Bericht eines ehemaligen Insassen des KZ Buchenwald
Ein ehemaliger Häftling schildert im Juni 1938 die Haltbedingungen im KZ Buchenwald :
Im heutigen Deutschland gibt es kein Wort, das im Herzen des Volkes grösseren Schrecken auslöst, als der Name Buchenwald. Nur wenige Kilometer von Goethes Weimar entfernt, inmitten eines freundlichen Buchenwaldes, liegt, umgeben von Stacheldrahtzäunen, bewacht von S.S.-Abteilungen und Maschinengewehren, die neue Stadt des Kummers, das Konzentrationslager Buchenwald.
Ich wurde am 13. Juni 1938, morgens 5 Uhr, in meiner Wohnung in Berlin verhaltet, zum Polizeipräsidium gebracht und dort unterrichtet, dass ich als Jude mit einem vormaligen „Verbrechervermerk“ nun in Schutzhaft genommen sei und zur gegebenen Zeit in ein Konzentrationslager geschickt werden würde. In dem überfüllten Polizeigefängnis, wohin ich zuerst gebracht wurde, sah ich viele Bekannte unter den ändern Gefangenen, die zum grössten Teil aus angesehenen Leuten bestanden, Geschäftsmännern und Hochschullehrern. Die früheren Vergehen, die zum Vorwand für all die Verhaftungen genommen wurden, lagen oft zehn Jahre oder länger zurück und bezogen sich auf „Verbrechen“, wie z. B. Übertretung der Verkehrsvorschriften oder sonstige kindische und unwesentliche Verstösse der einen oder anderen Art.
Mehr und mehr Gefangene wurden eingeliefert, bis die Polizeibeamten selbst nicht mehr wussten, wie sie für den Strom der Neuankommenden Platz schaffen sollten. Jeder männliche Jude, der irgendeinen Polizeivermerk hatte, wurde im Laufe dieser zwei Tage, dem 13. und 14. Juni, festgenommen. Einige der Gefangenen waren Greise über 70, die aus den Armenhäusern direkt ins Gefängnis eingeliefert wurden.
In Berlin betrug die Zahl der Verhafteten etwa 4000; im ganzen Reich waren es vermutlich 10 bis 15 000. Diese Gefangenen wurden auf die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald verteilt. Auf dem Polizeipräsidium wurde jedem Gefangenen mitgeteilt, dass er nur dann erwarten könne, entlassen zu werden, wenn er sich Schriftstücke besorge, die es ihm gestatteten, das Land zu verlassen. Hieraus geht klar hervor, dass es sich bei diesen Verhaftungen um eine rein politische Massnahme handelte und dass dieser typische Naziplan den einzigen Zweck hatte, die jüdische Auswanderung zu beschleunigen, die, nach Ansicht der Nazis, viel zu langsam voranging. Trotzdem wurden die Verhaftungen der gewöhnlichen Kriminalpolizei überlassen und nicht, wie zu erwarten war, der Gestapo. Die Berliner Zeitungen berichteten daher nur, dass eine „Anzahl jüdischer Verbrecher in Schutzhaft genommen worden sei.“
In der Nacht des 14. Juni wurden 2000 von uns vom Gefängnis nach dem Konzentrationslager überführt. Vor Verlassen des Gefängnisses wurden wir von einem ungewöhnlich jungen Arzt untersucht, der jeden einzigen als für die Härten des Konzentrationslagerlebens körperlich geeignet bezeichnete, einschliesslich der Siebzigjährigen und eines tuberkulösen Gefangenen, der fortgesetzt Blut spie.
Der Anhalter Bahnhof, von wo aus wir Berlin verliessen, wurde um 2 Uhr mittags, der Zeit unserer Abfahrt, für die Öffentlichkeit gesperrt, und ein starkes Polizeiaufgebot mit schussbereiter Waffe hielt Wache. Am Morgen des 15. Juni, etwa um 6 Uhr, erreichten wir Weimar, wo uns eine „Totenkopf“-Abteilung der S.S. am Bahnhof erwartete. Wir hatten kaum den Bahnsteig erreicht, als uns ein Hagel von Fusstritten, Faust- und Kolbenschlägen den Tunnel, der zur Strasse führte, entlang trieb. Hier wurden wir vom Oberaufseher des Lagers, Rödl, mit folgenden Worten begrüsst:
„Unter euch sind solche, die bereits im Gefängnis waren. Was ihr dort zu spüren bekommen habt, ist nichts gegen das, was ihr hier erleben werdet. Ihr kommt in ein Konzentrationslager, und das bedeutet in die Hölle. Ein Versuch, sich den Befehlen der S.S.-Wachen zu widersetzen, und ihr werdet auf der Stelle erschossen. Wir kennen nur zwei Arten der Bestrafung in diesem Lager, die Peitsche und den Tod.“
Der Eingang des Lagers war durch Maschinengewehr-Posten bewacht und über dem Tor prangte das Schlagwort: „Recht oder Unrecht, es ist mein Vaterland!“ Jeder Gefangene muss beim Betreten des Lagers zwischen zwei Reihen von Wachen Spiessrutenlaufen. Mehr Fusstritte und Schläge.
