht: Der Kampf gegen die Juden vollzieht sich mit aller Gemeinheit und Brutalität. Täglich kommen die unglaublichsten Dinge vor. Man muß sich wirklich fragen, ob wir denn eigentlich noch unter Kulturmenschen leben.

Der Anfang August stattgefundene Saison-Ausverkauf in Mannheim war der Zeitpunkt des schärfsten Boykotts. Plakate wurden geklebt, Posten aufgestellt und Käufer fotografiert. In die Verkaufsräume warfen die braunen Helden Stinkbomben und Niespulver und bildeten Sprechchöre: „Kauft nicht beim Juden“. „Wer beim Juden kauft ist ein Volksverräter“ usw.

Mit allen erdenklichen Schikanen wollten die Nazis den jüdischen Geschäftshäusern den Verkauf unmöglich machen. Die Aktion war jedoch so von Mißerfolg gekrönt, daß sich die Herren unsterblich blamiert haben. Es war der erste sichtbare Beweis, daß das Volk ihre großen Töne nicht mehr fürchtet. Die jüdischen Warenhäuser machten einfach glänzende Geschäfte. Schmoller und Rotschild mußten sogar zweimal in den 8 Tagen vorübergehend wegen Überfüllung schließen. Kurzum, die Aktion ist von der Bevölkerung gut pariert worden.

Seit dem 28. August haben alle Mannheimer Gaststätten das Plakat: „Juden sind unerwünscht“ an den Fenstern angebracht. Gesetz ist es nicht, aber wer es nicht anbringt, ist ein Saboteur und hat zu erwarten, daß er in Haft kommt. So hat sich der Inhaber des großen Mannheimer Speiselokals „Zur Landkutsche“, J. Schlipf, gewehrt, das Plakat anzubringen, weil er zahlreiche jüdische Besucher hat infolge der Nähe der Börse. An Börsentagen speisten dort immer 100 bis 120 Nichtarier zu Mittag. Am 2. August zog daraufhin eine „erregte Volksmenge“ vor das Lokal und nahm den Wirt in Haft. Das Ergebnis: der Wirt hat 120 gute Gäste verloren. Zwei Kellner wurden arbeitslos und die Lieferanten des Wirtes auftragslos. Aber: die nationale Ehre ist gerettet.

Etwas anders ist eine ähnliche Aktion in Hockenheim, Amt Mannheim, verlaufen. Die Eheleute Karl Seitz betreiben dort schon seit 22 Jahren das „Hotel zur Kanne“. Unter den Stammgästen befinden sich viele jüdische Zigarrenfabrikanten. Am 10. August verlangte der Bürgermeister von Hockenheim von der Wirtin, daß sie von nun an den Juden das Lokal verbiete. Die Frau antwortete, daß sie dies nicht tun werde, da die Leute vielfach schon seit 20 und mehr Jahren bei ihnen verkehren. Daraufhin wurde der Bürgermeister tätlich gegen die Frau und schlug sie ins Gesicht, so daß sie aus Mund und Nase blutete. Der Wirt sprang hinzu und traktierte den Bürgermeister mit einem Gummiknüppel, darart, daß er 8 Tage das Bett hüten mußte.

Die große Mehrheit der Bevölkerung hat sich über das blaue Gesicht ihres Stadtoberhauptes köstlich gefreut. Der Wirt hatte von der Stunde an ein noch besseres Geschäft.

4. Bericht: Die amtlich angeordnete Judenhetze der letzten Wochen wird mit den aufreizendsten Propagandamitteln in Bewegung gesetzt. Trotzdem kann schon jetzt gesagt werden, daß diese Judenschlacht das Schicksal der Arbeitsschlacht teilen wird. Das heißt, außer einer vorübergehenden Ablenkung und einer Beruhigung der braunen Kämpfer wird nichts herauskommen, weil der überaus größte Teil der Bevölkerung diesem Treiben absolut teilnahmslos gegenüber steht, es zum Teil sogar scharf abweist.

5. Bericht: Der derzeitige Oberbürgermeister von Freiburg, Pg. Dr. Kerber, früher Weinhändler, läßt alle städtischen Beamten einen Revers unterschreiben, daß sie und ihre Angehörigen nichts bei Juden kaufen, sonst würde fristlose Entlassung erfolgen. Ebenso sei das Grüßen von Juden verboten.

