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Chronik und Quellen
1938
Juli 1938

Bericht über Konferenz von Evian

Max Kreutzberger berichtet am 8. Juli 1938 über die Konferenz von Evian:

2. Bericht[1]

Die Konferenz wurde programmässig am Mittwoch eröffnet. Alle angekündigten Staaten waren vertreten. Die Eröffnungssitzung war gar nicht feierlich, mit den drei Reden von Taylor, Winterton und Berenger. (Den stenographischen Teil der Reden habe ich mit Luftpost geschickt.) Wintertons Rede ist von uns mit besonderer Spannung erwartet worden. Sie war zwar kein besonderer Beitrag zum Thema der Konferenz, hätte aber viel gefährlicher sein können. Wir waren nur froh, dass sie so gehalten wurde. Zum Schluss sprach der Norweger Hansen (sehr sympathische Figur), der (mit allen Verbeugungen vor dem Völkerbund) die Einsetzung einer neuen Körperschaft vorschlug.

In der zweiten Plenarsitzung sprachen darin der Vertreter Kanadas, Australiens, Argentiniens, Brasiliens, Belgiens und Hollands. (Text der Reden habe ich übersandt). Von den Vertretern der europäischen Staaten war nicht viel zu erwarten. Aber die Reden und Erklärungen der Südamerikaner und Australier waren auch nicht hoffnungsvoller. Man hat den (traurigen) Witz gemacht, dass der Inhalt ihrer Reden eigentlich der Antrag an die Konferenz war, Emigrationsmöglichkeiten für die Juden ihrer Länder zu finden. Das genauere Studium des Textes der Reden ergibt aber, dass sie zwar mit äusserster Reserve, aber keineswegs gänzlich hoffnungslos gesprochen haben. Von öffentlichen Erklärungen konnte man auch (wenn man gerecht sein will) bei dem teilweise jämmerlichen politischen und wirtschaftlichen Zustand nicht viel mehr erwarten.

Das eigentliche Ergebnis der Sitzung war die Einsetzung zweier Commissionen. Die eine will vertraulich Berichte und Vorschläge der Regierungen entgegennehmen und die Emigrationsmöglichkeiten erörtern. (Technische Commission). Die andere soll die angemeldeten privaten Organisationen anhören.

Die Konferenz dauert jetzt drei Tage. Man hat nicht den Eindruck, dass sie schon ihren Stil gefunden und sich über ihren Weg etwas klarer geworden wäre. Die technische Organisation ist furchtbar. Die Konferenz verfügt z.B. nur über einen kleinen Saal, sodass die beiden Kommissionen nicht einmal die Möglichkeit haben, gleichzeitig zu tagen.

Nach den Informationen, die wir vertraulich von James Macdonald erhalten haben (er ist überhaupt der Einzige, der sich irgendwelche Vorstellungen macht und sich um eine Systematisierung bemüht) soll das Ergebnis der Konferenz etwa folgendes sein: die versammelten Staaten werden sich als permanente Konferenz erklären, etwa mit dem Sitz in Paris. Sie werden einen Exekutivausschuss wählen von folgenden Staaten: United Kingdom, U.S. A., Frankreich, Argentinien und Brasilien. Dieser Ausschuss wird einen Generaldirektor bestellen mit einem ungewöhnlich hohen Gehalt und drei weiteren Direktoren, ebenfalls ausserordentlich bezahlt. Man will versuchen, erste internationale Persönlichkeiten zu gewinnen (etwa vom Schlage Hoovers, der selbst nicht in Frage kommt.) Das Direktorium soll in erster Reihe Verhandlungen mit Deutschland führen. Viel weiter wird die Konferenz nicht gehen können, da alles andere gänzlich unvorbereitet ist. Mit Finanzplänen etc. wird sich die gegenwärtige Konferenz nicht befassen. Wir haben nun in unserem Kreise (Ruppin, Goldmann, Moses, Rosenblüth, Rudel und ich) vielfache Besprechungen gehabt über die von uns einzuschlagende Taktik und unsere Vorstellungen, die wir an die Konferenz heranbringen können, und sind etwa zu folgenden Ergebnissen gekommen:

1. Weizmanns Auftreten ist nicht möglich, da er nicht in einer Reihe mit dreissig Organisationen auftreten kann. (Dem haben sich auch Macdonald und [...J angeschlossen, die ursprünglich sehr für Weizmanns Auftreten waren.)

2. Wenn auch spezielle Finanzpläne (intern. Arbeit, Transfer etc.) hier nicht detailliert behandelt werden, so wollen wir uns doch bemühen, dass die terms of reference der ständigen Regierungskonferenz sie nicht ausschliessen.

3. Das gleiche gilt für das Thema „ost-europäisches Judentum“. (Ruppin ist etwas abweichender Meinung - er will versuchen, diese Themen stark in den Vordergrund zu rücken.)

