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Chronik und Quellen
1938
Januar 1938

Pressebericht über wirtschaftliche Restriktionen gegen Juden

Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet am 27. Januar 1938 über die wirtschaftlichen Restriktionen gegen Juden und die Folgen für deren Auswanderungschancen:

Berlin, 24. Januar 1938. Die Ausschaltung des jüdischen Elements aus allen Zweigen der Wirtschaft wird seit einiger Zeit mit steigender Heftigkeit betrieben. Die gegenwärtige Welle läßt sich in ihrem Ausmaße nur vergleichen mit der des Jahres 1933, als nach der Machtübernahme des Nationalsozialismus die Nichtarier aus dem öffentlichen Leben hinausgedrängt wurden. Da damals der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit im Vordergrund stand, mußte, weil die Juden doch einen guten Teil der Wirtschaft kontrollierten, im Interesse der Arbeitsbeschaffung zu jener Zeit noch davon abgesehen werden, sie auch aus dem Wirtschaftsleben zu entfernen. Inzwischen hat sich die deutsche Wirtschaft dank der staatlichen Aufrüstungskonjunktur von der Krise erholt, und jetzt halten die zuständigen Stellen die Zeit für gekommen, den früher vorübergehend vernachlässigten Programmpunkt der vollständigen Ausschaltung des Judentums in die Wirklichkeit umzusetzen.

An dieser Stelle ist bereits kurz erwähnt worden, daß in der Textilwirtschaft und im Schrotthandel entsprechende Maßnahmen ergriffen worden sind. Die arischen Mitglieder dieser Branchen haben sich verpflichtet, weder an Juden zu verkaufen noch von ihnen zu kaufen; die zentralen Organisationen in den beiden Branchen haben den jüdischen Firmen die Liefer- und Abnahmeverträge gekündigt. Damit wird den jüdischen Firmen jede gewinnbringende Tätigkeit unmöglich gemacht, denn der Handel unter der Judenschaft selbst ist nicht tragfähig genug und bietet nur einer kleinen Zahl von Firmen eine auskömmliche Existenz, obwohl sich auch die deutschen Juden bemühen, soweit wie möglich ihre Einkäufe nach rassischen Gesichtspunkten vorzunehmen.

Die sogenannte „Arisierung“ der deutschen Wirtschaft greift aber immer weiter um sich. Am stärksten macht sich der Druck im Einzelhandel bemerkbar. Die jüdischen Firmeninhaber sehen sich so vielen Schwierigkeiten gegenüber, daß sie sich zum Verkauf ihrer Geschäfte entschließen müssen. Kaufinteressenten sind selbstverständlich vorhanden; doch die Preise, die geboten werden, sehr gering. Nach den Grundsätzen der zuständigen Behörden darf als Kaufpreis nur der materielle Wert des Unternehmens in Betracht kommen. Für den sogenannten Goodwill darf nichts vergütet werden, da man schließlich auch eine Sachlage geschaffen hat, unter welcher die Voraussetzungen einer Vergütung für Kundschafts- und Geschäftswert nicht mehr bestehen. Pensions- und Beteiligungsverträge, die von einem jüdischen Firmeninhaber eingegangen worden sind, dürfen vom nachfolgenden arischen Unternehmer nicht übernommen werden, sondern laufen zu Lasten des Vorläufers weiter. Bei der „Arisierung“ ist darauf zu achten, daß die Ausschaltung der Juden vollkommen ist. Es darf also keine Beteiligung eines Juden bestehen bleiben; ferner muß das jüdische Personal sofort entlassen werden. Jede nur teilweise „Arisierung“ wird als unerwünscht bezeichnet. Ueberschuldete und unwirtschaftlich arbeitende jüdische Betriebe dürfen nicht „arisiert“ werden.

Diese Politik der „Arisierung“, die jetzt mit deutscher Konsequenz und Gründlichkeit durchgeführt wird, entzieht den Juden jede Existenzgrundlage. Die „Reichsvertretung der Juden“ hat angesichts dieser Situation zum erstenmal unter dem nationalsozialistischen Regime eine Bitte an die deutsche Regierung gerichtet. Der Bitte geht ein Appell an die Einwandererstaaten voraus, die Einwanderungsmöglichkeiten besonders für arbeitsfähige junge Juden zu erweitern. Die Erklärung der Reichsvertretung der Juden weist aber darauf hin, daß ein erheblicher Teil der deutschen Judenschaft überaltert und daher nicht mehr auswanderungsfähig sei, sondern seine Tage in Deutschland beschließen müsse. Wenn er aber nicht der öffentlichen Wohlfahrt anheimfallen solle, so dürften ihm die Existenzmöglichkeiten nicht entzogen werden. Im übrigen sei die Aufrechterhaltung der Existenz auch die Voraussetzung für eine geordnete Auswanderung. Die Erklärung der „Reichsvertretung der Juden“ schließt mit der Bitte an die Reichsregierung, „daß der Verringerung der Erwerbsmöglichkeit für die Judenheit in Deutschland Einhalt getan werde“.

Diese Erklärung der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ gibt ein erschütterndes Bild der Situation, in der sich die deutschen Juden befinden. Abgesehen davon, daß die aufnahmefähigen Länder der Judeneinwanderung große Schwierigkeiten in den Weg legen, stößt sich die Auswanderung aus Deutschland auch an der deutschen Devisengesetzgebung. Auf Grund spezieller Vereinbarungen können jüdische Auswanderer für die einzelne Person 30.000 Mark, für zwei Personen 40 000 und für drei und mehr Personen 50000 Mark mitnehmen. Diese Summen sind aber nur nominell und werden nicht in dieser Höhe transferiert. Der Transferkurs schwankt zwischen 27 V2 und 50 Prozent, so daß also die Auswanderer einen für ihre Existenz im Ausland ganz ungenügenden Betrag überwiesen erhalten. Die finanzielle Einbuße wird noch dadurch verschärft, daß ein Viertel des Vermögens als Reichsßuchtsteuer abgegeben werden muß. Angesichts der zunehmenden Verschlechterung der Lebensbedingungen der Juden in Deutschland ist der Andrang so stark, daß die für den Auswanderungstransfer von Zeit zu Zeit zur Verfügung gestellten Beträge binnen kürzester Frist erschöpft sind. Die große Masse der deutschen Juden findet in Deutschland keine Existenz mehr, ist verfemt und weitgehend entrechtet, kann aber auch nicht auswandern, da ihr dafür keine Mittel zur Verfügung stehen.

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