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Chronik und Quellen
1942
September 1942

Der Judenälteste zur „Sperre“

Am 4. September 1942 hielt Chaim Rumkowski als Vorsitzender des Judenrats im Getto Litzmannstadt eine Ansprache zur bevorstehenden Deportation der Kinder bis zum Alter von zehn Jahren:

„Das Getto ist von einem schweren Schmerz getroffen. Man verlangt von ihm das Beste, was es besitzt — Kinder und alte Menschen. Mir war es nicht vergönnt, ein eigenes Kind zu haben, und deswegen habe ich meine besten Jahre dem Kind gewidmet. Ich lebe und atmete zusammen mit dem Kind. Niemals habe ich mir vorgestellt, daß meine eigenen Hände das Opfer zum Altar bringen müßten. Nun, im Alter muß ich meine Hände ausstrecken und betteln: Brüder und Schwestern, gebt sie mir! Väter und Mütter, gebt mir eure Kinder! [...] Ich muß diese schwere und blutige Operation durchführen, ich muß Glieder amputieren, um den Körper zu retten! Ich muß Kinder nehmen, denn andernfalls könnten - Gott behüte - andere genommen werden. [...] Ich bin heute nicht gekommen, um euch zu trösten, ich bin nicht gekommen, um euch zu beruhigen, sondern um euer ganzes Leid und Weh aufzudecken. Wie ein Räuber bin ich gekommen, um euch das Beste aus euren Herzen herauszureißen. [...] Ich verstehe euch, Mütter, und ich sehe wohl eure Tränen. Ich fühle auch die Herzen der Väter, die ihr morgen früh, nachdem man euch euer Kind weggenommen hat, zur Arbeit gehen müßt. Noch gestern spieltet ihr mit euern lieben Kindern. [...] Vor euch steht ein vernichteter Jude. Beneidet mich nicht! Es ist dies die schwerste Anordnung, die ich je ausführen mußte. Ich strecke meine zerschlagenen, zitternden Hände zu euch und bettele: ‚Legt eure Opfer in meine Hände, damit ich weitere Opfer verhindern kann, damit ich eine Gruppe von 100.000 Juden retten kann.‘“

Die Berlinerin Ruth Tauber erinnerte sich ergänzend:

"Ich höre nur die ersten Worte dieser Rede, die Forderung der Kinder. Mein Sohn Michael ist 7 Jahre. Wie von Furien gehetzt stürze ich davon, nach Hause in unser Zimmer. (...) Ich denke zurück an den Tag seiner Geburt, der mir bis heute immer als der glücklichste in meinem Leben erschien. Ich denke daran, wie er aufgewachsen ist, immer behütet und beschützt von seinen Eltern. Nun verlangt man von uns seine Auslieferung."

Zwei Tage nach der Rede schrieb Harry Fogel:

"Nicht nur meiner, sondern kein Stift auf der Welt ist in der Lage zu beschreiben, was sich seit diesem Tag im Getto abspielt! Überall, wo sich nur etwas bewegt, ist Weinen, tragische Klagerufe, die nicht zu beschreiben sind."

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