Gleich nach diesem Empfang, der in allen Konzentrationslagern mehr oder weniger üblich ist, werden unsere Köpfe geschoren, wie es bei gefährlichen Verbrechern üblich ist. Sodann werden unsere Zivilkleider gegen Gefangenenuniform ausgetauscht. Die Kleidung jedes Gefangenen trägt ein besonderes Kennzeichen. Politische Gefangene tragen einen roten Streifen, Bibelforscher einen violetten und die sogenannten „Drückeberger“ einen schwarzen.
Unsere losen Gefangenenjacken waren mit einem schwarzen Davidstern auf gelbem Fleck versehen; dies bedeutet „arbeitsscheuer Jude“. Es muss erwähnt werden, dass die meisten von uns selbständige Geschäftsleute und der Rest Angestellte und Arbeiter waren, die gezwungen wurden, ihre Arbeitsstellen zu verlassen. In unserer Gruppe befanden sich ausserdem ein Zahnarzt und mehrere Rechtsanwälte. Jeder von uns bekam eine Nummer, die in die Gefangenenkleidung eingenäht wurde, und von da an waren die Nummern der Ersatz für unsere Namen.
Nach Beendigung der eben beschriebenen Eintrittsformalitäten wurden wir in unsere neuen Quartiere geführt. Während die 6000 arischen Gefangenen in Holzbaracken, von denen jede etwa 140 Mann fasste, untergebracht waren, wurden wir buchstäblich in eine Anzahl von Viehschuppen gepackt, je 500 Mann in einen Schuppen. In den Schuppen waren weder Tische noch Stühle vorhanden. Nicht einmal Betten. Nachts warfen wir uns auf den nackten Fussboden, unfähig, uns auszustrecken und auszuruhen, da es an Raum mangelte. Jeder Gefangene erhielt zwei dünne und oft zerrissene Decken. Es gab keine Waschgelegenheit. Keiner von uns konnte sich während der ersten Woche waschen, später wurden je einer Gruppe von 500 Mann acht Waschschüsseln zugeteilt. Das Wasser musste von einer zehn Minuten entfernten Pumpe geholt werden. Am schwersten war jedoch der Umstand zu ertragen, dass laut Befehl der S.S. eine Gruppe von Berufsverbrechern in jeden Schuppen gelegt und mit der „Aufrechterhaltung der Ordnung“ betraut wurde. Diese Verbrecher, die sich ebenfalls in Lagerhaft befanden, waren uns als „Unteroffiziere“ übergeordnet und besassen volle Autorität, die ändern Gefangenen zu bestrafen. Der diensttuende Verbrecher in unserem Schuppen war ein besonders brutales Individuum, das uns fortgesetzt schamlos misshandelte.
Wir waren alle viel zu eingeschüchtert, um auch nur den Versuch zu wagen, uns vor diesen unmenschlichen Bestien zu schützen, da jeder Widerspruch als Aufruhr angesehen und mit dem Tod bestraft wurde. Ein besonders furchtbarer Zwischenfall haftet in meinem Gedächtnis. Einer der älteren Gefangenen war, während wir arbeiteten, von einer S.S.-Wache derartig geschlagen worden, dass er nachts im Schuppen ununterbrochen stöhnte. Die diensttuende Bestie schlug diesen Mann wiederholt ins Gesicht und schrie ihn an, den Lärm zu unterlassen. Am Morgen war der alte Mann tot.
