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Chronik und Quellen
1942
Juni 1942

Richtlinien zur Durchführung der Deportation von Juden

Die folgenden "Richtlinien zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden nach dem Osten (Izbica bei Lublin)" vom 4. Juni 1942 galten für die nächsten Monate der Judendeportation bis zum 20. Februar 1943:

Reichssicherheitshauptamt                                         Berlin, den 4. Juni 1942.
IV B 4 s     2093/42g (391)

Geheim

Richtlinien
zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden nach dem Osten (Izbica bei Lublin)

Für die Evakuierung von Juden aus dem Reichsgebiet und dem Protektorat Böhmen und Mähren nach dem Osten (Generalgouvernement) werden folgende Richtlinien, die in allen Punkten genau einzuhalten sind, aufgestellt:

I. Zuständige Evakuierungsdienststellen:

Für das Altreich:             Die örtlichen Staatspolizei(leit)stellen. (Für Wien wie bisher die Zentralstelle
                                             für jüdische Auswanderung Wien in Zusammenarbeit mit der
                                             Staatspolizeileitstelle Wien).

Für das Protektorat       Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung Prag in Zusammenarbeit mit
Böhmen und Mähren:   den Staatspolizeileitstellen Prag bezw. Brünn.

Aufgabe dieser Dienststellen ist neben der Konzentrierung und der personellen Erfassung des zu evakuierenden Personenkreises der Abtransport dieser Juden mit Sonderzügen der Deutschen

 

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Reichsbahn gemäß dem vom Reichssicherheitshauptamt im Benehmen mit dem Reichsverkehrsministerium aufgestellten Fahrplan und die Regelung der vermögensrechtlichen Angelegenheiten.

II. Bestimmung des zu evakuierenden Personenkreises:

Erfaßt werden können im Zuge dieser Evakuierungsaktion alle Juden (§ 5 der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935, RGBl. I, S. 1333), abgesehen von vorerst folgenden Ausnahmen:

1./ In deutsch-jüdischer Mischehe lebende Jude sowie

   a/ jüdische Ehegatten einer nicht mehr bestehenden deutsch-jüdischen Mischehe, die gemäß § 3
       Abs. a) der Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1.9.41 (RGBl. I, S. 547)
       vom Kennzeichnungszwang befreit sind.

   b/ jüdische Mischlinge, die nach § 5 (2) der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.35
       (RGBl. I., S. 1333) als Juden gelten, sofern diese nicht noch mit einem Juden verheiratet sein
       sollten.

 

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2./ Juden ausländischer einschließlich sowjetrussischer Staatsangehörigkeit und nach dem 15.5.42
     staatenlos gewordene Juden ehemals slowakischer Staatsangehörigkeit (jedoch nicht sonstige
     staatenlose Juden und Juden mit ehemals polnischer und luxemburgischer Staatsangehörigkeit).

3./ Im kriegswichtigen Arbeitseinsatz befindliche Juden, für die eine Zustimmung zur Evakuierung
     seitens der in Betracht kommenden Arbeitseinsatzstellen (Gaubevollmächtigter für den
     Arbeitseinsatz usw.) aus wehrwirtschaftlichen Gründen z. Zt. nicht gegeben werden kann.

4./ Juden

   a) im Alter von über 65 Jahren,
   b) im Alter von 55-65 Jahren, die besonders gebrechlich und völlig transportunfähig sind.

     Bei jüdischen Ehen, in denen ein Eheteil unter 65 Jahre und der andere über 65 Jahre alt ist,
     können beide Teile dann evakuiert werden, wenn der in Frage kommende Eheteil nicht älter als
     67 Jahre ist und ein amtsärztliches Zeugnis für die Arbeitsfähigkeit dieses Eheteiles erbracht
     werden kann. Weitere Ausnahmen sind auf keinen Fall zulässig.

5./ Inhaber des Verwundetenabzeichens und Träger hoher Tapferkeitsauszeichnungen (EK I,
     Goldene Tapferkeitsmedaille usw.)

 

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6./ Jüdische Rechtskonsulenten und Krankenbehandler sowie haupt- und ehrenamtliche Mitglieder
     der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, ihrer Bezirksstellen oder der jüdischen
     Kultusvereinigungen sind nur in einem entsprechenden Verhältnis zur Zahl der zunächst
     verbleibenden Juden zu erfassen.

7./ Ehetrennung sowie Trennung von Kindern bis zu 14 Jahren von den Eltern ist zu vermeiden.

III. Transport.

Es empfiehlt sich, die zu evakuierenden Juden vor dem Abtransport zu konzentrieren. Transporte werden jeweils in Stärke von je 1.000 Juden (stärkere Belegung ist unzulässig) nach dem im Einvernehmen mit dem Reichsverkehrsministerium erstellten Fahrplan, der den beteiligten Dienststellen zugeht, durchgeführt.

