Februar 1938
Am 4. Februar vervollständige Adolf Hitler seine umfassenden Machtbefugnisse, indem er den Oberbefehl über die gesamte deutsche Wehrmacht übernahm: „Die Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht übe ich von jetzt an unmittelbar persönlich aus.“ Zugleich traten Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Werner von Blomberg und der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, zurück; weitere 16 Generäle wurden in den Ruhestand geschickt, 44 versetzt. Das an Stelle des Kriegsministeriums neu eingerichtete Oberkommando der Wehrmacht (OKW) führte nunmehr Generaloberst Wilhelm Keitel. Die deutsche Presse feierte dieses Ereignis als „stärkste Zusammenfassung aller politischen, militärischen und wirtschaftlichen Kräfte“; nun sei „alle Macht in der Hand des Führers“. Im „Neuen Vorwärts“, dem Emigrations-Organ der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade), wurden hingegen die Westmächte am 13. Februar der „Kurzsichtigkeit, Zaghaftigkeit und Unentschlossenheit“ beschuldigt, mit der sie im Deutschen Reich den Aufbau einer mächtigen Militärmaschinerie zugelassen hätten. Verschärft wurde der NS-Kurs noch dadurch, dass Reichsaußenminister Konstantin Freiherr von Neurath ebenfalls am 4. Februar durch Joachim von Ribbentrop ersetzt wurde. Einen Tag später trat in Berlin das Reichskabinett zu einer Sitzung zusammen, in der die Umbesetzungen in der Wehrmachtsspitze und im Außenministerium natürlich gutgeheißen wurden. Es sollte zugleich die letzte Sitzung dieses Gremiums sein.
Der Propagandaapparat sollte weiter perfektioniert werden. Laut Meldung des Deutschen Nachrichtenbüros vom 10. Februar sollten daher bis 1944 in den Großstädten und größeren Kreisstädten des Deutschen Reiches insgesamt 6.000 leistungsstarke „Reichslautsprechersäulen“ für Propagandazwecke aufgestellt werden. In Breslau entstand zu diesem Zeitpunkt eine Musteranlage.
Abweichende Meinungen versuchte man hingegen weiterhin mit aller Macht zu unterdrücken. In einer Rede vor dem optisch neu gestalteten Reichstag am 20. Februar verlangte Hitler daher von den demokratischen Staaten, dass sie ihre Presse künftig besser im Zaum halten sollten. Er jedenfalls, so die Drohung, sei nicht gewillt, auch weiterhin die Berufung auf die Pressefreiheit als Entschuldigung der ausländischen Regierungen gelten zu lassen. Außerdem wiederholte Hitler den deutschen Anspruch auf Kolonialbesitz. Erstmals wurde diese Rede, in der Hitler vor allem die NS-Aufbauarbeit glorifizierte, auch von den österreichischen Sendern sowie über den tschechoslowakischen Sender Liblice ausgestrahlt.
Innenpolitisch feierte man weiterhin die in positivstem Licht dargestellte Aufbauarbeit. Das galt auch für den Reichsberufswettkampf 1938, der am 11. Februar im Berliner Sportpalast vor mehr als 15.000 Menschen eröffnet wurde, und der erstmals nicht nur für Lehrlinge, sondern im fünften Jahr seines Bestehens für alle berufstätigen Deutschen offen war. Entsprechend deutlich fiel der Anstieg von 1,8 auf mehr als 2,7 Millionen Teilnehmer aus. Reichsjugendführer von Schirach charakterisierte den Wettbewerb zu diesem Anlass als „das klassische Symbol für den Leistungswillen der jungen Nation“, während DAF-Leiter Ley ihn als „das beste Mittel zur Überwindung von Gegensätzen und zur Stärkung des Gemeinschaftsgedankens“ pries.
Ansonsten aggierte das Regime weiterhin mit „Zuckerbrot und Peitsche“: Als Adolf Hitler am 18. Februar die Internationale Automobil- und Motorradausstellung in Berlin eröffnete, kündigte er in seiner Eröffnungsansprache den Bau eines für jeden „Volksgenossen“ erschwinglichen Volkswagenwerkes an. Hierfür galt es jedoch Leistung zu zeigen. So wurde am 15. Februar im Zuge der Durchführung des Vierjahresplans ein weibliches Pflichtjahr als Arbeitseinsatz für unverheiratete Frauen bis zu 25 Jahren in Haus- oder Landwirtschaft eingeführt, dessen Ableistung fortan Voraussetzung für die Aufnahme Berufstätigkeit war. Bereits sechs Tage zuvor hatte Baldur von Schirach am 9. Februar per Verfügung zu einer stärkeren Werbung von Facharbeitern für die Landwirtschaft aufgerufen, um dort den Nachwuchs zu sichern. Und auch die Forschung hatte künftig strengen Regeln zu folgen. In der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg nahm nämlich Reichsleiter Alfred Rosenberg am 16. Februar grundsätzlich zur Freiheit von Forschung und Lehre Stellung und erklärte, dass es künftig keine zweckfreie Forschung mehr geben könne und erhob das „Suchen nach Gesetzmäßigkeiten“ kurzerhand zum „entscheidenden Kennzeichen der germanischen Forscherseele“. Im Unterschied zu liberalen Staatssystemen müsste sich NS-orientierte Forschung weitaus stärker mit „Rassenkunde“ und Geschichte beschäftigen.
In diesen rassistischen Kontext passte es auch, dass in deutschen Textilwarengeschäften zum Monatsbeginn erstmals Waren angeboten wurden, die mit einem besonderen „Gütesiegel“ versehen waren, das sie ausdrücklich als „Ware aus arischer Hand“ klassifizierte. Träger dieser Aktion war die „Arbeitsgemeinschaft deutscharischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie“ (Adefa).
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Der Februar 1938 brachte weitere Stationen auf dem Weg der finanziellen Benachteiligung und der Verdrängung vom Arbeitsmarkt und damit aus dem Wirtschaftsleben.
Das Gesetz zur Änderung des Einkommenssteuergesetzes vom 1. Februar bestimmte in seinem § 32,3, dass jüdischen Kindern bei der Berechnung der Einkommenssteuer künftig nicht mehr die übliche Kinderermäßigung gewährt würde.
Nachdem es ihnen laut der „Berufsordnung der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure“ bereits seit dem 20. Januar 1938 untersagt war, in diesem Beruf tätig zu werden, wurden Jüdinnen und Juden ab dem 5. Februar per Gesetz auch von der Berufsausübung als Versteigerer ausgeschlossen und das Erlöschen aller bereits erteilten Zulassungen zum 31. Juli 1938 angeordnet.
An dem 16. Februar schlossen die Bestimmungen der neuen Bestallungsordnung für Tierärzte all jene von der Ausübung des Berufs aus, die selbst oder deren Ehepartner nicht die Voraussetzungen des Beamtengesetzes erfüllten – und damit alle Juden.