Während der ersten zwei Tage im Lager erhielten wir überhaupt nichts zu essen. Trotzdem wurden wir zu anstrengenden Körperübungen herangezogen. Eine ganze Woche verging mit der Erledigung der verschiedenen Formalitäten, die mit unserem Eintritt ins Lager zusammenhingen; erst dann wurde uns reguläre Arbeit zugewiesen. Zu diesen Formalitäten gehörte die Unterzeichnung einer Erklärung, dass wir in Schutzhaft genommen worden seien, weil wir jüdische „Drückeberger“ seien, die nicht arbeiten wollten. Auf dem Formular stand gedruckt, dass die unterzeichnende Person freiwillig diese Angabe gemacht habe. Einer der Gefangenen, ein Breslauer Rechtsanwalt, weigerte sich, das Schriftstück zu unterzeichnen. Dieser unglückliche Mann musste jede Art von Strafe erdulden, die das Repertoire unserer Wärter enthielt, aber er blieb standhaft in seiner Weigerung. Am vierten Tag seiner Folterung, als er bereits ein sterbender Mann und sein Körper zerquetscht und zerbrochen war, leistete er, halb bewusstlos, seine Unterschrift. Ich muss hier einige der Strafen beschreiben, die uns von der S.S. auferlegt wurden. Selbst die geringsten Vergehen, wie Wassertrinken während der Arbeitsstunden, wurden mit dem Entzug des Mittagessens und vierstündigem Strammstehen während der kurzen „Freizeit“, die gewöhnlich am Sonntag gestattet wurde, bestraft. Die Hauptstrafe jedoch war die Peitsche. Selbst für kleine Vergehen fanden öffentliche Auspeitschungen statt, z. B. wenn ein Gefangener beim Zigarettenrauchen während der Arbeit ertappt wurde. Am Schluss der nachmittäglichen Namensverlesung wurden die Gefangenen, die zur Auspeitschung verurteilt waren, aufgerufen - es waren täglich mehrere -, und die Männer mussten vortreten und wurden fest an den Prügelbock gebunden. Die gewöhnliche Strafe bestand in fünfundzwanzig Hieben auf das Gesäss mit einem rohen Ochsenziemer und wurde von zwei kräftigen S.S.-Männern abwechselnd verabreicht. Ein dritter S.S.-Mann hielt die Kiefer des Opfers fest, um jeden Schrei zu ersticken. Einige der älteren Gefangenen, die unfähig zu schneller Arbeit waren, wurden in dieser unmenschlichen Weise wegen Faulheit ausgepeitscht. Nach der Auspeitschung musste das Opfer seine Hosen herunterlassen und einem S.S.-Mann seine blutigen Striemen zeigen, dessen Aufgabe es war, festzustellen, ob die Peitsche kräftig genug ge-handhabt worden war. Fünfundzwanzig Schläge waren die bevorzugte Strafe in Buchenwald, aber es gab auch andere. Zum Beispiel den „Schwitzkasten“. Es ereignete sich häufig, dass der Gefangene bereits tot war, wenn der Schwitzkasten geöffnet wurde, um ihn herauszulassen.
Eine weitere beliebte Strafe war das „An-den-Baum-Binden“, und die Wachen zeigten die grösste Erfindungsgabe in der Anwendung dieser Folter. Für noch so geringe Vergehen wurden die Gefangenen an einen Baum gestellt, ihre Arme um ihn herumgeschlungen und ihre Hände gefesselt. Die Fesselriemen waren so fest angezogen, dass die Hände sich kaum bewegen konnten. Dann begannen die Wachen, mit ihnen Karussell zu spielen, d.h. sie zwangen die Gefangenen, um die Bäume herumzulaufen. Wenn sie dabei nicht schnell genug vorwärts kamen, wurde ihnen durch Fusstritte nachgeholfen.
