Richtlinien des RSHA für Deportationen nach Theresienstadt
Am 15. Mai 1942 erließ das Reichssicherheitshauptamt in Berlin folgende "Richtlinien zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden in das Altersghetto Theresienstadt":
Reichssicherheitshauptamt Berlin, den 15. Mai 1942
IV B 4 2537 /42
A. Richtlinien
zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden in das Altersghetto Theresienstadt.
Für die Evakuierung von Juden aus dem Reichsgebiet in das Ghetto Theresienstadt werden folgende Richtlinien, die in allen Punkten genau einzuhalten sind, aufgestellt:
I. Zuständige Evakuierungsdienststellen.
Die ordnungsgemässe Durchführung der Evakuierung obliegt den Staatspolizei(leit)stellen (in Wien wie bisher der Zentralstelle für jüdische Auswanderung Wien in Zusammenarbeit mit der Staatspolizeileitstelle Wien, im Protektorat dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, Zentralstelle für jüdische Auswanderung Prag).
Aufgabe dieser Dienststellen ist neben der personellen Erfassung und Konzentrierung des zu evakuierenden Personenkreises der Abtransport dieser Juden unter Ausnutzung von Regelzügen der Reichsbahn, bzw. Protektoratsbahn, sowie die Regelung der vermögensrechtlichen Angelegenheiten.
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II. Bestimmung des zu evakuierenden Personenkreises.
Im Zuge dieser Evakuierungsaktion sind nachstehende Judengruppen (§ 5 der I. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935 RGBl. I, S. 1333), die von der Evakuierung nach dem Osten gemäss den Richtlinien für die technische Durchführung der Evakuierung von Juden ausgenommen sind, zu erfassen:
1.) Über 65 Jahre alte bw. über 55 Jahre alte gebrechliche Juden mit Ehegatten, soweit sie nicht in
deutsch-jüdischer Mischehe leben und ihre Kinder unter 14 Jahren.
2.) Juden
a) Inhaber des Verwundetenabzeichens,
b) Träger hoher Kriegsauszeichnungen (EK !, Goldene Tapferkeitsmedaille usw.)
soweit sie nicht in deutsch-jüdischer Mischehe leben, mit Ehegatten und Kindern unter 14
Jahren.
3.) Jüdische Ehegatten einer nicht mehr bestehenden deutsch-jüdischen Mischehe, die gemäss § 3,
Abs. a) der Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1.9.41 (RGBl. I, S. 547) vom
Kennzeichnungszwang befreit sind, soweit nicht Kinder unter 14 Jahren (Mischlinge I. Grades, die
nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht als Juden gelten) im Haushalt leben.
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4.) Jüdische alleinstehende Mischlinge, die nach den gesetzlichen Bestimmungen als Juden gelten.
Von diesen unter 1-4 genannten Juden sind vorläufig von der Evakuierung nach Theresienstadt auszunehmen:
1.) Juden ausländischer einschliesslich nach dem 15.5.1942 staatenlos gewordener Juden ehemals
slowakischer Staatsangehörigkeit (jedoch nicht sonstige staatenlose Juden und Juden mit
ehemals polnischer und luxemburgischer Staatsangehörigkeit).
2.) Im kriegswichtigen Arbeitseinsatz befindliche Juden, für die eine Zustimmung zur Evakuierung
von den zuständigen Rüstungskommandos (Rüstungsinspektionen) sowie der
Landeswirtschaftsämter und Arbeitsämter aus wehrwirtschaftlichen Gründen z. Zt. nicht gegeben
werden kann.
3.) Jüdische Rechtskonsulenten und Krankenbehandler sowie haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter
der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, ihrer Bezirksstellen oder der jüdischen
Kultusvereinigungen, soweit ihre Zurückstellung von der Evakuierung im Verhältnis zur Zahl der
zunächst verbleibenden Juden weiterhin angebracht erscheint.
Die z. Zt. in jüdischen Altersheimen untergebrachten Juden sind bei dieser Evakuierung an erster Stelle zu erfassen.
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III. Transport.
Die Abbeförderung ist jeweils in einem Einzelwaggon, der auf Antrag von den zuständigen Reichsbahndirektionen zugewiesen wird, eines auf der Strecke nach Theresienstadt verkehrenden Regelzuges durchzuführen. Stärke: 50 Juden je Transport. (Stärkere Belegung unzulässig). Die Dienststellen erhalten wöchentlich Anweisung vom Reichssicherheitshauptamt, wieviel Transporte (zu je 50 Juden) in der jeweils folgenden Woche nach Theresienstadt abgewickelt werden können. Nach Eingang dieser Anweisungen ist mit der in Betracht kommenden Reichsbahndirektion Verbindung hinsichtlich der Bereitstellung des erforderlichen, vom übrigen Personalverkehr abgesonderten Zugraumes (gegebenenfalls Sonderwagen) aufzunehmen.