6. Bericht: In Randegg wurde am 31. 8. der jüdische Pferdehändler Karl Weil wegen Rassenschande festgenommen. Über sein Schicksal erfuhr man erst etwas, als er in das Singener Krankenhaus eingeliefert wurde und von dort wegen der schweren Verletzungen in die Freiburger Klinik kam. Nach den Berichten der Randegger wurde vor seinem Hause eine Demonstration veranstaltet, bei der er, als er sich durch eine Stalltüre hinten am Hause retten wollte, von SA-Leuten angeschossen wurde. Die nahen Schweizer Zeitungen griffen den Vorfall auf und stellten den Sachverhalt dar. Die Naziblätter versuchten zunächst, diesen Terrorfall zu bagatellisieren; erst nach 10 Tagen veröffentlichte die „Bodensee Rundschau“ einen langen Artikel, in dem behauptet wurde, K. Weil sei von einem Beamten verhaftet, habe jedoch einen Fluchtversuch unternommen. Im Artikel heißt es weiter: „Er lief selbst nach Abgabe eines Schreckschusses weiter. Erst ein zweiter Schuß in den rechten Unterarm brachte ihn zum Stehen. Der Jude Weil wurde darauf sofort nach Singen überführt. Hier stellte sich heraus, daß er außer der Armverletzung auch eine Schußverletzung an der Hüfte davongetragen hatte.“ Diese Darstellung wird angezweifelt. Die Leute sagen allgemein, wenn es so wäre wie es im Zeitungsartikel steht, dann hätte man schon am anderen Tage etwas erfahren.

Hessen, 1. Bericht: Der Kampf gegen die Juden wird mit allen Mitteln fortgesetzt. Jetzt wird auch die Hitlerjugend in diesen gehässigen Kampf eingespannt. Die Kinder werden auf ein Lastauto geladen und schreien im Sprechchor: „Juda verrecke“. Oder sie marschieren durch Straßen, in denen Juden wohnen und singen: „Wenn das Judenblut vom Messer rinnt, dann gehts noch mal so gut.“, oder das andere „Kampflied“: „Köpfe rollen, Juden heulen“. Die Kaufmannslehrlinge werden für den Berufskampf im Maschinenschreiben ausgebildet, indem sie unendlich oft Zettel mit folgendem Inhalt schreiben müssen: „Haltet die Anlagen und die Bäder frei von jüdischem Ungeziefer, denn es ist schlimmer als die Wanzen.“ Natürlich müssen die Zettel auch verbreitet werden und diese Verbreitung bereitet dann die bekannten Ausschreitungen vor. Die so angestachelten Rowdy-Instinkte toben sich aber nur an den proletarischen Juden aus, an die gutgekleideten, wohlhabenden Juden getraut man sich nicht heran. Denen wird höchstens einmal ein halblautes Schimpfwort nachgerufen, wenn sie außer Hörweite sind.

2. Bericht: In Frankfurt ist ein Streit um den „Stürmer“ und seinen Vertrieb entstanden. Die Veranlassung dazu gab folgender Vorfall: Der „Stürmer“ veröffentlichte in der Nr. 19 den Faksimileabdruck einer Rechnung des jüdischen Schuhgeschäfts Speyer an die Stadt Frankfurt für Schuhe an Wohlfahrtsempfänger. Oberbürgermeister Krebs verlangte, daß der Vertrieb dieser Stürmernummer in Frankfurt verboten werde; Polizeipräsident Beckerle entsprach diesem Verlangen jedoch nicht. Krebs forderte nun ein Verbot, den „Stürmer“ öffentlich anzuschlagen, aber auch das wurde vom Gauleiter Sprenger abgelehnt. Nun hat der Oberbürgermeister den Zeitungen eine Richtigstellung übersandt und die ihm unterstellten Behörden angewiesen, die Aushängekästen von den städtischen Plätzen zu entfernen.

3. Bericht: In Wiesbaden wird die Entjudung der Geschäftswelt mit allem Nachdruck betrieben. Jetzt ist das bekannte Kaufhaus Blumental in den Besitz des bisherigen Rayonchefs Krüger (SA-Sturmführer) übergegangen. Das Modenhaus Herz übernahm der Geschäftsführer Bender. Das Modenhaus Gutmann der Reklamechef Gibbrich. Wo diese Angestellten auf einmal das Geld herhaben, ist unbekannt geblieben. Im Kaufhaus Blumental wurden sofort etwa 50 Angestellte, darunter 17 Juden, gekündigt.

In der Wagmanstraße betreibt der Amtswalter der PO., Beckel, die Entjudung. Er selbst übernahm eine jüdische Althandlung und wurde jetzt wegen Hehlerei zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.

Die Frau des verstorbenen Juden Rosenblum wurde von dem gleichen „Amtswalter“ Beckel zur Zahlung einer größeren Summe Geldes an die NSV veranlaßt. Dafür erhielt sie ein Schild „Deutsches Geschäft“, das sie an der nun auf die Firma Gertrud Binner (Mädchenname) umgetauften Firma Rosenblum angebracht hat. Es geht eben alles.

4. Bericht: In Wetzlar wurde kürzlich folgendes Plakat angeschlagen, das von der SA-Standarte 88 ausgegeben wurde.

5. Bericht: In Oberursel, einem Städtchen des vorderen Taunus, wurde wie in so vielen anderen Städten und Dörfern, ein Transparent über die Straße gespannt mit der Inschrift: „Juden sind hier unerwünscht!“ In Oberursel befindet sich die Maschinenfabrik Turner A.G., die in der letzten Zeit umfangreiche Auslandsaufträge hereinbekommen hat und erhebliche Neueinstellungen von Arbeitskräften vornehmen konnte. Wie nun bekannt wurde, haben Vertreter ausländischer Firmen Anstoß an dem Transparent genommen und mit der Annulierung der Aufträge gedroht, wenn das Transparent nicht beseitigt würde. Der Direktor der Maschinenfabrik wurde beim Bürgermeister in Oberursel vorstellig, jedoch ohne Erfolg. Da das Transparent inzwischen jedoch entfernt wurde, wird angenommen, daß eine Intervention bei Sprenger erfolgt ist.

