Ankunft in Litzmannstadt
Der Wieder Schriftsteller und Journalist Oskar Rosenfeld berichtet über seine Ankunft im Getto Litzmannstadt am 4. November 1941:
„Der Zug hielt auf freiem Feld. Die Coupétüren wurden aufgerissen. Müde, zerquält, in den Händen Koffer, auf den Rücken die Rucksäcke, unter den Armen Bündel, so krochen mehr als tausend Menschen die Trittbretter hinab. Tiefer Kot, Schlamm, Wasser, wohin sie traten. Es war Herbst. Polnisch-russischer Herbst. Feldgraue Gestapo trieb an. ‚Vorwärts! Lauf! Lauf!‘ schrien blonde gutgenährte Jungens. Unvergeßlich der eine, mit rötlichem borstigem Bart und rötlichen Augenbrauen, stechendem Blick, schnarrender Stimme. Er schrie die ‚Neuansiedelnden’ an: Tauf, du Judensau’, stieß gegen Frauen, die nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten. Wo war man gelandet? Wem gehörte man an? Wo war die hilfreiche Hand, die sich entgegenstreckte? Wer übernahm die 1.000, die in die Öde von Lodz hineingeschleudert worden waren? Nichts, nichts. Man kam nicht zur Besinnung. Das Hirn war leer, man vergaß sogar daran, daß man einen Tag und eine Nacht fast nichts gegessen hatte.
Ein Zug formierte sich. Durch Kot und Schlamm ging es irgendwohin. Neugierige standen an den Rändern einer Straße, einer verwahrlosten, häuserarmen Gegend, von der man nicht sagen konnte, ob sie Stadt oder Dorf sei ... Einige Wagen, mit je einem hageren Pferd bespannt, nahmen Alte und Kranke auf. Die Kutscher fluchten, hieben auf die armen Gäule ein. Ein Vorgeschmack für die künftigen eigenen Leiden vielleicht. Menschen zerlumpt, zerfetzt, mit wachsbleichen Gesichtern trotteten daneben. Man begegnete Karren, kleinen Wagen, die von jungen und alten Leuten, nicht von Tieren geschleppt wurden. Öde Lehmhütten ... Hilflose Bäume und Sträucher ... Kotlachen ... stinkender Unrat ... Müde mit gekrümmten Rücken zahllose Kreaturen ... Daneben Gesichter, die alles Leid schon überwunden hatten, auf denen geschrieben stand: Wir halten durch, wir überleben euch, ihr könnt uns nicht zerstören ... armselige Kramläden, Schenken, Caféhäuser, Zigarettenverkäufer, Mädchen und Kinder, die irgendetwas feilboten, Geruch von Dingen, die im Westen nicht zu sehen sind, junge Menschen in Uniform mit dem Zionsstern am Arm, Geschrei neben Stille, darüber ein nebelgrauer Himmel, durch den bisweilen rabenartige Vögel fliegen ... Das war das Verbrecherviertel von Lodz, das Getto Litzmannstadt.“