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Chronik und Quellen
1935
Oktober 1935

Die Gestapo Koblenz berichtet

Die Gestapo Koblenz berichtete über den Monat Oktober 1935:

„Die gesetzliche Regelung der Judenfrage wirkt sich mit der Zeit dahin aus, daß immer mehr jüdische Familien auswandern. Die Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben macht weiter Fortschritte. Insbesondere ist der jüdische Einfluß auf den Viehhandel fast vollständig in Wegfall gekommen. Auch im Einzelhandel haben die Juden weiter an Boden verloren. Die Aufgabe jüdischer Geschäfte vollzieht sich in beschleunigtem Tempo. Landwirtschaftliche und bebaute Grundstücke sind in letzter Zeit mehrfach zum Verkauf angeboten worden.

Es hat den Anschein, daß die Judenfrage für die ländlichen Bezirke in absehbarer Zeit dadurch ihre Lösung findet, daß die Juden in ihrer Gesamtheit vom flachen Lande in die größeren Städte abwandern werden.

Die Auswanderung nach Palästina wird durch die zionistische Vereinigung, die in letzter Zeit einen erheblichen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen hat, stark gefördert. So ist das Interesse für den jüdischen Kulturbund, der im Monat Oktober seine 1. Veranstaltung abgehalten hat, sehr groß. Der Bund umfaßt bereits 350 Mitglieder. Auch die Ortsgruppe Altenkirchen der zionistischen Vereinigung hält alle 14 Tage in der Synagoge Versammlungen ab. Diese dienen der Erlernung der hebräischen Sprache und der Aussprache über die Auswanderungsmöglichkeiten nach Palästina. Die Juden glauben nunmehr nach Bekanntgabe der Judengesetze nicht mehr an die Möglichkeit eines weiteren Verbleibens in Deutschland und rechnen damit, daß in etwa 10 Jahren der letzte Jude Deutschland verlassen hat. Da die Ausführungsbestimmungen zu den Judengesetzen bisher noch nicht veröffentlicht worden sind, befinden sich die Juden in einer gewissen Nervosität. Sie erklären, daß sie durch die bisherige Behandlung und Beschimpfung seelisch derart zermürbt seien, daß sie eine weitere schlechte Behandlung nicht ertragen könnten. Sie würden dankbar sein, wenn ihnen die Ungewißheit genommen würde, und ihnen gesagt würde, daß sie in einem halben Jahre Deutschland zu verlassen hätten.

Durch die Aufklärungsarbeit ist die Kundenzahl der jüdischen Geschäfte erheblich zurückgegangen. Dabei ist festgestellt worden, daß die Kunden nicht zu den kleinen arischen Geschäften, sondern zu den großen Kaufhäusern abgewandert sind.

Erstaunen hat in der Bevölkerung die Tatsache hervorgerufen, daß der bisher als jüdisches Unternehmen bekämpfte Kaufhof in Koblenz nunmehr ein arisches Unternehmen sein soll und dieses durch Hissen der Hakenkreuzflagge am Erntedankfest bekundet hat.

Die „Erwege“ Großeinkaufsgenossenschaft in Düsseldorf hat sich beschwerdeführend an den Regierungspräsidenten gewandt, weil sie beim Einkauf auf Grund von Wohlfahrtsgutscheinen in keiner Weise berücksichtigt wird.

Ausschreitungen gegen Juden oder jüdische Geschäfte sind im Monat Oktober nur ganz vereinzelt vorgekommen. Tagesbericht hierüber ist jeweils erstattet worden. Die s.Zt. erfolgten Ausschreitungen in Mandel, Kreis Kreuznach, über die durch Sonderbericht vom 7.10.1935 – AD Nr. 1983/35 – berichtet worden ist, sind von der Staatsanwaltschaft inzwischen durch Einleitung eines Strafverfahrens gegen die 7 Beteiligten aufgegriffen worden. Die Beschuldigten befinden sich inzwischen in Gerichtshaft.“

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