6. Bericht: Die „Gaubeilage“ des „Aufbaus“ für Hessen-Nassau (Nachrichtenblatt der NSDAP, der NS-Hago und der DAF) veröffentlichte am 15. 6. 35 einen Leitartikel: „Judenschwindel“, der gegen das große Berliner Warenhaus Wertheim A.G. gerichtet war. Die Gauamtsleitung Schlesien der NS-Hago habe, so wurde berichtet, festgestellt, daß sich die drei Wertheim-Gesellschaften „Judenknechte“ gekauft haben, um die jüdische Aktienmajorität zu tarnen. In dem offiziellen Artikel wurde von „jüdischen Großgaunern“, „schmutzigen Geschäften“, „falschen Vorspiegelungen“, „grinsenden Judenfratzen“ usw. gesprochen. Die nächste Folge dieser „Gaubeilage“ (15. 7. 35) enthält folgende [obenstehende] Mitteilung der Gauleitung, Amt NS-Hago:

„Wie wir von zuständiger Seite erfahren, werden . . . erneute Feststellungen hinsichtlich der Besitzverhältnisse der Firmen Wertheim A.G., A. Wertheim G.m.b.H., Wertheim Grundstücks-Gesellschaft getroffen. Bis zum Abschluß dieser Feststellungen haben Propagandamaßnahmen gegen die genannten Gesellschaften unter Hinweis auf die nichtarische Eigenschaft der Wertheim-Firmen zu unterbleiben."

7. Bericht: Den städtischen Arbeitern und Beamten in Worms wurde mit Entlassung gedroht, wenn sie bei Juden kaufen. Auf dem Lande droht man den Erwerbslosen mit dem Entzug der Unterstützung, wenn sie beim Juden einkehren. Trotzdem sind die Judengeschäfte die bestbesuchtesten. Die Bevölkerung sieht in diesen Machenschaften der Nazis nur den Konkurrenzneid der christlichen Händler. Kürzlich wurde eine private Schwimmanstalt, die nur von Juden besucht wird, gestürmt und die Badenden aus der Anstalt getrieben. Der christliche Besitzer kam einige Tage in Schutzhaft, weil er sich gegen diese Vorkommnisse auflehnte.

Man kann feststellen, daß die Judenhetze nur in den primitivsten Gehirnen Wurzel gefaßt hat. Die anständige Bevölkerung lehnt diese Hetze ab.

Rheinland, 1. Bericht: Man sucht die Massen durch Judenhetze und andere Mätzchen abzulenken. Aber es ziehen auch nicht einmal mehr die überall angebrachten „Stürmer“-Kästen. Allmählich geht allen ein Licht auf. Ein Beispiel: in einem kleinen Städtchen unseres Bezirkes werden zwei Juden wegen „Rassenschande“ verhaftet. In der ganzen Stadt klebt man rote Plakate an und macht die Bevölkerung auf dieses fluchwürdige Verbrechen aufmerksam. Und was ist die Wahrheit? Zwei jüdische Viehhändler sitzen in einer Wirtschaft bei einem Glase Bier. SA-Leute fangen an, sie zu belästigen, es entsteht eine Keilerei, die mit einer Niederlage der SA-Leute endet. Die beiden Juden aber werden wegen Rassenschande verhaftet. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen der Rassenschande eingestellt, die roten Plakate aber hängen noch immer. Allerdings haben unsere Genossen dafür gesorgt, daß die Wahrheit bekannt geworden ist.

2. Bericht: Die Judenhetze wird übrigens nur von einem ganz kleinen Kreis mitgemacht. Das Volk verabscheut diese Sache und oft stehen die Leute demonstrativ Schlange beim jüdischen Fleischer oder kaufen beim jüdischen Kleider- oder Tuchhändler. Die Judenhetze verfehlt jedenfalls, von den Dummen bei den Nazis abgesehen, ihre Wirkung vollkommen.

Westfalen, 1. Bericht: Der jüdische Lehrer N. wurde wegen angeblicher Rassenschändung verurteilt. Nachgewiesen konnte ihm nichts werden. Trotzdem wurde er zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt. Der arische Verteidiger, der Freispruch beantragt hatte, bekam am folgenden Abend sein Ständchen von der SA. Eine Puppe, die das Aussehen eines Juden hatte, wurde beim Umzug mitgeführt. Nachdem man vor dem Hause des Anwalts großen Tamtam gemacht hatte, wurde kontrolliert, ob auch Fotografien davon angefertigt worden waren. Es erging der Befehl, alles zu beschlagnahmen. Die Puppe wurde am anderen Tage vor der Synagogentür gefunden. Der Anwalt wird öffentlich boykottiert.