Es muß pro Person mitgenommen werden:

Zahlungsmittel RM 50.-- in Reichskreditkassenscheinen oder 100 Zloty

Ein Koffer oder Rucksack mit Ausrüstungsstücken (kein sperrendes Gut)

Vollständige Bekleidung (ordentliches Schuhwerk)

Bettzeug mit Decke

Verpflegung für 2 Wochen (Brot, Mehl, Graupen, Bohnen)

Eßgeschirr (Teller oder Topf) mit Löffel

 

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Nicht mitgenommen werden dürfen:

Wertpapiere, Devisen, Sparkassenbücher usw.,

Wertsachen jeder Art (Gold, Silber, Platin - mit Ausnahme des Eheringes),

Lebendes Inventar,

Lebensmittelkarten (diese sind vorher abzunehmen und den örtlichen Wirtschaftsämtern zu übergeben).

Vor Abgang der Transporte ist eine Durchsuchung nach Waffen, Munition, Sprengstoffen, Gift, Devisen, Schmuck, usw. vorzunehmen.

Die Transporte sind so zusammenzustellen, daß sie eine möglichst gleichmässig verteilte Altersgliederung aufweisen.

Die Bezirksstellen der Reichsvereinigung (bezw. Kultusgemeinden) können nach Maßgabe für die Vorbereitung und Durchführung der Transporte herangezogen werden.

Für die ordnungsgemässe Durchführung der Transporte ist jeweils eine jüdische Transportleitung zusammenzustellen, die von sich aus für jeden Waggon einen mit einer Armbinde gekennzeichneten Ordner zu bestimmen hat. Diese Ordner sind für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung während der Fahrt und die Reinigung der Abteile nach Verlassen des Zuges verantwortlich. Der jüdischen Transportleitung, die im ersten Waggon untergebracht wird, ist ein jüdischer Arzt bezw. Sanitäter mit Sanitätsmaterial zuzuteilen.

 

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Bei Abmeldung der Juden ist in den Melderegistern der Meldeämter nicht der Zielort, sondern lediglich „unbekannt verzogen” bezw. „ausgewandert” anzuführen.

IV. Transportbegleitung.

Jedem Transportzug ist eine entsprechend ausgerüstete Begleitmannschaft (in der Regel Ordnungspolizei in Stärke von 1 Führer und 15 Mann) zuzuteilen. Bezüglich der Ausrüstung des Begleitkommandos wurde an die Stellen der Ordnungspolizei seitens des Hauptamtes Ordnungspolizei ein diesbezüglicher Erlaß herausgegeben.

Dem Führer der Begleitmannschaft muß eine für die den Transport empfangende Dienststelle bestimmte namentliche Liste der mitgeführten Personen in zweifacher Ausfertigung ausgehändigt werden. Eine weitere Ausfertigung dieser Transportliste ist dem Reichssicherheitshauptamt - Referat IV B 4 - sofort nach Abgang des Transportes vorzulegen. In der Transportliste sind außer Personaldaten auch die Berufe anzuführen.

V. Aufnahme.

Für die Aufnahme der Evakuierten im Generalgouvernement ist der Befehlshaber der

 

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Sicherheitspolizei und des SD in Krakau zuständig, der sich zur Durchführung der Aufnahme der Dienststellen des SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin bedient.

VI. Meldewesen.

Die von der Reichsbahn ausgearbeiteten Fahrpläne (Abfahrtszeiten) sind verbindlich und können nicht mehr abgeändert werden; sie sind daher von den abfertigenden Dienststellen genau einzuhalten. Ebenso sind die an Hand der Fahrpläne abgestellten Sonderzüge restlos auszunutzen.

Die Abfahrt jedes Transportzuges ist sofort mit dringendem Fernschreiben oder Telegramm nach beiliegendem Muster (Anlage 1)

a/ dem Reichssicherheitshauptamt, Referat IV B 4,

b/ dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und SD, SS-Oberführer Dr. Schöngarth, Krakau,

c/ dem SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, SS-Brigadeführer Globocnik, Lublin,

Das Eintreffen der Transporte und die ordnungsgemässe Übernahme am Zielort wird von der empfangenden Dienststelle (SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin) mit Fernschreiben oder Telegramm nach beiliegendem Muster (Anlage 2) dem Reichssicherheitshauptamt, Referat IV B 4, mitgeteilt.

 

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Nach Abschluß der Gesamt-Aktion ist dem Reichssicherheitshauptamt sowohl von der abfertigenden Dienststelle als auch von der empfangenden Dienststelle Gesamtbericht mit zahlenmässigen Unterlagen (Geschlechts-, Alters- und Berufsgliederung) vorzulegen.

VII. Kosten der Evakuierung.

Die Verrechnung der durch die Evakuierung entstehenden Kosten ist mit Erlaß II C 1/2 - Nr. 650/41-238-10 - vom 10.1.1942 geregelt.

VIII. Behandlung des Vermögens der Evakuierten.

Für die Behandlung des Vermögens der Evakuierten sind die seinerzeit übersandten Richtlinien maßgebend.

Im Auftrage:

gez. Eichmann.

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