Beginn der Deportationen in Berlin
1958 berichtete Dr. Martha Mosse über ihre Erlebnisse im Rahmen des Beginns der Deportationen in Berlin im Oktober 1941:
„Es war im Jahre 1941 - soweit ich mich erinnern kann, am 1. oder 2. Oktober -, dass zwei Vorstandsmitglieder [...] sowie ich als Leiterin der Wohnungsberatungsstelle telefonisch zur Gestapo in der Burgstraße beordert wurden. Dort eröffnete uns Kriminalsekretär Prüfer zu Protokoll, dass wir sofort in ein Konzentrationslager überführt werden würden, wenn wir über das, was er uns mitzuteilen habe, zu Dritten sprechen würden. Herr Prüfer teilte uns dann mit, dass nunmehr die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginne, und dass die jüdische Gemeinde mitwirken müsse, denn andernfalls würde sie von SA und SS durchgeführt werden „und man weiß ja, wie das dann würde“. Es sollten zunächst anhand des Katasters der jüdischen Gemeinde mehrere tausend Juden bei der Gemeinde vorgeladen werden, mit denen Funktionäre der Gemeinde Fragebogen aufzunehmen hätten, die von der Gestapo geliefert werden würden. Die ausgefüllten Fragebogen seien dann der Gestapo einzureichen. (Ich glaube, die Frist betrug 2 oder 3 Wochen.) Das Ganze sollte der jüdischen Bevölkerung gegenüber als eine Wohnungsräumungs-Aktion gelten. Die Gestapo werde dann anhand der ausgefüllten Fragebogen einen Transport zusammenstellen, für den etwa tausend Personen in Frage kämen, und der nach Lodz gehen würde. Die jüdische Gemeinde solle dafür sorgen, dass die Transportteilnehmer gut gekleidet wären, sie solle Lebensmittel und eine anständige Ausstattung der Eisenbahnwagen, die die Gestapo stellen würde, beschaffen. Als wir im Hinausgehen waren, sagte Herr Prüfer: ‚Ja, das ist ja nun nicht schön, dass ich ihnen das gerade am Versöhnungstag sagen muß.‘
Am gleichen Abend fand eine Beratung zwischen den Vorständen der Reichsvereinigung der Juden und der Jüdischen Gemeinde statt, bei der auch ich zugegen war. Trotz erheblicher Bedenken entschloss man sich dann doch, dem Wunsche der Gestapo, bei der Umsiedlung mitzuwirken, zu entsprechen, weil man hoffte, auf diese Weise so viel Gutes wie möglich im Interesse der Betroffenen tun zu können.“