Auf den Wochenmärkten dürfen die Juden nicht mehr kaufen. Es sind Transparente aufgestellt: „Juden betreten den Marktplatz auf eigene Gefahr.“

In einem großen Dorf hängt an sämtlichen Häusern das Schild: „Juden ist der Eintritt in meinem Hause verboten.“ Nur beim Arzt und beim Pfarrer sind diese Schilder nicht angebracht. Diese beiden Leute stehen auf der schwarzen Liste. Die meisten Bewohner haben das Schild unter Zwang angebracht.

Wie es gemacht wird, zeigt folgender Vorfall: In die Sprechstunde eines jüdischen Arztes kommen zwei Patientinnen zu gleicher Zeit ins Sprechzimmer. Sie fallen dem Arzt um den Hals und küssen ihn. Der Zweck war lediglich, den Arzt der Rassenschändung beschuldigen zu können. Es schwebt nun ein Verfahren gegen ihn. Dieser Arzt war im Kriege Frontkämpfer und Offizier.

2. Bericht: Trotz der anderslautenden Meldungen der Nazipresse geht die Hetze unvermindert weiter. Sie nimmt geradezu groteske Formen an. Das schlimmste ist die durch diese Hetze hervorgerufene Rechtsunsicherheit. Den Nazis selbst wird diese Entwicklung nun auch schon zu bunt. So haben die Judengesetze von Nürnberg in Nazikreisen eine sehr geteilte Aufnahme gefunden. Uns sind zahlreiche Nationalsozialisten bekannt, die auf diese Ausnahmegesetze schimpfen. Sie sagen z. B., Hitler läßt sich von dem wahnsinnigen Streicher immer weiter ins Unglück führen. Natürlich gibt es in der SA und der NSDAP Kreise, die für den Radauantisemitismus noch sehr zu haben sind. Einige Beispiele dafür:

In E. in Westfalen verhaftete man den jüdischen Metzger W., weil er verdorbenen Speck außerhalb seiner Wurstküche in einem Korb stehen hatte. Man stellte ihn neben seinen Korb vor seinem Geschäft in einer Hauptverkehrsstraße auf, mit einem Schild auf der Brust, daß er ein Schwein und großer Dreckfink sei. Am anderen Tag wurde er dem Schnellrichter vorgeführt. Urteil: drei Monate Gefängnis, 500 Mark Geldstrafe und dauernde Schließung des Geschäfts.

Der jüdische Viehhändler P. aus demselben Ort wird verhaftet. Grund: er soll schwarz und koscher geschlachtet haben. Nach 14tägiger Untersuchungshaft wird er vom Landgericht freigesprochen und sofort auf freien Fuß gesetzt. Am Abend seiner Freilassung demonstrieren vor seinem Haus in E. etliche, 50 bis 60, SA- und SS-Leute, die man dahin dirigiert hatte und - der Jude wurde in Schutzhaft genommen.

Auf den Märkten in westfälischen Städten sind Schilder angebracht: „Juden betreten den Markt auf eigene Gefahr.“ So schafft man sich die unbequeme Konkurrenz vom Leibe. Daß den Juden des Nachts die Fensterscheiben mit Pech, Teer oder Kot beschmiert werden, gehört zu den Alltäglichkeiten.

Wenn man dann jeden Tag in der Nazipresse die Unschuldsbeteuerungen aller möglichen und unmöglichen Parteistellen der Nazis lesen muß, steigt einem angesichts der Tatsache, die man alltäglich erleben muß, ein Ekel auf. Manchmal schämt man sich tatsächlich, ein Deutscher zu sein. Ein Glück nur, daß dieses Gesindel nicht allein Deutschland darstellt.

Einer der Haupthetzer in F. ist der Metzger M. P. Er hat im Jahre 1926 dem Juden L. in G. eine Kuh von der Weide gestohlen und dafür D/i Jahr Gefängnis abgesessen. So sind diese Burschen alle, alle: Heuchler, Pharisäer, Diebe und Hehler, wie sie im Buche stehen.

3. Bericht: Im westfälischen Industriegebiet werden in den Schaufenstern der Geschäfte mehr aus Angst als aus Überzeugung antijüdische Plakate angebracht. In den „Stürmer“-Kästen hängen zahlreiche Abbildungen der Leiter der russischen Politik. Es werden u. a. Lenin und Stalin als Juden in einer niederträchtigen Karikatur gezeigt. Dazu sind Inschriften angebracht, die auf die Verjudung des Bolschewismus hin-weisen. Während die deutsche Regierung gegen Hitlerkarikaturen im Ausland Beleidigungsklagen durchführt, lassen sich die Bolschewisten ohne Gegenwehr beleidigen.

Nordwestdeutschland, 1. Bericht: Der jüdische Schlachter Moritz De Vries in Weener ist in Schutzhaft genommen worden, weil er sich über verschiedene Unterschlagungen und andere Skandale in der Stadt beschwerdeführend an den preußischen Ministerpräsidenten Göring gewandt hat. De Vries ist inzwischen in das Konzentrationslager Börgermoor gebracht worden.