Je Person ist mitzunehmen:
Zahlungsmittel RM 50,--
Ein Koffer oder Rucksack mit Ausrüstungsstücken (kein sperrendes Gut) u. zw.:
Vollständige Bekleidung (ordentliches Schuhwerk)
Bettzeug mit Decke
Essgeschirr (Teller oder Topf) mit Löffel
Verpflegung für 8 Tage
Nicht mitgenommen werden dürfen:
Wertpapiere, Devisen, Sparkassenbücher usw.
Wertsachen jeder Art (Gold-Silber, Platin - mit Ausnahme des Eheringes),
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Lebendes Inventar,
Lebensmittelkarten (vorher abnehmen und den örtlichen Wirtschaftsämtern übergeben).
Die Transporte sind vor Abgaben nach Waffen, Munition, Sprengstoffen, Gift, Devisen, Schmuck, usw. zu durchsuchen.
Die Bezirksstellen der Reichsvereinigung (bzw. Jüdische Kultusgemeinden) können zur Vorbereitung und Durchführung der Transporte herangezogen werden.
Die ärztliche Aufsicht über die Juden während der Fahrt ist einem jüdischen Krankenbehandler bzw. Pfleger(in) zu übertragen.
IV. Transportleitung.
Die Transportleitung ist einem Angehörigen der Sicherheitspolizei zu übertragen, dem weitere Beamte bzw. Angestellte zur Unterstützung zugeteilt werden können.
Namentliche Liste der mitgeführten Personen (Name, Geburtsdaten, Beruf, Wohnung, Alter) in zweifacher Ausfertigung ist dem Transportleiter mitzugeben.
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V. Aufnahme.
Für die Aufnahme der evakuierten Juden im Ghetto Theresienstadt ist der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, Zentralstelle für jüdische Auswanderung Prag zuständig.
VI. Meldewesen.
Die Abfahrt jedes Transportes ist sofort mit dringendem Fernschreiben oder Telegramm nach beiliegendem Muster (Anlage 1)
a) dem Reichssicherheitshauptamt, Referat IV B 4,
b) dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, Zentralstelle für jüdische Auswanderung
Prag,
c) dem Ghetto Theresienstadt
Eintreffen und Übernahme der Transporte im Ghetto Theresienstadt sind dem Reichssicherheitshauptamt, Referat IV B 4, vom Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, Zentralstelle für jüdische Auswanderung Prag mit Fernschreiben nach beiliegendem Muster (Anlage 2) zu melden.
VII. Verrechnung der Kosten der Evakuierung.
Die Verrechnung der durch die Evakuierung entstehenden Kosten ist mit Erlass II 0 1/2 Nr. 650/41-238-16 - vom 10.1.1942 geregelt.
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B. Richtlinien
für die Behandlung des Vermögens der in das Altersghetto Theresienstadt abzuschiebenden Juden.
Wegen der vermögensrechtlichen Regelung bei der Abschiebung wird auf die anliegenden Richtlinien für die Behandlung des Vermögens der in das Generalgouvernement abzuschiebenden Juden (Anlage 3) verwiesen. Da jedoch das Protektorat Böhmen und Mähren nicht als Ausland im Sinne der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 (RGBl. I, S. 722) zu betrachten ist, kann durch diese Abschiebung ein Vermögensverfall nach dieser gesetzlichen Bestimmung nicht Platz greifen, so dass in jedem einzelnen Fall, soweit Vermögen vorhanden ist, eine Einziehung zu Gunsten des Deutschen Reiches auf Grund der einschlägigen Vorschriften über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens durchzuführen ist. Dementsprechend sind die beigefügten Richtlinien insoweit nicht zur Anwendung zu bringen, als sie sich auf den Vermögensverfall im Rahmen der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 beziehen. Der Reichsminister des Innern hat seinen auf Seite 3 oben der Richtlinien genannten Erlass über die Sammelfeststellung der Volks- und Staatsfeindlichkeit vom 2.3.1942 - Pol. S II A 5 - 192/42 - 212 - auf diese Abschiebung nach dem Altersghetto Theresienstadt ausgedehnt, so dass hiernach verfahren werden kann.
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Sollte unter den Abzuschiebenden ein geisteskranker, geistesschwacher oder sonstwie nicht in vollem Besitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte befindlicher Jude vorhanden sein, für den vom Amts wegen eine Vormundschaft oder Pflegschaft usw. angeordnet worden ist, so sind die im Rahmen der Abschiebung zu fordernden schriftlichen Erklärungen durch den Vormund oder Pfleger usw. abzugeben; ebenso ist an diesen die Zustellung der Einziehungsverfügung vorzunehmen.
Im Gegensatz zu den Abschiebungen nach dem Osten kommt die Mitgabe von Devisen nicht in Betracht.
für die gesonderte Übersendung der erforderlichen Vordrucke (Vermögenserklärungen und Einziehungsverfügungen) wird rechtzeitig Sorge getragen werden.