Dies war jedoch noch eine mildere Form dieser Art Bestrafung. Es gab noch eine andere, die oft tödlich endete. Das Opfer wurde an den Baum gebunden, das Gesicht nach aussen, die Arme rückwärts um den Baumstamm gelegt und dann zusammengebunden. Die Schenkel und Füsse - letztere berührten nur knapp den Erdboden - wurden ebenfalls gebunden und zwar eng genug, um die Blutzirkulation zu unterbinden. Der Gefangene musste in dieser Stellung stundenlang hängen. Man soll nicht denken, dass diese barbarische Folter eine Ausnahme war; in Buchenwald ereigneten sich diese Dinge täglich. Eine Woche nach unserer Ankunft wurde uns reguläre Arbeit zugewiesen. Unser Arbeitstag im Konzentrationslager Buchenwald war folgendermassen eingeteilt: morgens 3 Uhr 30 Wecken, gefolgt vom Namensaufruf von 4 Uhr 30 bis 5 Uhr 30; dann marschierten wir zur Arbeit, die kurz vor 6 Uhr begann. Wir arbeiteten ununterbrochen bis zum Mittag; dann trat eine halbstündige Pause ein, und wir bekamen Malzkaffee. Um 12 Uhr 30 begann die Arbeit wieder und dauerte bis 3 Uhr 45. Von 4 bis 5 Uhr 30 fand der zweite Namensaufruf statt, gefolgt von den öffentlichen Auspeitschungen, die für den betreffenden Tag vorgesehen waren. Zwischen 5 Uhr 30 und 6 Uhr assen wir unsere Hauptmahlzeit und arbeiteten dann weiter bis zum Abendessen um 8 Uhr. Der Tag endete um 9 Uhr. Sonntags mussten wir von 6 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags arbeiten. Keinem Feiertag wurde im Lager irgendwelche Beachtung geschenkt, nicht einmal (wie mir ein Gefangener, der länger dort war, erzählte) dem Weihnachtsfest. Wir waren siebzehneinhalb Stunden am Tag auf den Beinen, bei Regen oder Sonnenschein. Dieser Stundenplan galt sowohl für die älteren als auch für die jüngeren Gefangenen, sowohl für die Kranken, soweit sie fähig waren, sich auf ihren Füssen zu halten, als für die Gesunden. In unserer Gefängniskleidung aus Ersatzstoff wurden wir bei jedem Wetter hinausgeschickt, bei Sturm und heftigem Regen genau so wie bei brennender Sommerglut.
Nun zu meinem ersten Tag schwerer Arbeit - ein Tag, den ich niemals vergessen werde, solange ich lebe. Einige der älteren Gefangenen unserer Arbeitsgruppe starben im Steinbruch an diesem glühend heissen Junitag. Nach dem morgendlichen Namensaufruf wurden wir in Arbeitsgruppen zu je hundert Mann eingeteilt. Jede Gruppe erhielt einen Obmann, der beinahe immer aus den Reihen der Berufsverbrecher gewählt wurde, und der das Recht hatte, uns niederzuschlagen, wann immer es ihm passte. Wir waren von einer S.S.-Wachabteilung begleitet, von der nicht einer älter als 18 Jahre gewesen sein kann. Trotzdem waren sie durchaus erfahren in der Art, uns anzupacken und zu schlagen. Unsere Kolonne, in der sich einige Männer über 65 Jahre befanden, marschierte ab, oder vielmehr wir wurden von den S.S.-Männern, die alle mit Knüppeln bewaffnet waren, entlang gehetzt, bis wir den Steinbruch erreichten, wo wir arbeiten sollten. Achtzig von unsern Hundert hatten niemals vorher diese Art körperlicher Arbeit verrichtet. Trotzdem erwartete man von uns, dass wir Steinblöcke von solch einem Gewicht schleppten, dass der Versuch, sie zu heben, selbst einem geübten Erdarbeiter zu schaffen gemacht hätte. Viele Steine waren so schwer, dass mehrere Männer einen Block anheben mussten, um ihn auf die Schultern des Mannes zu setzen, der ihn zu tragen hatte. Diese Steine mussten nach einer neuen Landstrasse gebracht werden, die über einen Kilometer entfernt gelegen, mit „Gefangenen“-Arbeit gebaut wurde. Der Weg, der zu dieser neuen Landstrasse führte, war ziemlich steil und das letzte Drittel mussten wir unter Fusstritten und Kol-benstössen der S.S.-Männer zurücklegen, die den Weg entlang aufgestellt waren. Den älteren Gefangenen, denen es körperlich unmöglich war, ihre Aufgaben zu erfüllen, ging es am schlechtesten. Von der Landstrasse gingen wir zum Steinbruch zurück, um eine frische Ladung aufzunehmen, und dann wiederholte sich der ganze Vorgang. Die Sonne stieg höher, der Tag wurde heisser und heisser, und die vorbeirasenden S.S.-Wagen wühlten Wolken weissen Staubs auf der Landstrasse auf, die im übrigen für den Verkehr geschlossen war. Dicht beim Steinbruch befand sich eine Quelle, sprudelnd vor frischem, klarem Wasser. Gefangene, die sich der Quelle zu nähern versuchten, wurden von S.S.-Wachen fortgetrieben. Dreissig von unserer Hundertgruppe waren bis zum Nachmittag zusammengebrochen, meist durch Hitzschlag, und nicht einmal die brutalen Angriffe der Wachen konnten sie wieder auf die Beine und zurück zur Arbeit bringen. Wir mussten sie ins Lagerhospital tragen, bis auf zwei, die bereits gestorben waren.