In Papenburg (Emsland) haben einige SA-Leute den jüdischen Viehhändler Sigmund Windus, dem sie den Beinamen „Teddybär“ gegeben haben, auf der Straße aufgegriffen, um sich ein Vergnügen zu machen. Der Jude erhielt ein großes Schild um den Hals: „Deutsche kauft bei Juden. Wir versuchen inzwischen, wie ich, Talmudjude Sigismund, eure Frauen zu schänden.“ Dann zwang man ihn, eine große Trommel zu schlagen, während er durch die Straßen Papenburgs getrieben wurde. Als der Umzug beendet war, verhaftete die Polizei den Mißhandelten. Die Polizei gab am nächsten Tage in der Presse bekannt: „W. soll sich kürzlich schuldig gemacht haben, eine Arbeiterfrau zu belästigen. Mehrere derartige Vorfälle gegen arische Frauen und Mädchen von ihm sind bekannt, so daß es für die Umgebung eine Erleichterung war, als er verhaftet wurde.“

Auf dem wöchentlichen Viehmarkt in Weener ist jetzt eine Stelle reserviert, die durch ein Schild gekennzeichnet ist: „Platz für Juden.“ Hier können jüdische Viehhändler ihr Vieh anbieten. Doch wird dieser Platz so überwacht, daß sich niemand an diese Ecke heranwagt.

Auf dem Viehmarkt in Leer, dem größten Markt dieser Art in ganz Ostfriesland, ist jetzt ein Teil abgezäunt und durch Schilder als Standplatz für jüdische Händler bezeichnet.

Vor einigen Tagen kam ein jüdischer Reisender nach Borkum. Der Mann stammte aus Eisenach. In wenigen Stunden hatte die SA einen Umzug organisiert, der den Juden aus dem Hause holte und durch den Badeort trieb, bis ihn die Polizei verhaftete.

In Jemgum (Ostfriesland) erschien am Freitag, dem 20. September 1935, vor dem Hause eines jüdischen Schlachters ein Möbelwagen. Nachfragen ergaben, daß die Möbel dem Schwiegersohn des Schlachters gehörten, der aus einer anderen Stadt in das Haus seines Schwiegervaters übersiedeln wollte. Innerhalb kurzer Zeit wurde der gesamte Nazianhang dieses Dorfes unter Führung der SA auf die Beine gebracht, vor dem Hause des Schlachters zusammengeholt und durch die SA zur Demonstration veranlaßt. Nach einem längeren Radau vor dem Hause, wobei sämtliche Fensterscheiben eingeworfen wurden, erschien der Bürgermeister des Ortes und forderte die Parteigenossen auf, sich ruhig zu verhalten, bis er mit dem Schlachter gesprochen hätte. Er begab sich dann in die Wohnung des jüdischen Schlachters und kam nach kurzer Zeit zurück. Darauf erklärte er seinen wartenden Freunden, daß dem A32 Schwiegersohn verboten worden sei, hier in Jemgum bei seinem Schwiegervater Wohnung zu nehmen. Der Mann habe versprochen, noch am gleichen Abend weiter zu ziehen. Lautes Gejohle und Beifallsrufe beantworteten die Ausführungen des Bürgermeisters. Die Demonstranten warteten, bis Polizei erschien und den Schwiegersohn aus dem Hause holte, ihn in die Mitte nahm und zur Emsfähre brachte. Einige hundert Demonstranten begleiteten den Zug bis zur Fähre. Lautes Schimpfen auf den Juden und polizeiliche Verwarnungen an den aus dem Ort Geworfenen bildeten den Abschluß dieses Falles.

2. Aus einem Reisebericht: Für die SA sind die antisemitischen Demonstrationen, die ich in einer Reihe von Orten erlebte, geradezu Volksbelustigungen. Große Lastwagen durchkreuzen die Straßen. SA in voller Uniform mit ihren Fahnen haben die Wagen besetzt. Die Seitenwände der Wagen sind mit Aufschriften widerlichster Art und verzerrten Judenköpfen „geschmückt“. Man erlebt auch immer wieder Umzüge von SA-Gruppen, die einen Juden mit einem Schild vor sich hertreiben, ihn schlagen und bespucken. Straßeneinfahrten in den Städten sind ganz allgemein mit antijüdischen Warnungsschildern versehen. So etwas fällt nicht mehr als Ausnahme auf. Auf diesem Gebiet nationalsozialistischer Tätigkeit fehlt mir gegenüber meinem vorjährigen Besuch jeder Vergleich. Die damalige Antisemitenhetze stand in keinem meßbaren Vergleich zum heutigen Betrieb. Trotzdem kennt der Antisemitismus keine Konsequenz in der Ablehnung der Juden. Ein Beispiel: Während der Leipziger Messe fahre ich in einem Coupee mit zwei Ausstellern, die aus Leipzig zurückkamen und infolge des schlechten Geschäftsganges ihre Plätze vorzeitig aufgegeben hatten. Ehe sie von ihren Geschäften gesprochen hatten, wurde eine wüste antisemitische Walze gedreht. Als sie von den schlechten Geschäften sprachen, erklärten sie mit neuer Wut gegen die Juden, daß vor allem deren Kaufunlust zu dem schlechten Messeergebnis geführt hätte. Es fiel mir schwer, desinteressiert zu bleiben. Die Leute konnten nicht so weit denken, daß boykottierte Juden infolge Absatzmangels kaufunfähig sind und bleiben müssen. Ein Trost war, daß der weitere Verlauf der Unterhaltung bei der Kritik gegen die Juden nicht Halt machte. Mit derselben Wut erklärten die enttäuschten Aussteller, daß man die Journalisten umbringen müsse, die sie durch rosarote Berichte zur Teilnahme an der Leipziger Messe verleitet hätten.

