Die SoPaDe berichtet
In der September Ausgabe 1935 heißt es in den Deutschland-Berichten“:
„Die Nürnberger Gesetze - die Gesetze gegen die Juden, das Flaggengesetz und das Reichsbürgergesetz - stoßen auf starke Ablehnung in der Bevölkerung. Sie werden nicht als Zeichen der Kraft der nationalsozialistischen Bewegung, sondern als Beweis der Schwäche gewertet. Bemerkenswerterweise zeigt sich die Kritik insbesondere im Bürgertum und bei dem Flügel der NSDAP, der dem Bürgertum nahesteht.
Berlin: Die Nürnberger Gesetze haben im Bürgertum stark verstimmend gewirkt. Die Judengesetze stoßen auch in den Kreisen auf Ablehnung, die alles andere als judenfreundlich sind. Sogar ein Amtswalter der NSDAP sagte uns neulich: „Das sind nicht die richtigen Mittel zur Lösung der Judenfrage; sie schädigen uns mehr als sie uns nützen. Und schließlich muß man doch zugeben, daß es auch anständige Juden gibt.“
Ebenso findet das Flaggengesetz starke Ablehnung. Alle die Schichten, die sich bisher den Nationalsozialisten zugewendet hatten, weil sie in ihnen die Erfüllung ihrer nationalen Ziele sahen, fühlen sich durch die Unterdrückung der schwarz-weiß-roten Fahne vor den Kopf gestoßen. Man vergleicht unwillkürlich das neue Flaggengesetz mit der Abschaffung der alten Fahne nach 1918 und glaubt, daß die Nazis hier A 11 einen ebenso schweren Fehler gemacht haben wie damals die Republik.
Nordwestdeutschland: Die Judengesetze haben bis weit in nationalsozialistische Kreise hinein Ablehnung gefunden. Im sogenannten besseren Bürgertum ist eine offene Ablehnung der Ausnahmegesetze gegen die Juden festzustellen. Die Handel- und Gewerbetreibenden sind fast ausnahmslos gegen die Judengesetze, trotzdem man eigentlich annehmen müßte, daß sie aus Konkurrenzgründen eine andere Haltung einnehmen würden. Allerdings spricht in diesen Kreisen auch eine wirtschaftliche Sorge mit. Die Mittelständler haben Angst vor einer weiteren Verschärfung der Not durch ausländischen Boykott. In der Arbeiterschaft kann man eine fast einheitliche Ablehnung der Judenverfolgung bemerken. Doch gibt es in der Arbeiterschaft Unterhaltungen darüber, daß die Juden sich früher gegen die Republik geradezu hochnäsig benommen haben, der Arbeiterbewegung so viel Schwierigkeiten machten, bei Sammlungen zu Wahlkämpfen und für die Arbeiterwohlfahrt die Türen zuknallten, daß sie jetzt einmal ausreichend kennen lernen, wer stets wirklich zu den Menschenrechten gestanden hat. Es wird auch darüber diskutiert, daß in unserer Bewegung viel zu viel Juden sich dreist nach vorn drängten, ohne daß sie besondere Leistungen aufzuweisen hatten. Aber es gibt in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft niemand, der nicht von Abscheu gegen den Rassenwahn Hitlers und Streichers erfüllt ist. Wir betrachten es als eine unserer Aufgaben, diese Schande zu beseitigen. Damit muß auch für manchen Juden klar werden, daß man mit der Diktatur gegen Minderheiten keine Fortschritte für die Menschheit erreicht. So viel kann über den Zustand im Reiche mit Bestimmtheit gesagt werden, daß die hemmungslose Toberei in Nürnberg ihren Grund in sehr kritischen Vorgängen hat, die die Bastionen des Dritten Reiches ernstlich bedrohen.