Ausser unserer Arbeit im Steinbruch hatten wir auch Baumstämme von einem Ort zum ändern zu tragen. Es war nicht erlaubt, dass mehr als acht Mann sich auch an der schwersten Ladung beteiligten. Den Weg entlang waren S.S.-Männer in Abständen aufgestellt, und wir befanden uns fortgesetzt unter Beobachtung. Das Gebrüll der Aufseher, begleitet von den Schlägen ihrer Knüppel auf Kopf und Schultern und von den Fusstritten ihrer Kanonenstiefel: „Vorwärts! Verdammt! Wird’s bald!“, klingt noch immer in meinen Ohren. Gelegentlich kam es vor, dass ein übereifriger S.S.-Mann uns Kniebeugen machen liess, während wir unsere Lasten trugen. Dies war nicht gefahrlos, denn wenn einer oder mehrere von uns zusammengebrochen wären, hätte der schwere Baumstamm die ändern zermalmt.
Eines Tages, bevor wir zur Arbeit marschierten, wurde eine Bekanntmachung erlassen, in der es hiess, „dass die Juden ihre Brotration fortgeworfen hätten“. Es wurde deshalb eine Massnahme ergriffen, für die es kein Beispiel gibt, nicht einmal in der Geschichte des Dachauer Konzentrationslagers: von nun an erhielten wir einen halben Liter Suppe (alle ändern bekamen einen Liter) und 250 Gramm Brot (während die normale Ration 625 Gramm betrug). Man verlangte endlose schwerste Arbeit von uns, und gleichzeitig sahen die Lebensmittelrationen folgendermassen aus: morgens ein Viertelliter Malzkaffee, mittags ein halber Liter Suppe, dazu 250 Gramm mit Margarine bestrichenes Brot und abends etwas Sülze. An drei aufeinanderfolgenden Sonntagen erhielten wir überhaupt nichts zu essen, obwohl wir selbstverständlich wie gewöhnlich arbeiten mussten.
Unsern Verwandten war es gestattet, uns Geld zu schicken. Lebensmittelpakete waren jedoch verboten, da „alles im Lager gekauft werden könne“. Wir werden gleich sehen, wie dieses System in der Praxis funktionierte. Für die Familien der ärmeren Gefangenen bedeutete jeder nach dem Lager gesandte Pfennig ein wirkliches Opfer, und durch die Massenverhaftungen hatten viele Haushalte ihre hauptsächliche Unterhaltsquelle verloren.
Ich weiss persönlich von einigen Fällen, in denen die „Öffentliche Wohlfahrt“ keiner Familie, deren Ernährer im Gefängnis war, Unterstützung gewährte oder die bisherige Unterstützung fortsetzte. Diejenigen, die wirklich Geld erhielten, waren deshalb noch längst nicht in der Lage, ihre mageren Rationen hinreichend zu ergänzen. Teilweise wurde das Geld zurückbehalten, um davon die Fahrkarte im Falle der Entlassung des Gefangenen zu bezahlen. Diese Vorschrift war für die ärmeren Gefangenen besonders hart, da bei kleinen Summen der ganze Betrag für diesen Zweck „beiseitegelegt“ wurde. Grössere Summen wurden in wöchentlichen Raten von 5 Mark ausgezahlt. Dieses Geld konnte in der Gefängniskantine, die sehr hohe Preise nahm, ausgegeben werden. Die Vorräte dieser Kantine aber waren äusserst unvollständig. Es war nie möglich, Brot zu kaufen, und oft geschah es, dass das einzig Verkäufliche in Limonadenpulver bestand. Ausserdem mussten wir Seife, Zahnpasta und ähnliche Dinge von unserem Geld selbst kaufen.
In Buchenwald war die Anzahl der Toten, und zwar sowohl von Juden als auch von Ariern, höher als in irgendeinem anderen Lager. Das arische Totenverzeichnis wies mindestens einen neuen Fall pro Tag auf. Von den 2000 am 15. Juni eingelieferten Juden starben achtzig in den ersten vier Wochen und weitere dreissig in der fünften Woche. Die Behörden taten alles, was in ihrer Kraft stand, um diese Ziffern zu vertuschen, und dem Komitee der jüdischen Gemeinde in Berlin wurden von den 110 Todesfällen offiziell nur neununddreissig bekannt gegeben.
Wie kamen diese Männer ums Leben? Die berühmte Phrase „auf der Flucht erschossen“ muss die Antwort ersetzen. Ich kann bezeugen, dass zumindest während meiner Haffperiode sich kein einziger Fall ereignete, in dem ein Gefangener im Verlauf eines wirklichen Fluchtversuchs erschossen wurde.