Pommern: Der Landesbauernführer Bloedorn hat nachstehenden Aufruf an die pommersche Landbevölkerung erlassen:

Berlin, 1. Bericht: Der Judenboykott wird nach wie vor betrieben, wenn es auch nicht mehr zu offenen Ausschreitungen kommt. Ein Ort nach dem anderen in der Umgebung von Berlin schließt sich jetzt durch Plakate und Verbote dem Vorgehen vieler anderer deutscher Gemeinden an: Juden wird der Zuzug verboten, Juden dürfen keine Grundstücke erwerben, Juden werden nicht beherbergt und an Juden wird nichts verkauft.

Auch die schriftliche Propaganda gegen die Juden hat von den Vororten Berlins Besitz ergriffen. So ist an dem Zaun des Altersheims in Blankenfelde eine riesengroße Inschrift angebracht: „Setzt euch in Marsch, sonst treten wir Euch . . .“

In Berlin tragen jetzt auffällig viel Geschäfte den Vermerk: „Rein arisches Unternehmen“, oder „Deutsches Geschäft“. Auch in den Inseraten wird vielfach darauf hingewiesen, daß es sich um arische Geschäfte handelt. So inserieren vor allem die großen Schuhfirmen (Leiser usw.) ständig mit diesem Zusatz. In der „Morgenpost“ sind nach der Verkündung der Judengesetze spaltenlang Anzeigen über Anzeigen erschienen, in denen Dienstmädchen über 45 Jahre gesucht werden.

2. Bericht: Die NS-Volkswohlfahrt Prenzlauer Berg in Berlin zeichnet sich durch einen besonders „radikalen“ Mitarbeiterstab aus. Verschiedene Ortsgruppen, vor allem die Ortsgruppe „Flandernsiedlung“ (früher Carl-Legien-Siedlung der Gewerkschaften), beschäftigen sich auch mit der Vernichtung der „Judenknechtschaft“. In dem Bezirk, der nördlich an den Alexanderplatz angrenzt, wohnen viele Ostjuden als kleine Händler und Handwerker. Gemeinsam mit der NS-Frauen-schaft, zu der sonst ein etwas gespanntes Verhältnis besteht, wurde in den Monaten Juli, August und September eine Art Späherdienst aus jüngeren weiblichen Mitarbeitern, vor allem „höheren Töchtern“ der dort wohnenden kleinen Beamten und mittleren Angestellten organisiert, um besondere Schandtaten der „jüdischen Bestien“ aufzudecken.

Die Stürmerkasten des Stadtteils enthielten außer der Zeitung regelmäßig noch Privatphotographien von „Judenknechten“, d. h. Arbeiterfrauen, die bei jüdischen Händlern kauften, mit Unterschriften wie; „Diese deutsche Volksgenossin trägt noch deutsche Arbeitergroschen zum Juden!“ oder „Ihr Mann hat durch den Führer Arbeit bekommen, sie aber kauft beim Juden!“ NS-Frauenschaft und NSV zogen auch gemeinsam zum Schwimmbad Lichtenberg, um dort Pärchen auszukundschaften, deren eine Hälfte schwarz - deren andere blondhaarig war. In einzelnen Fällen wurden auch Nichtjuden von diesen „Aktionen“ betroffen und aus der Badeanstalt herausgejagt.

Ein 15jähriger jüdischer Schüler hatte eine harmlose Kinderfreundschaft mit einem 13jährigen „arischen“ Mädchen. Möglich, daß sich die beiden auch mal geküßt haben. Von Schülerinnen der höheren Klassen wurde auf Weisung der NSV-Damen eine „Razzia“ auf das Pärchen veranstaltet, d. h. die beiden wurden auf dem gemeinsamen Schulweg beobachtet, verfolgt und belästigt. Eines Tages hielten es die beiden nicht mehr aus und flüchteten sich in einen Hausflur. Sofort wurde die Polizei gerufen, die die beiden verängstigten Kinder hervorzog. Ein „Stürmer“-Photograph war auch gleich zur Stelle und knipste den „vertierten jugendlichen Wüstling“. Den Eltern des 13jährigen Mädchens wurde auf Betreiben der NSV das Sorgerecht über ihr Kind entzogen; bis zur Einweisung in ein öffentliches Erziehungsheim wurde sie von NSV-Funktionärinnen „liebevoll betreut“, und unter den schamlosen Suggestivfragen „gestand das Mädchen weinend“ (laut „Stürmer“), in dem Hausflur von dem 15jährigen Wüstling in nicht wiederzugebender Weise vergewaltigt worden zu sein. „Wieder ist eine arische Mädchenblüte der sinnlosen Gier Judas zum Opfer gefallen . . .“ usw. - Der Junge wurde verhaftet, von der NSV wurde durch eilends verfertigte Handzettel „eine spontane Kundgebung“ zusammengerufen. Man vollführte vor der Wohnung der Eltern des Schülers solche Szenen, daß diese sich in den Schutz der herbeieilenden Polizei begeben und ihre Wohnung räumen mußten.