4. Da die Subkommission eine Unzahl jüdischer Organisationen hören will, wollen die „Grossen Fünf“ (Agency, Joint, lea, Council, World Congress) detaillierte Unterredungen mit Taylor, Winterton und Berenger führen.

5. Ein Auftreten der „Agency“- Vertreter vor Winterton allein sei nicht opportun, weil deren Forderungen von Weizmann vor Macdonald vertreten werden müssen. Hingegen solljen] die österreichische Delegation und die inzwischen eingetroffenen Deutschen ruhig zu Winterton gehen und sich über die Haltung der englischen Regierung in bezug auf Palästina beklagen, die Forderung auf zusätzliche Zertifikate Vorbringen etc.

Wie ich schon in meinem Bericht bemerkte, sind unzählige jüdische Delegationen und auch einige nichtjüdische (Katholiken, Academic Assistance Council, englische Wohlfahrtsverbände, sozialistische Arbeiterinternationale etc.) hier eingetroffen. Dutzende von Memoranden sind der Konferenz eingereicht worden. Das Memorandum der Agency ist vorbildlich in seiner Kürze und Prägnanz. Um zu verhindern, dass allerlei unkontrollierte und einander widersprechende Vorschläge der Konferenz zur Verhandlung unterbreitet werden, eine gewisse Einheitlichkeit des Auftretens zu sichern, die Ermüdung der Delegierten durch den Massenbesuch von Delegationen zu vermeiden, ist eine Konferenz aller Privaten Organisationen vorgestern unter dem Vorsitz von Bentwich zusammengerufen worden. Nach stundenlangen heftigen Auseinandersetzungen und unter Vorbehalten verschiedener Organisationen ([...] von den Revisionisten, die Gesellschaft „Ort“, vertreten durch Lord [Berley] und [Brannsen], die „Freiland-Bewegung“ mit Steinberg taten sich da besonders hervor). Schliesslich einigte man sich auf einen Aktionsausschuss von 15 Personen, dem von [den] Zionisten Goldmann, Rosenblüth und ich angehören. Die Wirkungsmöglichkeit dieses Ausschusses wird aber gleich Null sein, da sich schon bei den ersten Diskussionen herausstellte, dass ein Zusammengehen der verschiedenen Richtungen gar nicht möglich ist. Insbesondere aber auch deshalb, weil die Konferenz inzwischen beschlossen hatte, dass sie bereit sei, jede Delegation von der erwählten Subkommission empfangen zu lassen.

Inzwischen hat die Subkommission getagt, und selbstverständlich hat keine jüdische Delegation verzichtet, dort selbständig zu erscheinen. Für uns traten Dr. Ruppin, Agency und Goldmann, World Congress auf. Jeder für sich allein, um mehr Zeit zu erhalten. Für die grösseren Gruppen waren 15 bis 20 Minuten vorgesehen, für die kleineren 4-5 Minuten. Ruppin hat ungefähr den Inhalt des Memorandums vertreten mit einigen Ergänzungen (wie eben angeführt). Goldmann hat ausserdem noch versucht, jüdische Weltlage und Finanzpläne in den Vordergrund zu stellen. Beide Gesichtspunkte wurden von dem Vorsitzenden (dem Australier White) zurückgewiesen: die Konferenz wolle sich mit Deutschland und Österreich befassen und eine finanzielle Regierungshilfe sei ausdrücklich im Einladungsschreiben Roosevelts abgelehnt worden. Als Goldmann darauf bestand, dass in die „terms of reference“ der neuen Körperschaft a) eine Ausdehnung ihrer Arbeitsbasis in späterer Zeit nicht ausgeschlossen werden sollte und dass b) Finanzhilfe auch evtl. moralische Hilfe, Garantien etc. durch Regierungen bedeuten könnte, hat der Vorsitzende die Aufnahme dieser beiden Punkte ins Protokoll angeordnet. Es ist nun abzuwarten, wie der Bericht dieser Unterkommission an die Konferenz aussehen wird.

Und nun die erschütternden Ereignisse aus Palästina. Man hätte sich nichts Schlimmeres zur Schädigung der Position Palästinas und unserer Verhandlungsbasis hier vorstellen können. Die Weltpresse bringt die Ereignisse in grösser Aufmachung und auch die Provinzialpresse hier auf der ersten Seite.

Fußnoten

[1] Kreutzberger berichtete mehrfach aus Evian. Im 1. Bericht vom 6.7.1938 schilderte er seine Eindrücke vor Konferenzbeginn und die Erwartungen der jüdischen Delegierten; im 3. Bericht vom 11.7.1938 fasste er dann die Statements der Regierungsvertreter und die Ergebnisse der Konferenz zusammen.

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