Das Lager ist von Drahtzaun umgeben, der nachts elektrisch geladen ist. In gewissen Zeitabständen nehmen dort Aussichtsposten der S.S. mit Maschinengewehren Aufstellung. Den Gefangenen ist es verboten, sich dem Draht zu nähern. Die S.S. ist angewiesen, sofort zu feuern, wenn sie es trotzdem tun. Neu angekommene Gefangene beachteten diese Verordnung zuerst nicht, und die gelangweilten S.S.-Männer, die nichts zu tun hatten, amüsierten sich oft damit, einen Gefangenen zum Zaun zu rufen. Neue Gefangene pflegten diesem Befehl zu folgen, und sobald sie erschienen, eröffnete die S.S. Maschinengewehrfeuer. Man trieb diese Art „Scherz“ sehr häufig. Hin und wieder geschah es, dass ein Gefangener, der halb wahnsinnig gemacht worden war und die höllischen Zustände nicht länger mehr ertragen konnte, blind auf den Zaun zurannte. Die S.S. eröffnete unterschiedslos Feuer, und zwar sofort, obwohl sie sich deutlich bewusst war, dass ihr Opfer den Verstand verloren hatte und nicht etwa aus dem Lager auszubrechen versuchte. Aber die meisten Gefangenen in Buchenwald sterben im Steinbruch. Um den Steinbruch war ebenfalls eine Kette von S.S.-Posten aufgestellt, und es bedeutete den sicheren Tod, sich den Posten zu nähern. Häufig wurde einem der älteren oder schwächeren Gefangenen befohlen, einen Steinblock fortzuschaffen, was für ihn körperlich unmöglich war, obwohl er seine beschränkten Kräfte bis aufs äusserste anspannte. Die S.S.-Wache versuchte immer wieder, den Gefangenen zur Beförderung seiner Last zu zwingen. Natürlich blieb der unglückliche Mann hinter seinen Kameraden zurück. Eine Weile später hörten diejenigen, die an ihm vorbeimarschiert waren, einen Schuss. Der Gefangene war durch den Wachposten aus der Reihe heraus zu dem S.S.-Posten hinübergetrieben worden, der ein neues Opfer „auf der Flucht“ erschossen hatte. Ein besonders tragisches Ereignis muss hier erwähnt werden. Unter den jüdischen Gefangenen befand sich ein zweiundzwanzig-jähriger junger Mensch namens Erich Löwenberg. Er war Kantor in einer Synagoge, hatte jung geheiratet, und seine Frau erwartete in zwei Monaten ein Kind. Erich Löwenberg - der Fall ereignete sich ungefähr am 15. Juli 1938 - wurde von einer S.S.-Wache auf der Landstrasse nahe am Steinbruch vor einen von einem anderen S.S.-Mann gelenkten schweren Lastwagen getrieben. Anderthalb Stunden später war der junge Mann tot.
Die körperliche Misshandlung, die den Gefangenen gewöhnlich zuteil wurde, führte oft zu Schlaganfall und Tod. Als Todesursache wurde dann von dem Arzt „Herzschwäche“ angegeben. Die Gefangenen fertigten selbst die Särge in den Tischlereien an. Die Leichen wurden gewöhnlich ins Weimarer Krematorium gebracht und dort verbrannt. Verwandte erhielten vom Büro des Lagerkommandanten eine offene unfrankierte Postkarte, die sie offiziell vom Tod des Gefangenen verständigte.
Viele starben auch infolge Mangels an ärztlicher Hilfe im Lager. In den ersten Wochen war es den Lazaretthelfern streng untersagt, Juden Medizin zu geben; dieses Verbot hat ebenfalls zu der hohen Zahl der Todesfälle beigetragen. Später kam es oft vor, dass der diensttuende Arzt sich weigerte, jüdische Patienten zu behandeln. Ich kenne einen Fall, in dem der Arzt einen kranken Mann hinauswarf und erklärte, dieser simuliere. Innerhalb von zwei Stunden war der Mann tot.
Des Nachts hatten wir in den Schuppen keine Möglichkeit, einem sterbenden Mann zu helfen. Wir konnten nicht einmal ein Glas Wasser, geschweige denn Medizin beschaffen. Ebenso wenig war es uns möglich, den Schuppen zu verlassen, um ärztliche Hilfe zu holen, da die S.S.-Aufseher angewiesen waren, auf jeden, der des Nachts das Gebäude verlassen wollte, Maschinengewehrfeuer zu eröffnen.