Mitteldeutschland, 1. Bericht: Selbst in den kleinsten Geschäften der Städte der Magdeburger Ebene hängen im Schaufenster jetzt große Schilder mit der Aufschrift: „Juden unerwünscht“, was schließlich auf eine einfache Art der Aushungerung der Betroffenen hinausläuft. Die gleichen Schilder hängen in jedem Tramwagen auch der Magdeburger Straßenbahn, so daß von „Rechts“ wegen im Dritten Reich die israelitischen Mitbürger sogar vom Straßenbahnfahren ausgeschlossen sind. In Köthen, immerhin einer Stadt von 26 600 Einwohnern, dürfte sich heute überhaupt kein Jude mehr aufhalten. Die Leute sind zum Teil Hals über Kopf abgereist. Kein Mensch weiß recht, wohin im einzelnen.

2. Bericht: Der Stadtrat von Schleiz in Thüringen hat vor kurzer Zeit einen Beschluß gefaßt, wonach Grundstücke nicht mehr an Juden verkauft werden dürfen. Ferner erhalten Handwerker oder sonstige firmen keine öffentliche Arbeiten mehr, sofern sie in ihrem Betriebe Juden beschäftigen oder sonst mit Juden in geschäftlicher Verbindung stehen.

Sachsen, 1. Bericht: Die Judengesetze werden nicht sehr ernst genommen, denn die Bevölkerung hat andere Sorgen und ist zumeist der Ansicht, daß der ganze Judenrummel nur veranstaltet wird, um die Menschen von anderen Dingen abzulenken und der SA Beschäftigung zu geben. Man darf aber nicht meinen, daß die Judenhetze nicht auch die gewollte Wirkung auf viele Menschen habe. Im Gegenteil, es gibt genug Leute, die im Banne der Judenverfemung stehen und die Juden als die Urheber manchen Mißstandes betrachten. Sie sind zu fanatischen Judengegnern geworden. Diese Feindschaft äußert sich vielfach in der Form, daß man Volksgenossen wegen ihres Verkehrs mit Juden bespitzelt und denunziert, wohl auch in der Hoffnung, dafür bei der Partei Anerkennung und Bevorzugung zu finden. Die Massen der Bevölkerung ignorieren aber die Judendiffamierung, sie kaufen sogar mit demonstrativer Vorliebe in jüdischen Warenhäusern und nehmen gegen die kontrollierenden SA-Posten, vor allem, wenn diese photographieren wollen, eine recht unfreundliche Haltung ein.

2. Bericht: Die Judenhetze macht sich auch in Zwickau bemerkbar. Des öfteren fahren Lastwagen, auf denen SA-Leute verfrachtet sind, durch die Straßen. Die SA-Leute schreien im Chor: „Kauft nicht bei Juden“, „Die Juden sind unser Unglück“, „Juda verrecke“ usw. Im Zusammenhang damit werden auch Kontrollen der Käufer in jüdischen Geschäften vorgenommen. Den Beamten ist in einem neuen Erlaß strengstens verboten worden, in jüdischen Geschäften Einkäufe vorzunehmen. Die Folgen dieser Maßnahmen und der Hetze sind, daß tatsächlich die Umsätze der jüdischen Geschäfte empfindlich zurückgehen. Viele Kunden getrauen sich aus Angst nicht mehr, in diese Geschäfte zu gehen. Der „Stürmer“ wird in allen Bezirken plakatiert. Aber es ist nicht zu beobachten, daß ihm besondere Aufmerksamkeit gewidmet würde.

3. Bericht: Infolge der Judenhetze ist der Geschäftsverkehr bei allen jüdischen Geschäften in Zwickau außerordentlich stark zurückgegangen. Der Arbeiterschaft bei den Horchwerken wurde durch Anschlag bekanntgegeben, daß jeder, der in jüdischen Geschäften einkauft, mit der sofortigen Entlassung rechnen müßte. Eine ebensolche Anweisung hat auch die Zwickauer Stadtverwaltung an ihre Arbeiter und Beamten ergehen lassen.

Anfang August fand in dem Gartenrestaurant „Waldfrieden“ bei Mehlteuer ein Waldfest der Plauener Firma Tietz statt. Während des Festes erschien auf einmal ein Auto mit SA und Amtswaltern von Plauen, die alle jüdischen Angestellten vom Platze wiesen.