Vier Wochen nach unserer Ankunft wurde ein Hospitalschuppen für Juden eröffnet. Dieser musste von den Juden selbst bezahlt werden. Es fehlte selbst die geringste Anfangsausrüstung. Es waren keine Thermometer vorhanden, nicht einmal ein Nachtgeschirr.
Und doch stiess man auch in dieser Hölle auf menschliche Wesen. Es gab eine sehr kleine Anzahl von S.S.-Männern, die uns nicht misshandelte. Einige der S.S. erklärten uns, dass sie gegen die Zustände im Lager nichts tun könnten. Sie empfingen ihre Befehle von „oben“. Diese höhere Behörde war Herr Standartenführer Kock, der wegen unbeschreiblicher Roheiten im Columbushaus in Berlin und in den Lagern Esterwege und Sachsenhausen verrufen war und der nun das Lager Buchenwald verwaltete. Wieviele Todesfälle wehrloser Gefangener hat dieser Mann auf dem Gewissen?
Unter den Vormännern befanden sich auch einige, die unter eigener Lebensgefahr uns zu helfen versuchten. Einige von ihnen wurden von anderen Gefangenen als „Judenfreunde“ angezeigt und öffentlich ausgepeitscht. Unsere schlimmste Zeit folgte auf die Ankunft einer Abteilung junger österreichischer S.S.-Männer, die von Wollersdorf nach Buchenwald geschickt worden waren. Die uns von diesen Männern auferlegten Foltern gehen über das Mass dessen hinaus, was mit der Feder beschrieben werden kann.
Wie setzen sich die Insassen eines Konzentrationslagers im gegenwärtigen Deutschland zusammen? Aus welchen Elementen besteht das Lager? In Buchenwald waren 8000 Gefangene, 2000 Juden und 6000 Nichtjuden. Es ist jetzt beabsichtigt, das Lager zu vergrössern und mit einer Aufnahmefähigkeit von 25 000 zum grössten in Deutschland zu machen.
Unsere 8000 Gefangenen umfassten in erster Linie „politische“ (z.B. alle kommunistischen Mitglieder des Reichstags: Neubauer, Saefkow, Woitinski und andere); viele von ihnen sind seit 1933 in verschiedenen Konzentrationslagern gewesen. Ein anderer Gefangener war der bekannte Berliner Strafverteidiger Hans Litten. Er hatte sich kürzlich im Steinbruch von Buchenwald ein Bein gebrochen, das von einer früheren Wunde noch nicht vollständig geheilt war. Abgesehen von den echten politischen Gefangenen befanden sich viele arme Teufel in Buchenwald, die angeklagt waren, sich über die heilige Person des Führers in abfälliger Weise geäussert zu haben. Die meisten von ihnen waren nach Verbüssung ihrer Gefängnisstrafen ins Konzentrationslager geschickt worden. Die Länge der Haft ist in diesen Fällen unbestimmt.
Diese nervenzerrüttende Ungewissheit ist eine der teuflischsten Qualen der Einkerkerung im Konzentrationslager. Schutzhaft mag drei Monate bedeuten. Sie kann aber auch leicht drei Jahre sein. Keine Regel, kein Gesetz bestimmt die Länge der Haft.
Nach den „politischen“ ist die Kategorie der sogenannten „Arbeitsscheuen“ zahlenmässig am grössten. Man täuscht sich sehr, wenn man sich vorstellt, das diese Gruppe mit Landstreichern oder Vagabunden irgendetwas gemeinsam hat. Ein Beispiel: Ein Angestellter verlor seine Stellung und beantragte Arbeitslosenunterstützung. Eines Tages wurde ihm auf dem Arbeitsamt mitgeteilt, dass er als Erdarbeiter auf den neuen Autostrassen beschäftigt werden könne. Dieser Mann, der nach einer Stellung im Geschäftsleben suchte, lehnte das Angebot ab. Das Arbeitsamt meldete ihn hierauf bei der Gestapo als „arbeitsscheu“; er wurde verhaftet und ins Konzentrationslager geschickt. Technische Arbeiter, die niedrig bezahlte Beschäftigung verlassen, um höhere Löhne zu suchen, ereilt oft das gleiche Schicksal.
Die nächste Gruppe sind die „Bibelforscher“, eine religiöse Sekte, die ihre Lehren der Bibel entnimmt und in allen Teilen des Landes eine beträchtliche Anzahl von Mitgliedern besitzt, aber von der Gestapo geächtet ist, da ihre Mitglieder sich weigern, Militärdienst zu leisten; diese unglücklichen Leute wurden fast so schlecht behandelt wie die Juden.