Der jüdische Reisende X. einer auswärtigen Firma hatte seine Kunden besucht und wollte in Plauen übernachten. Er wurde überall abgewiesen, da man dem Nichtarier kein Hotelzimmer zur Verfügung stellen wollte. Er war gezwungen, in seinem Auto auf dem Parkplatz am Markt zu schlafen.

In der Bekämpfung der Juden, insbesondere der jüdischen Firmen in Crimmitschau, spielt der Maschinenschlossereibesitzer Max Arnold eine führende Rolle. Er hat Kinder angestiftet, im Kaufhaus Schocken Stinkbomben zu werfen. Gegenwärtig photographiert er von seiner, dem Kaufhaus Schocken gegenüberliegenden Wohnung, die Kundschaft dieses Kaufhauses. Aber alle seine Bemühungen waren bisher nicht erfolgreich. Auch das bei der Firma Schocken über die Straße gezogene Transparent: „Warum denn zum Juden laufen, beim Volksgenossen sollst Du kaufen!“ hat nicht die geringste Wirkung gehabt.

4. Bericht: In Freiberg i. Sa. ist die Polizei gegen den Judenboykott eingeschritten. Das dortige Kaufhaus Schocken (Stammhaus in Chemnitz) beschäftigt arisches Personal, der Lagerleiter ist „alter Kämpfer“. Dieser ist zur Polizei gelaufen und hat das Einschreiten verlangt, worauf die Polizei die Boykottposten von ihren Plätzen verwiesen hat. Das Kaufhaus hat jetzt erhöhten Umsatz.

In Radeberg i. Sa. bei Dresden war an das Schaufenster eines jüdischen Geschäftes mit Ölfarbe geschmiert worden: „Joseph verrecke!“ (Der Geschäftsinhaber heißt mit Vornamen Joseph) Am anderen Morgen stand neben der Aufschrift nur das Wörtchen: „welcher?“

Den ausgegebenen Formularen für Anträge zur Winterhilfe lagen in Dresden gedruckte Zettel bei mit der Aufschrift: „Wer bei Juden kauft, ist von der Winterhilfe ausgeschlossen!“

Schlesien: Beiliegend eine Aufnahme des Bades in Krummhübel mit der Verbotstafel für Juden. In scharfen Kurven stehen hier auch Tafeln, auf die mit roter Farbe geschrieben ist: „Juden und Nichtarier dürfen mit 120 km fahren.“

Im Kreis Frankenstein in O. Schles. wird der Judenboykott besonders scharf durchgeführt. Es gibt kaum noch einen Ort, an dem nicht an den Eingängen Tafeln mit der Aufschrift: „Juden ist das Hausieren und Betreten dieser Gemeinde verboten“ angebracht sind.

In Bischofswalde lebt ein jüdischer Drogist. Vor seinem Laden ist täglich ein ziviler Posten aufgestellt. Die nichtjüdischen Käufer werden bis in ihre Wohnungen verfolgt. Am nächsten Tage bekommen sie eine Vorladung zur Parteistelle und erhalten dort eine Verwarnung, nicht wieder bei dem Juden zu kaufen.

In Ziegenhals ist dem Tuchjuden Spitz das Geschäft geschlossen worden, weil er zu seinen Kunden gesagt hat, sie sollen sich mit Stoffen eindecken, da die Stoffe sehr knapp werden.

Am 26. September wurde in Neiße der Jude Franz Leipziger (ehemaliger Besitzer einer Mälzerei aus Patschkau) zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Grund dafür ist: In einer Zeitung wurde eine wüste Mordgeschichte geschildert, die Juden an zwei jungen Männern begangen haben sollen. Leipziger las den Artikel im Kaffeehaus Schneider in patschkau. Gegenüber Bekannten, die am gleichen Tisch saßen, bemerkte er, das sei ein aufgelegter Schwindel, der allzu greifbar nur zur Judenhetze beitragen solle. Ein am Nebentisch sitzender Fremder ließ l. im Kaffeehaus verhaften. Das war Mitte August. Leipziger ist schwerkriegsbeschädigt. Er war verschüttet und hat dadurch Nervenzucken im Gesicht zurückbehalten.

In der Breslauer Ahornallee ist eine Villa versteigert worden. Der Wert des Hauses war mit 40.000 Mark angegeben. Interessenten waren ein SA-Sturmführer und ein Jude. Der Jude bot vor Eröffnung der Versteigerung 45 000 Mark an. Bei der Eröffnung wurde dieses Angebot vorgelegt. Der Sturmführer bot 48.000 RMark; der Jude erhielt den Zuschlag mit 53 000 RMark. Als der Jude sich eingerichtet hatte, wurden ihm in der ersten Nacht, in der er das Haus bewohnte, durch die Fenster 3 Flaschen Karbol ins Schlafzimmer geworfen. Dann erhielt er Drohbriefe, daß er wegen Rassenschande ins Konzentrationslager käme. Er ging zur Polizei, sie hat nichts weiter unternommen.

Baum wird geladen...