Die vierte Kategorie bestand aus Homosexuellen oder wenigstens solchen, bei denen es die Gestapo für richtig hielt, sie der Homosexualität zu beschuldigen. Es ist eine beliebte Taktik der Geheimen Staatspolizei, diejenigen, die unbeliebt sind, mit solcher Anklage zu belasten. Zur Zeit meines Aufenthalts in Buchenwald befand sich kein Vertreter dieser Gruppe dort.
Die letzte Klasse der Gefangenen bestand aus Berufsverbrechern. Ihren Reihen wurden, wie schon gesagt, unsere „Aufseher“ entnommen, die mit uns verfahren konnten, wie sie wollten. Viele von ihnen versuchten, sich bei der S.S. dadurch beliebt zu machen, dass sie uns misshandelten, uns während der Ruhepause an Sonntagen „exerzieren“ Hessen oder die alten Gefangenen zwangen, sich vorwärts und rückwärts im nassen Schlamm zu wälzen.
Wenn ein Gefangener wirklich entlassen werden sollte, musste er sich erst einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, um festzustellen, ob sein Körper noch Peitschenstriemen aufwies oder sonst irgendwelche Misshandlungen verriet. Gefangenen, die noch Spuren der Prügel trugen, wurde es nicht erlaubt, das Lager zu verlassen, ehe nicht jedes Merkmal verheilt war. Auf diese Weise versuchten die Behörden, zu verhindern, dass die Aussenwelt irgendwelche Kenntnis von der körperlichen Misshandlung der Gefangenen erhielt. Es ist zweifelhaft, dass sie damit Erfolg haben werden. Die Wahrheit sickert doch langsam durch.
Bei meiner Entlassung - ich war einer der wenigen, die das Konzentrationslager ver-liessen, ohne ein ausländisches Visum erlangt zu haben - wurde ich von einem hohen S.S.-Beamten gewarnt und darauf hingewiesen, dass selbst ein Flüsterwort über mein Leben im Konzentrationslager mit dem Tod bestraft werden würde. Die wirklichen Worte des S.S.-Führers sind wert, wiedergegeben zu werden.„Nationalsozialismus“, sagte er,„hat keinen Grund, die Wahrheit zu fürchten. Aber er kann nicht dulden, dass phantastische Greuelmärchen ausgestreut werden.“
Nach meiner Entlassung wurde mir mitgeteilt, dass ich innerhalb fünf Wochen das Land zu verlassen habe und es nicht wieder betreten dürfe.
Während dieser fünf Wochen würde ich mich unter polizeilicher Aufsicht befinden und mich täglich zuerst im Polizeipräsidium in Berlin und später in meinem eigenen Bezirk zu melden haben. In der ersten Zeit meldete ich mich im Polizeipräsidium; dort geschah etwas, was mir für die augenblicklichen Zustände in Deutschland typisch erscheint. Als ich ankam, fand ich mich von einer Gruppe von Beamten der regulären Mannschaft umgeben, die mich eifrig über Buchenwald ausfragten. Da ich an die Drohungen dachte, die meinen Fortgang aus dem Konzentrationslager begleitet hatten, weigerte ich mich zuerst, zu antworten. Die Beamten zeigten mir ihre Personalausweise, um meinen Verdacht zu zerstreuen und drangen erneut in mich, ihnen etwas über die wirklichen Zustände in Buchenwald zu erzählen. Sie würden dafür sorgen, dass mir kein Leid geschähe. Daraufhin schilderte ich ihnen die Dinge, die ich gesehen hatte. Sie waren so erschüttert, dass sie mich nicht weiter reden Hessen. Solche Zustände, sagten sie, seien empörend und skandalös. Frick und Himmler seien verantwortlich. Kein anderer sonst. Sie bemühten sich, mich davon zu überzeugen, dass sie über die Konzentrationslager keine Kontrolle hätten, wo tatsächlich die S.S. die höchste und ausschliessliche Autorität darstellt.
Ich habe die Dinge, die hier über Buchenwald berichtet werden, selbst erlebt. Ich war nur sechs Wochen lang im Lager und mein Bericht kann daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Ich weiss aus vertrauenswürdigen Quellen, dass die Mehrzahl der mit mir zusammen im Juni verhafteten Personen noch dort gefangen ist und dass die Zahl der Todesfälle unter ihnen steigt.